Inländer-Benachteiligung?
Debatte über Steueranreize für ausländische Fachkräfte
Mit steuerlichen Vorteilen will die Bundesregierung ausländische Fachkräfte nach Deutschland locken – denn andere Länder tun dies schon lange. In Deutschland gibt es jedoch Widerspruch, trotz gewichtiger Argumente.
Dienstag, 09.07.2024, 12:38 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 09.07.2024, 14:01 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Die geplanten, aber bisher wenig konkreten Steuererleichterungen für ausländische Fachkräfte sorgen für Diskussionen. „Das ist ein echtes Inländer-Benachteiligungsprogramm, das sich die Ampel da ausgedacht hat“, sagte der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Alexander Dobrindt, der Deutschen Presse-Agentur zu den Plänen.
Auch aus den Ampel-Parteien gab es Kritik: „Ich verstehe vollkommen, wenn das die Leute irritiert“, sagte Sachsens Sozialministerin Petra Köpping (SPD) dem „Tagesspiegel“. Die Grünen-Arbeitsmarktpolitikerin Beate Müller-Gemmeke sagte der Zeitung: „Es gibt aus gutem Grund einen Gleichbehandlungsgrundsatz in unserem Arbeitsrecht.“ Dies wäre aus ihrer Sicht nicht gewährleistet, wenn bestimmte Gruppen bei gleicher Arbeit durch Steueranreize mehr Geld im Portemonnaie hätten. Auch die Gewerkschaften hatten das Vorhaben als falsches Signal kritisiert.
BSW: Steuerpläne Schlag ins Gesicht der Normalbürger
Auch nach Ansicht von BSW-Chefin Sahra Wagenknecht sind die Steuerpläne fatal. „Die Pläne sind ein Schlag ins Gesicht für den Normalbürger, der hier schon immer brav seine Steuern und Abgaben zahlt“, sagte Wagenknecht der Deutschen Presse-Agentur in Dresden. Die deutsche Gesellschaft nehme seit mindestens zehn Jahren „in nicht verkraftbaren Größenordnungen“ Flüchtlinge auf und zahle dafür rund 50 Milliarden pro Jahr. „Der Dank der Bundesregierung ist, dass Arbeitnehmer, die von außerhalb kommen, jetzt auch noch besser gestellt werden als die einheimischen.“ Wagenknecht sprach von einer „Politik gegen die eigene Bevölkerung“.
Demgegenüber belegen zahlreiche Studien, dass ausländische Fachkräfte in Deutschland bei gleicher Arbeit und Eignung im Durchschnitt deutlich weniger verdienen als ihre deutschen Kollegen – zunächst 64 Prozent des Durchschnittslohns. Eine Debatte hat diese branchenübergreifend verbreitete Ungleichbehandlung bisher nicht entfacht. Hinzu kommen Rassismuserfahrungen im Beruf, denen ausländische Arbeitskräfte oft ausgesetzt sind. Auch deshalb gelingt es Deutschland im internationalen Vergleich seltener, ausländische Fachkräfte über längere Zeiträume zu halten. Die klügsten Köpfe ziehen weiter oder kehren in ihre Heimatländer um.
Steueranreize mit Unter- und Obergrenze
Um das zu ändern und Deutschland angesichts des Arbeitskräftemangels in einigen Branchen attraktiver für Experten aus dem Ausland zu machen, will die Bundesregierung deshalb für „neu zugewanderte Fachkräfte“ in den ersten drei Jahren 30, 20 und 10 Prozent vom Bruttolohn steuerfrei stellen. Dafür soll es allerdings Unter- und Obergrenzen beim Gehalt geben.
Auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil zeigte sich nicht zufrieden. „Ich gebe zu, dass ich an diesem Punkt über die Einigung nicht furchtbar glücklich bin, weil es zu Missverständnissen führen kann“, sagte der SPD-Politiker im Deutschlandfunk. „Das gehört zur Abteilung: Das müssen wir uns noch mal genauer angucken.“ Wenn Deutschland wirklich attraktiv sein wolle für dringend gebrauchte ausländische Fachkräfte, sei das aber auch nicht der entscheidende Punkt. Man müsse Menschen anwerben und auf die Stärke Deutschlands hinweisen. „Wir werden uns darauf konzentrieren, dass das Einwanderungsgesetz funktioniert“, sagte Heil.
Steueranreize für hochqualifizierte Ausländer sind seit Jahren ein Thema
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte auf andere europäische Länder verwiesen, die bereits Steuervergünstigungen für zugezogene Fachkräfte gewähren. Bernd Meurer, Präsident des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste (bpa), sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND): „Alle Schritte, um internationale Kräfte zu einer Tätigkeit in Deutschland zu motivieren, begrüßen wir.“ Zugewanderte Arbeitnehmer hätten zudem in der Phase des Ankommens viele zusätzliche Kosten.
Solche Steueranreize sind in Europa und darüber hinaus seit vielen Jahren ein Thema. Die Bundesregierung hatte bereits 2018 in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage 15 EU-Länder genannt, in denen dies zur Anwendung kommt. Der Schwerpunkt lag dabei allerdings auf Führungskräften in Unternehmen und anderen hochqualifizierten und gut bezahlten Zuwanderern. Höhere Steuersätze als in ihrer Heimat schrecken gerade solche Zielgruppen oft von einem Wechsel ins Ausland ab.
In den Niederlanden ist seit Jahresbeginn auch eine – ähnlich wie von der Ampel-Koalition geplante – Regelung mit steuerfreien 30/20/10-Prozent vom Bruttolohn für insgesamt 60 Monate und mit Einkommensgrenzen in Kraft. Damit wurden die bisher geltenden Vorteile für qualifizierte Einwanderer etwas beschnitten. (dpa/mig) Aktuell Politik
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