Bayern
Gutachten ebnet Weg für Extremismusklausel – AfD protestiert
Ein Jurist sollte klären, ob verfassungsfeindlichen Mitarbeitern von Landtagsabgeordneten der Geldhahn zugedreht werden kann. Eine heikle Frage. Die Antwort: Ja – aber der Gesetzgeber muss handeln.
Dienstag, 30.07.2024, 13:19 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 30.07.2024, 13:19 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Der Landtag kann verfassungsfeindlichen und extremistischen Mitarbeitern von Abgeordneten oder Fraktionen die Auszahlung von Parlaments-Geldern verweigern – es braucht dafür aber neue gesetzliche Grundlagen. Zu diesem Ergebnis kommt ein Rechtsgutachten zu einer sogenannten Extremismusklausel, das Landtagspräsidentin Ilse Aigner in München vorstellte. Sie plädierte eindeutig dafür, dass die Fraktionen aktiv werden und dies umsetzen sollten. „Wir wollen solche Gelder nicht auszahlen“, sagte sie.
Konkret geht es um Mitarbeiter von Abgeordneten oder Fraktionen, die Arbeitsverträge direkt mit diesen abschließen, bei denen das Parlament aber die Entlohnung übernimmt. Die CSU-Fraktion kündigte umgehend an, alle rechtlichen Möglichkeiten nutzen zu wollen. Auch Freie Wähler und Grüne erklärten, eine Lösung finden zu wollen. Die AfD protestierte scharf.
„Der Gesetzgeber in Bayern wäre konkret am Zug, um eine Extremismusklausel zu verankern“, erklärte Tristan Barczak, Professor für Öffentliches Recht, Sicherheitsrecht und das Recht der neuen Technologien in Passau, der das Gutachten erstellt hat. Es müssten das Abgeordneten-, das Fraktions- und das Verfassungsschutzgesetz geändert werden.
Aktuell keine Rechtsgrundlage
Bisher fehlt dem Landtagsamt eine rechtliche Grundlage, die Auszahlung der Löhne an „klar verfassungsfeindliche Extremisten“ zu verweigern – das hat das Gutachten jetzt bestätigt. Anlass für die Prüfung und die Debatte war ein BR-Bericht, wonach die AfD-Fraktion im Bundestag und ihre Abgeordneten mehr als 100 Mitarbeiter beschäftigten, die in als rechtsextrem eingestuften Organisationen aktiv seien. Aigner hatte daraufhin erklärt, das Problem sei auch im bayerischen Landtag bekannt. Konkret handle es sich um vier Fälle, alles Mitarbeiter von AfD-Abgeordneten, bestätigte sie nun. In drei Fällen davon habe der Landtag zwischenzeitlich die Auszahlung von Geldern gestoppt, sie aber wieder aufgenommen.
Das war für Aigner der Anlass, das Rechtsgutachten in Auftrag zu geben – weil sie eine derartige Lücke nicht hinnehmen will, wie sie mehrfach betonte. Und das neue Gutachten zeigt auf, wie eine mögliche „Extremismusklausel“ in der Praxis aussehen könnte.
Dem Gutachten zufolge kann eine Erstattung des Gehalts für Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Abgeordneten verweigert werden, wenn sie sich in verbotenen Organisationen engagieren oder engagiert haben oder wenn sie Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verfolgen oder verfolgt haben. Gleiches gilt für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landtagsfraktionen. Hier wäre demnach eine entsprechende Kürzung der Fraktionsmittel denkbar. Möglich ist all dies dem Gutachten zufolge auch, wenn die betreffenden Mitarbeiter für andere Staaten als Spione aktiv sind.
Hohe Hürden
Was nach Worten Barczaks nicht ausreicht: die bloße Mitgliedschaft in bestimmten, nicht verbotenen Organisationen oder Parteien. Zudem müssten die Begriffe „Extremismus“ und „Verfassungsfeindlichkeit“ ausdefiniert werden, etwa anhand einschlägiger strafrechtlicher Verurteilungen oder einer Beobachtung des Mitarbeiters durch den Verfassungsschutz. „Wir brauchen konkrete Anhaltspunkte, dass sich jemand extremistisch betätigt“, erklärte er.
Das konkrete Vorgehen könnte nach Darstellung Barczaks so aussehen, dass Mitarbeiter eine „Erklärung zur Verfassungstreue“ ausfüllen müssen, ähnlich einem Fragebogen für die Einstellung in den öffentlichen Dienst. Es müssten dafür aber laut Gutachten alle als verfassungsfeindlich betrachteten Organisationen in dem Fragebogen aufgeführt werden.
