Massensterben geht weiter
Hunderte Geflüchtete aus Seenot gerettet, dutzende Tote
Während die Welt gebannt auf die Kriege in der Ukraine und im Gaza schaut, sterben auf den Fluchtrouten Richtung Europa Tausende Menschen. Seenotretter sind im Stundentakt im Einsatz – retten Kleinkinder, Babys und schwangere Frauen – und werden dabei staatlich behindert.
Mittwoch, 10.07.2024, 11:05 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 10.07.2024, 11:14 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Das Schiff „Sea-Eye 4“ hat auf dem Mittelmeer in fünf Einsätzen 231 Menschen gerettet. Nun steuere die Besatzung den Hafen von Genua an, der ihr von den italienischen Behörden zugewiesen worden sei, teilte die Organisation Sea-Eye am Dienstag mit. „Fünf Rettungen in 24 Stunden: Das zeigt, welcher Ausnahmezustand derzeit im Mittelmeer herrscht“, erklärte der Vorsitzende Gorden Isler. Umso wichtiger sei es, dass die privaten Seenotretter vor Ort seien.
Doch das werde durch die Zuweisung weit entfernter Häfen verhindert, kritisierte Isler. „Allein für die Fahrt nach Genua müssen wir sechs Tage An- und Abreise einplanen.“ Für schutzsuchende Menschen könne das tödliche Konsequenzen haben. Auf dem Mittelmeer, das zu den gefährlichsten Fluchtrouten weltweit gehört, gibt es keine staatlich organisierte Seenotrettung. Lediglich private Initiativen halten Ausschau nach Flüchtlingen in Not.
Einsätze im Stundentackt
Im ersten Einsatz nahm die „Sea-Eye 4“ den Angaben zufolge am Sonntagmittag 46 Menschen aus einem Schlauchboot an Bord, nachdem die Hilfshotline Alarmphone die Crew über den Notfall informiert hatte. Wenige Stunden später erfolgte ein weiterer Notruf, zu dem das Segelschiff „Nadir“ der Initiative Resqship als Erstes gelangt sei. Da die „Nadir“ nicht für die Aufnahme vieler Menschen ausgerüstet ist, übernahm die „Sea-Eye 4“ die 60 Geretteten. In der Nacht holte die Besatzung weitere zehn Menschen aus einem Glasfaserboot an Bord.
Am Montagmorgen brachte die Crew erneut zusammen mit der „Nadir“ 58 weitere Menschen aus einem überfüllten Holzboot, in das bereits Wasser eingedrungen war, auf der „Sea-Eye 4“ in Sicherheit, und im Anschluss 57 Geflüchtete aus einem weiteren Schlauchboot. Diese beim letzten Einsatz Geretteten übernahm demnach die italienische Küstenwache. Die anderen Überlebenden werden voraussichtlich am Donnerstag an Land gehen können, wenn die „Sea-Eye 4“ in Genua eintrifft.
Vergangene Woche: 291 gerettet
Derweil begleitete die „Nadir“ 30 Menschen in einem Holzboot, dessen Motor versagt hatte. Sie waren von Libyen in Richtung Lampedusa aufgebrochen und wurden in der Nacht von den italienischen Behörden übernommen.
🚨 Ausnahmezustand im Mittelmeer! Die #SEAEYE4 ist in 24 Stunden 5 Booten zur Hilfe geeilt und hat insgesamt 231 Menschen aus Seenot gerettet. Unter den Überlebenden befanden sich eine Mutter mit Baby und eine im 9. Monat schwangere Frau. ➡️ Zur Pressinfo: https://t.co/pFHLvkruKS pic.twitter.com/K1ZoDPvJu1
— Sea-Eye (@seaeyeorg) July 9, 2024
Bereits vergangene Woche hatte das Schiff „Humanity 1“ bei drei Einsätzen im Mittelmeer insgesamt 291 Menschen aus Seenot gerettet – darunter mehr als 100 Minderjährige, Kleinkinder, Babys und schwangere Frauen. Auch diesem Schiff hatten die italienischen Behörden trotz der großen Zahl von Geretteten den 1.100 Kilometer weit entfernten Hafen von Bari zugewiesen.
