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Dominique Haas, Migazin, Rassismus, Diskriminierung, Grenzschutz, Migration, Flucht
Dominique Haas © privat, bearb. MiG

Nach den Wahlen

Keine emanzipative linke Partei weit und breit in Südafrika

Ein neoliberaler und nationalistischen Zeitgeist prägt auch die parteipolitische Linke in Südafrika. Ein Blick zurück in 30 Jahre Post-Apartheid-Ära.

Von Donnerstag, 27.06.2024, 10:12 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 02.07.2024, 10:00 Uhr Lesedauer: 7 Minuten  |  

Nach den Präsidents- und Parlamentswahlen am 29. Mai in Südafrika hat sich alles und nichts verändert. Eine emanzipative linke Kraft gibt es jedenfalls auch 30 Jahre nach Ende der Apartheid nicht im Parlament. Die Wurzeln liegen im Neoliberalismus, Nationalismus und Autoritarismus.

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Nelson Mandela fällt den meisten sofort ein, wenn das Stichwort Südafrika fällt. Auch dem ANC (African National Congress), der seit 30 Jahren an der Macht ist, fällt Nelson Mandela immer wieder ein, wenn die Partei in den Wahlkampf zieht: den ANC wählen heißt Mandelas Erbe der Demokratisierung zu wählen und zu verteidigen. Nun hat der ANC zum ersten Mal seine absolute Mehrheit im nationalen Parlament eingebüßt und kommt nur noch auf 40 Prozent der abgegebenen Stimmen.

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Auch vor dieser Wahl habe ich mich gefragt, welche Partei ich wählen würde, wenn ich die entsprechende Staatsbürgerschaft besäße. Denn auch wenn ich Kritik an der parlamentarischen Demokratie habe, gilt es doch stets, Schlimmeres zu verhindern. Das reaktionäre bis konservativ-liberale und tribalistische Lager von VF+ (Vryheisfront Plus), DA (Democratic Alliance) und IFP (Inkhata Freedom Party), die zusammengerechnet auf ca. 27 Prozent des Stimmenanteils kommen, fällt für mich sowieso raus. Auch die kürzlich gegründete MK Partei (uMkhonto we Sizwe) mit dem ehemaligen südafrikanischen Präsidenten Jakob Zuma als Spitzendkandidaten, die aus dem Stehgriff mit ca. 14 Prozent Stimmenanteil zur drittstärksten Kraft avancierte, zähle ich zu dem größeren Übel, das ich mit einer Wahl verhindern wollen würde. Die Partei hat nur ein Ziel: die Unterstützung des korrupten Jakob Zumas und seiner Kompliz:innen, nachdem diese unter dem aktuellen Präseidenten Cyril Ramaphosa teilweise Macht in den Partei- und Regierungsgremien abgeben mussten.

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Auf der zumindest sich als links begreifenden Seite des Parteispektrums befinden sich neben dem ANC die Economic Freedom Fighters (EFF). Während die einen als neoliberale Sozialdemokratie auftreten, geben sich die anderen als autoritär-sozialistische Revoluzer:innen. Warum hat sich aber keine emanzipative linke Partei in den Parlamenten etabliert, die sowohl wirtschaftliche Verhältnisse und gesellschaftlichen Autoritarismus infrage stellt? Dazu lohnt sich ein Blick zurück, nach links und rechts.

„Die südafrikanische Migrations- und Asylpolitik ist ähnlich restriktiv wie die in europäischen Staaten.“

1994: der ANC gewinnt die ersten allgemeinen demokratischen Wahlen in Südafrika und beginnt politisch umzusetzen, was sich seit 1990 ideologisch abzeichnet: der Wandel von einer sozialistischen und panafrikanischen Bewegung hin zu einer von New Labour geprägten sozialdemokratischen Partei. Die Wirtschaft wird grundlegend liberalisiert, es bildet sich eine kleine schwarze besitzende Klasse heraus, während sich die wirtschaftliche Lage der meisten Schwarzen und Colourds (Fremd- und Eigenbezeichnung zugleich) bis heute nicht grundlegend geändert hat. Denn der ANC fährt eine ähnliche neoliberale Sozial- und Wirtschaftspolitik wie es viele sozialdemokratische Parteien in Europa in den 1990ern und 2000ern tun.

Allerdings war zuvor in Südafrika der Sozialstaat für Nicht-Weiße inexistent. Es gab also nichts, das hätte gekürzt werden können. Somit fiel zwar der offene Staats-Rassismus weg, aber die prekäre Lebenssituation der meisten von Rassismus betroffenen Menschen blieb bestehen. Reformistische soziale Sicherungssysteme wie Arbeitslosengeld oder eine allgemeine Krankenversicherung sind bis heute nur minimal vorhanden, trotz des allgemeinen wirtschaftlichen Wohlstands des Landes. So bedeutet die massive Jugendarbeitslosigkeit, dass junge Menschen nicht aufgefangen werden, sondern in Armut leben müssen. Statt eines Wohlfahrtsstaats wird der neoliberale Zeitgeist, das eigene Kleinst-Unternehmertum, bis in die besitzlose Klasse gelebt, wenn beispielsweise auf der Straße Süßigkeiten verkauft wird. Die wirtschaftliche Ausbeutung ist somit subtiler, weil sie anders als in Angestelltenverhältnissen Autonomie vorgaukelt: du bist dafür verantwortlich, wie viele Süßigkeiten du verkaufen kannst und verantwortest somit alleine deinen wirtschaftlichen Erfolg. Südafrika wird somit ähnlich neoliberal regiert wie europäische Staaten, nur eben mit anderen bzw. zusätzlichen Konsequenzen.