Verfassungsschutz-Anfragen denkbar
Denkbar wären laut Barczak auch Anfragen beim Landesamt für Verfassungsschutz zu bestimmten Personen – aber nicht als sogenannte anlasslose Regelanfragen, sondern als einzelne Bedarfsanfragen. Diese wiederum seien auch erst zulässig, wenn bereits konkrete Zweifel an der Verfassungstreue einer Mitarbeiterin oder eines Mitarbeiters bestünden.
Zunächst liegt der Ball aber eben bei den Fraktionen. Aigner sagte bereits, sie hoffe, „dass wir gemeinsam hier eine Lösung finden können“. Und es könnte auch schnell gehen: „Im Laufe des Jahres könnte man das hinkriegen, wenn man es gemeinsam löst.“
Fraktionen wollen Vorgehen prüfen
CSU-Fraktionschef Klaus Holetschek betonte: „Wir wollen eine wehrhafte Demokratie. Wer unsere freiheitliche demokratische Grundordnung bekämpft, kann nicht mit Mitteln des Staates unterstützt werden.“ Der parlamentarische Geschäftsführer der CSU, Michael Hofmann, sagte aber auch: „Wir treffen keine leichtfertigen Entscheidungen, sondern werden uns intensiv mit den aufgezeigten rechtlichen Möglichkeiten auseinandersetzen.“
Der SPD-Rechtsexperte Horst Arnold betonte: „Auch wir wollen keine Verfassungsfeinde mit Steuermitteln finanzieren. Wir warnen allerdings vor rechtlichen Schnellschüssen, um der AfD keine Möglichkeit zu geben, ihr primitives Opferrollenspiel zu inszenieren.“
Der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD, Christoph Maier, klagte bereits: „Willkürliche Diskriminierungen durch den sogenannten Verfassungsschutz sollen künftig ausreichen, um in die Autonomie frei und demokratisch gewählter Abgeordneter einzugreifen.“ Er fügte hinzu: „Es ist klar, dass sich dieses Vorhaben wieder mal exklusiv gegen die AfD richtet, da einzelne Mitarbeiter unserer Partei zuvor von Medien denunziert worden sind.“ Ebenso klar sei, dass sich die AfD einen solchen Angriff nicht gefallen lassen werde, sagte Maier.
Landtag kontert AfD-Kritik
Der Landtag wies die AfD-Kritik auf X (vormals Twitter) als falsch zurück: „Es geht um mögliche Mitarbeiter von Abgeordneten oder Fraktionen, die extremistische Verfassungsfeinde sind. Es steht auch der AfD frei, solche Leute nicht zu beschäftigen.“
Freie-Wähler-Fraktionschef Florian Streibl sagte: „Feinde unserer Verfassung dürfen keinen Nutzen aus Steuergeldern ziehen. (…) Wir, die demokratischen Fraktionen im Landtag, sind deshalb aufgefordert, eine entsprechende rechtssichere gesetzliche Regelung zu erarbeiten – gerade auch mit Blick auf den hohen Stellenwert des freien Mandats“. Jürgen Mistol (Grüne) sagte: „Für uns ist klar: Wir wollen erreichen, dass von Abgeordneten beschäftigte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die eindeutig nicht auf dem Boden der Verfassung stehen, künftig nicht mehr aus Steuergeldern bezahlt werden. Wir sind fest entschlossen, den Landtag gegenüber den Feinden unserer Demokratie widerstandsfähig zu machen.“ Man werde sich entschieden dafür einsetzen, eine rechtssichere Lösung zu finden. (dpa/mig) Aktuell Panorama
Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.
MiGGLIED WERDEN- Fachkräftemangel vs. Abschiebung Pflegeheim wehrt sich gegen Ausweisung seiner Pfleger
- „Diskriminierend und rassistisch“ Thüringer Aktion will Bezahlkarte für Geflüchtete aushebeln
- Verwaltungsgerichtshof Nürnberg muss Allianz gegen rechts verlassen
- Ein Jahr Fachkräftegesetz Bundesregierung sieht Erfolg bei Einwanderung von…
- Brandenburg Flüchtlingsrat: Minister schürt Hass gegen Ausländer
- Chronisch überlastet Flüchtlingsunterkunft: Hamburg weiter auf Zelte angewiesen