Banksy-Schiff nach Rettungseinsatz festgesetzt
Neben der Zuweisung entfernter Häfen behindert auch die regelmäßige Festsetzung von Schiffen die Seenotrettung. So wurde das vom Graffiti-Künstler Banksy unterstütze Rettungsschiff „Louise Michel“ vergangene Woche von den italienischen Behörden für 20 Tage festgesetzt. Wie die Initiative auf der Internetplattform X mitteilte, hatte das Schiff zuvor mehr als 30 Flüchtlinge aus Seenot gerettet und auf der Mittelmeerinsel Lampedusa an Land gebracht. Der Crew wird vorgeworfen, Anweisungen missachtet zu haben. Demnach sollte die „Louise Michel“ nach der Rettung den entfernt liegenden Hafen der sizilianischen Stadt Pozzallo ansteuern. Wegen des vorhergesagten schlechten Wetters habe die Crew jedoch Kurs auf Lampedusa genommen und schließlich die Erlaubnis erhalten, die Überlebenden dort an Land zu bringen.
Unter der rechtsnationalen Regierung Italiens wurden neue Regeln für private Seenotretter erlassen. Immer wieder werden die Schiffe von Hilfsorganisationen nach Einsätzen für mehrere Tage festgesetzt. Die Organisationen und Initiativen kritisieren, dass sie durch die Festsetzungen auf dem Mittelmeer weniger präsent sind.
Eine der gefährlichsten Fluchtrouten: das Mittelmeer
Das Mittelmeer gehört zu den gefährlichsten Fluchtrouten weltweit. Es gibt keine staatlich organisierte Seenotrettung, lediglich private Initiativen halten nach Notfällen Ausschau. Die italienische Regierung weist den Rettungsschiffen regelmäßig weit entfernte Häfen zu. Menschenrechtler sprechen von „Schikane“ und staatlich organisierte „Behinderung“ der Seenotrettung.
Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind in diesem Jahr bislang mindestens 1.056 Menschen bei der Überquerung des Mittelmeers gestorben oder werden vermisst. Die Dunkelziffer liegt vermutlich deutlich höher.
Mauretanien: 89 Tote geborgen
Das Mittelmeer ist nicht die einzige gefährliche Fluchtroute über das Meer. Auch entlang der westafrikanischen Küste gibt es auf dem Weg zu den Kanarischen Inseln viele Tote. Vergangene Woche Donnerstag kam dort für 89 Menschen jede Hilfe zu spät. Die Küstenwache des Landes hatte nur noch deren Leichen bergen können, berichtete die mauretanische Nachrichtenagentur AMI. Neun Menschen konnten demnach gerettet werden, darunter ein fünfjähriges Mädchen. Dutzende weitere werden vermisst. Laut den Behörden befanden sich etwa 170 Personen auf dem Boot. Sie waren von der senegalesisch-gambischen Grenze aus in Richtung Europa aufgebrochen. Die Europäische Union (EU) hat einen Flüchtlingspakt mit Mauretanien geschlossen. Die EU zahl dem Land Geld, im Gegenzug soll Mauretanien seinen Grenzen für Geflüchtete schließen.
Tausende Menschen machen sich jeden Monat von der westafrikanischen Küste auf zu den Kanarischen Inseln, die zu Spanien gehören, um dort Asyl zu beantragen. Allein von Januar bis April waren es nach Angaben von „Save the Children“ 16.000 Menschen. Die tagelange Überfahrt ist extrem gefährlich, von Januar bis Mai kamen nach Angaben der Hilfsorganisation „Walking Borders“ starben mindestens 4.880 Menschen auf der Route oder werden vermisst. Die Dunkelzahl liegt vermutlich weit höher. (epd/mig) Aktuell Panorama
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