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Richterpult (Symbolfoto)

Neutralität oder Vielfalt?

Verfassungsbeschwerde gegen Kopftuchverbot für Schöffin

In Nordrhein-Westfalen wurde eine Muslima von der Schöffen-Liste gestrichen. Begründung: Weil sie ein Kopftuch trägt, sei sie für die Ausübung des Amts unfähig. Gegen diese Entscheidung hat die Gesellschaft für Freiheitsrechte jetzt Verfassungsbeschwerde erhoben.

Montag, 08.07.2024, 15:02 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 08.07.2024, 15:02 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Eine Muslima mit Kopftuch soll einer Entscheidung des Amtsgerichts Dortmund (AG) vom Mai 2024 zufolge nicht als Schöffin auf der Richterbank sitzen dürfen. Begründung: Sie sei für die Ausübung des Amts unfähig. Grundlage für den Beschluss ist das nordrhein-westfälische Justizneutralitätsgesetz, das ehrenamtlichen Richtern das Tragen religiöser Symbole und Kleidungsstücke in der Gerichtsverhandlung und damit auch das Tragen eines Kopftuchs verbietet.

Dagegen hat die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) jetzt gemeinsam mit der betroffenen Muslima Verfassungsbeschwerde erhoben. Laut GFF sind die Streichung von der Schöffenliste und die zugrunde gelegte Vorschrift des Justizneutralitätsgesetzes verfassungswidrig.

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„Schöff:innen repräsentieren die Gesellschaft im Gerichtssaal und treten in ihrem Ehrenamt als Richter:innen ohne Robe auf. Der pauschale Ausschluss greift massiv in die Grundrechte der Betroffenen ein“, kritisiert die Juristin und Verfahrenskoordinatorin bei der GFF Soraia Da Costa Batista. Die Entscheidung des Amtsgerichts dürfe so nicht stehenbleiben. Das Kopftuchverbot für ehrenamtliche Richter verletze die Betroffene in ihrer Religionsfreiheit und sei diskriminierend. „Kopftuchtragende muslimische Frauen sind Teil unserer Gesellschaft und sollten durch Schöff:innen repräsentiert werden“, so Da Costa Batista weiter.

Gericht: Schöffen dürfen keine religiösen Symbole tragen

Die Muslima wurde den Angaben zufolge 2023 in Nordrhein-Westfalen für den Zeitraum 2024 bis 2028 als Jugendschöffin gewählt, um gemeinsam mit Berufsrichtern in Jugendstrafverfahren zu entscheiden. Nachdem sie mitteilte, dass sie aus religiösen Gründen auch während der Hauptverhandlungen ihr Kopftuch nicht ablegen könne, stellte das Amtsgericht trotz der Eignung der Beschwerdeführerin für das Schöffenamt einen Antrag auf Amtsenthebung beim Oberlandesgericht (OLG) Hamm.

Das OLG lehnte die Amtsenthebung ab, weil die Religionsausübung keine „gröbliche Amtspflichtverletzung“ sei. Das Gericht erklärte aber, dass Schöffen während einer Verhandlung keine religiösen Symbole tragen dürfen und sie durch das Tragen eines Kopftuchs für die Amtsausübung unfähig seien. Begründet wird die Regelung im Justizneutralitätsgesetz mit dem staatlichen Neutralitätsgebot. Das AG Dortmund folgte der Auffassung des OLG und strich die Beschwerdeführerin von der Schöffen-Liste.

Rechtsexpertin: „Das Schöff:innenamt baut auf demokratische Vielfalt“

„Ich arbeite seit vielen Jahren in Projekten mit Jugendlichen und Erwachsenen, um unsere Demokratie und den Rechtsstaat zu stärken. Als die Wahl für das Amt als Jugendschöffin auf mich fiel, habe ich mich gefreut, meine Erfahrungen einbringen zu können. Es trifft mich schwer, dass mir diese Möglichkeit nur wegen meines Kopftuchs verwehrt wird“, betont die Beschwerdeführerin.

Vertreten wird sie vor dem Bundesverfassungsgericht von Professorin Dr. Anna Katharina Mangold von der Europa-Universität Flensburg. „Das Schöff:innenamt baut auf demokratische Vielfalt. Der diskriminierende Ausschluss engagierter Menschen wegen ihrer sichtbaren Religionsausübung greift dieses Fundament an“, erklärt Mangold. Schöffen seien ein wichtiges Bindeglied zwischen Staat und Gesellschaft und brächten repräsentative, plurale Perspektiven in das Gericht ein. Ein pauschaler Ausschluss widerspreche diesem gesetzlich verankerten Ziel.

Das Gesetz wurde im März 2021 im Landtag mit den Stimmen der Regierungsfraktionen CDU und FDP sowie den Stimmen der AfD beschlossen. Die Grünen hatten gegen den Gesetzentwurf gestimmt, SPD-Abgeordnete hatten sich enthalten. Experten kritisierten, das Gesetz treffe in der Praxis nur muslimische Frauen.

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