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Mädchen mit Kopftuch (Symbolfoto) © 123rf.com

Wirtschaft am Boden

Frauen die großen Verlierer in Afghanistan

Zwei Jahrzehnte stand Afghanistan unter der Kontrolle westlicher Mächte. Dann wurden Land und Bevölkerung zurückgelassen – in die Hände der Taliban. Jetzt steht die Wirtschaft des Landes am Boden. In der Hauptstadt Kabul geht Händlern die Kundschaft aus. Die großen Verlierer sind die Frauen.

Von Sonntag, 11.08.2024, 11:18 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 04.08.2024, 12:27 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Es ist ein heißer Nachmittag in der afghanischen Hauptstadt Kabul. Mohammad Jawad sitzt in seinem kleinen Laden im Stadtteil Shar-e Naw. Teppiche liegen in Stapeln auf dem Boden oder lehnen zusammengerollt an der Wand. Vor den Fenstern rauscht Anfang Juni der dröhnende Mittagsverkehr vorbei. Ein Kunde kommt zur Tür herein, blättert in einem Teppichstapel, stellt ein paar Fragen und verlässt den Laden wieder. „Hier braucht man Geduld“, sagt Jawad und lacht, „es dauert lange, bis jemand einen Teppich kauft“.

Der 44-Jährige weiß, wovon er spricht. Seit fast 19 Jahren handelt der freundliche Mann mit Kinnbart und grauem Haar mit Teppichen aus dem ganzen Land. Als er begann, galt die Teppichbranche in Afghanistan noch als sichere Einnahmequelle, erzählt er.

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Internationale Isolierung

Mit knapp 1,5 Millionen Beschäftigten ist sie zwar der zweitwichtigste Wirtschaftszweig des Landes. Doch inzwischen steckt auch sie in der Krise. Zwar habe es in den vergangenen Jahrzehnten immer ein Auf und Ab gegeben, etwa während der Corona-Pandemie, sagt Jawad. Doch seit der Machtübernahme der Taliban sei die Lage besonders dramatisch. „Zuerst dachte ich, ich müsste aufhören“, sagt er.

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Nachdem die Taliban im Sommer 2021 Kabul erobert hatten, isolierte die internationale Gemeinschaft die neuen Machthaber. Die afghanische Zentralbank verlor praktisch über Nacht den Zugang zu ihren ausländischen Devisenreserven. Das Bankensystem brach zusammen, die Inflation schoss in die Höhe. Die Wirtschaft erlebte einen beispiellosen Zusammenbruch. Viele Menschen aus der Mittelschicht hätten das Land fluchtartig verlassen und ihren Hausrat auf den Flohmärkten der Stadt verkauft, darunter auch viele Teppiche, sagt Jawad. „Wir hatten wochenlang keinen einzigen Kunden.“

Dramatischer Rückgang von Hilfsgeldern

Bis heute hat sich die Wirtschaft nicht erholt. Laut Weltbank ist davon auszugehen, dass sich das Wirtschaftsvolumen schlagartig nach der Machtübernahme der Taliban bis zu ein Drittel verringert hat und anschließend weiter gesunken ist. Bis heute sei es jedoch schwierig, die wirtschaftliche Situation genau zu beurteilen, da große Teile der Wirtschaft, etwa der Opiumhandel oder das Schmuggeln von Gütern, im Verborgenen lägen, sagt Graeme Smith, Afghanistan-Experte von der internationalen Denkfabrik Crisis Group.

Zwar habe sich die nationale Währung, der Afghani, mittlerweile einigermaßen stabilisiert, sagt Smith. Doch das liege vor allem an den Bargeldbeträgen in Millionenhöhe, die monatlich für die humanitäre Hilfe unter anderem von den Vereinten Nationen ins Land gebracht würden und damit auch die einheimische Wirtschaft ankurbeln. Inzwischen gingen die Hilfsgelder jedoch dramatisch zurück, sodass der Wert des Afghani damit in Zukunft sinken dürfte – und damit die Kaufkraft der Bevölkerung.

Hawala-System einziger Überweisungsweg

Mohammad Jawad verkauft seine Teppiche deswegen mittlerweile vor allem nach Kasachstan, die Vereinigten Arabischen Emirate und Europa. Ein Problem jedoch: Banküberweisungen von ausländischen Kunden könne er nicht empfangen. Jawad handelt deswegen fast ausschließlich über das Hawala-System, ein in islamischen Ländern verbreitetes, inoffizielles Netz von Geldwechslern. Feste Geschäftsbeziehungen zu ausländischen Kunden, gerade aus dem Westen, ließen sich so kaum aufbauen, sagt er.

Zwar gibt es keine internationalen Wirtschaftssanktionen, sondern nur gegen einzelne Mitglieder der Taliban-Regierung. Doch bis heute schrecken internationale Finanzinstitute aus Angst vor Reputationsschäden vor Transaktionen mit Afghanistan zurück.

Frauen die großen Verlierer

Das spürt auch Khalid Faiz, der ein kleines Exportunternehmen in Kabul betreibt. „Wenn wir nicht handeln können, schadet das jedoch vor allem den Frauen“, sagt er. Viele von seinen Produkten, wie etwa Trockenfrüchte, Teppiche oder afghanische Kleidung, würden von kleinen Unternehmen hergestellt, die hauptsächlich Frauen beschäftigten. Auch sein Unternehmen war nach der Machtübernahme der Taliban zusammengebrochen, weil er monatelang kein Geld von ausländischen Kunden empfangen konnte.

Mittlerweile würde der 30-Jährige gerne weiter investieren, etwa in den Abbau von Edelsteinen. Doch bislang hat er keinen Investor aus dem Ausland gefunden. Er findet, die internationale Gemeinschaft solle sich schnell mit den Taliban arrangieren – ob offiziell, oder inoffiziell: „Die Restriktionen schaden letztlich nicht den Taliban, sondern nur der Bevölkerung.“ (epd/mig) Aktuell Ausland

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