„Auch im südafrikanischen Diskurs werden Menschen aus anderen afrikanischen Staaten rassistisch abgewertet und für Arbeitslosigkeit, steigende Mietpreise oder Krankheiten verantwortlich gemacht.“

Doch nicht nur den Sozialismus, sondern auch den Panafrikanismus hat der ANC nach 1994 über Bord geworfen. Die Kontinuität kolonialer Grenzziehung wurde nicht nur nicht verhindert, sondern legitimiert das südafrikanische Staatsprojekt des afrikanischen Sonderfalls. Dieser besagt, dass Südafrika wirtschaftlich und kulturell der positive Sonderfall in Afrika ist. Die südafrikanische Migrations- und Asylpolitik ist ähnlich restriktiv wie die in europäischen Staaten. Europäische Tourist:innen sind lieber gesehen als zimbabwische Migrant:innen. Die einen erhalten an der Grenze innerhalb von fünf Minuten das Visum, die anderen leben oftmals als illegalisierte Migrant:innen ohne rechtlichen Status in Südafrika. Auch im südafrikanischen Diskurs werden Menschen aus anderen afrikanischen Staaten rassistisch abgewertet und für Arbeitslosigkeit, steigende Mietpreise oder Krankheiten verantwortlich gemacht. Dabei kommt es immer wieder zu pogromähnlicher rassistischer Gewalt. Ähnlich wie in Europa gehen Rassismus und Neoliberalismus Hand in Hand, wenn statt eines inklusiven Sozialstaats exklusiver Nationalismus gefördert wird.

Die Gewalt in Südafrika ist nicht nur rassistisch durchdrungen, sondern Teil eines staatlich-autoritären Zeitgeists in Südafrika. 2012 werden 34 streikende (teilweise militante) Minenarbeiter:innen durch die Polizei erschossen. Während der Corona-Pandemie werden Hunderttausende Menschen durch die Polizei verhaftet, da sie sich nicht an die strikten Corona-Auflagen halten. Informelle Siedlungen an den Stadträndern werden regelmäßig mit Gewalt aufgelöst. Die staatliche Gewalt durch Repressionsorgane aus Apartheidzeiten wurde nicht überwunden, sondern besteht weiterhin. Durch die physische Gewaltentgrenzung soll die staatliche Autorität aufrechterhalten werden und produziert so nur weiter Gewalt gegen besitzlose Menschen in den Townships und informellen Siedlungen. Gleichzeitig wird die Gewalt zwischen armen Menschen durch mangelnde Sozialleistungen und Lohnarbeit verschärft. Denn wer nichts hat, hat auch nichts zu verlieren oder nach Brecht: erst kommt das Fressen, dann die Moral.

„Rassismus hört nicht auf, wenn es keine Weißen mehr in Südafrika gibt.“

Neoliberalismus, Nationalismus, Autoritarismus und Gewalt richten sich immer gegen diejenigen, die sich nicht wehren können: Menschen in Armut oder prekären Arbeitsverhältnissen, Menschen mit (afrikanischer) Flucht- und Migrationserfahrung. Eine emanzipative linke Partei würden von den Bedürfnissen dieser Menschen ausgehen und diese nicht gegeneinander ausspielen, wie der ANC, der Migrant:innen als Sündenböcke darstellt. Auch die EFF sind keine Alternative für diese Gruppen: für sie reicht es, sich den weißen Bevölkerungsteilen zu entledigen. Das geht am Problem vorbei: Rassismus hört nicht auf, wenn es keine Weißen mehr in Südafrika gibt und die kapitalistischen Ausbeutungsverhältnisse hören nicht einfach auf zu existieren. Denn die besitzende Klasse, die Großunternehmer:innen und Fabrikbesitzer:innen, ist dafür viel zu diversifiziert, auch wenn sie überproportional weiß ist.

Hinzu kommt Rassismus gegen Menschen mit indischer oder chinesischer Migrationsgeschichte sowie eine mangelnde demokratische Kultur innerhalb der Partei. Ihr Vorsitzender, Julius Malema, beschwört einen realsozialistischen Führerkult, während es immer wieder zu Degradierungen kommt, wenn Genoss:innen die Parteilinie verlassen. Dieses autoritäre Auftreten findet sich in der europäischen Parteienlandschaft eher im konservativen bis rechten Spektrum. Auch linke europäische Parteien können autoritäre Züge haben. Allerdings distanzieren sich viele vom Staats-Autoritarismus der realsozialistisch geführten Länder.

Und nun? Am Ende dieser Überlegungen wäre ich doch zu einer Bauchentscheidung gelangt, die ich anderen als strategisches Wählen verkauft hätte. Die einen nicht wirklich links, die anderen autoritär. Die Krise der Linken ist in Südafrika genauso präsent wie in Europa, auch wenn sie durch die spezifischen geschichtlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse teilweise anders gelagert ist. Die Fundamente der aktuellen Verhältnisse – Neoliberalismus, Nationalismus und Autoritarismus – sind dem europäischen Kontext aber sehr ähnlich.

Nach dieser Desillusionierung bleibt mir dennoch Hoffnung. Grund dazu gibt der herausragende investigative Journalismus, beispielsweise von Mail and Guardian, und die vielen basisdemokratischen zivilgesellschaftlichen Organisationen, die das Leid von armen, wohnungslosen und diskriminierten Menschen verringern. Dabei agieren sie nicht nur humanitär, sondern politisch wie etwa Abahlali baseMjondolo. Kritisches Denken und zivilgesellschaftliches Handeln setzt den Kontrapunkt der Solidarität gegen den staatlichen Neoliberalismus, Autoritarismus und die allgegenwärtige Gewalt. Meinung

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