Mangels legaler Fluchtwege
Schleuserkriminalität 2023 deutlich gestiegen
Menschen in Not stehen keine legalen Fluchtwege offen. Deshalb geben sie ihr Schicksal immer mehr in die Hände von Schleusern, wie steigende BKA-Zahlen zeigen. Die Schleuser gehen dabei laut einem aktuellen Bundeslagebild immer skrupelloser vor.
Von Andrea Löbbecke Donnerstag, 22.08.2024, 13:57 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 22.08.2024, 14:02 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Die Polizei hat 2023 deutlich mehr Schleuserkriminalität in Deutschland registriert. Insgesamt wurden rund 7.920 Fälle von Einschleusungen aktenkundig, was einem Plus von gut 60 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht, wie das Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden mitteilte.
Im gleichen Zeitraum stieg demnach die Zahl der Tatverdächtigen um rund ein Viertel auf 4.404. Die meisten Verdächtigen bei Schleusungsdelikten waren den Angaben zufolge syrische, deutsche, türkische und ukrainische Staatsangehörige.
Die Ermittler nannten es besorgniserregend, dass die Menschen bei immer mehr Fällen in Behältnissen transportiert worden seien, die eine Gefahr für Leib und Leben bedeuteten. „Am häufigsten wurden hierfür Kleintransporter genutzt, die sich leicht anmieten lassen und für die keine spezielle Fahrerlaubnis benötigt wird“, erläuterte das BKA.
Unter anderem drohten bei solchen Fahrten Sauerstoff- oder Wassermangel sowie Unterkühlung oder Verletzungen bei Unfällen. Die durchschnittliche Anzahl der auf der Ladefläche eines Kleintransporters festgestellten Personen in Deutschland hat sich im Jahresvergleich 2022/2023 von zehn auf neunzehn nahezu verdoppelt, wie aus dem Bundeslagebild „Schleuserkriminalität“ hervorgeht.
Schleusungsfahrzeug wird zu gefährlichen Fluchtmanövern genutzt
Die Schleusungsgruppierungen agierten laut BKA zunehmend risikobereiter und rücksichtsloser gegenüber den geschleusten Menschen, unbeteiligten Dritten sowie den Polizeikräften, um sich einer Kontrolle zu entziehen. „Ohne jegliche Rücksicht auf die Insassinnen und Insassen oder andere Verkehrsteilnehmende wird dabei aus dem Schleusungsfahrzeug ein Fluchtfahrzeug.“
In Deutschland seien im Zusammenhang mit sogenannten Behältnisschleusungen 2023 mehr als 200 Fluchtversuche bekanntgeworden, bei jedem vierten sei es zu einem Unfall gekommen.
Entwicklung der illegalen Migration
Die sogenannte „illegale“ Migration nach Deutschland hatte 2023 deutlich zugenommen – gemeint sind Einreise von Menschen, die mangels legaler Fluchtwege ohne gültige Einreisedokumente Grenzen passieren. Wie das BKA mit Bezug auf die polizeiliche Kriminalstatistik erläuterte, registrierte die Sicherheitsbehörde im vergangenen Jahr 266.224 Tatverdächtige wegen unerlaubter Einreise und unerlaubten Aufenthalts.
Im Vergleich zum Vorjahr bedeute dies einen Anstieg um rund ein Drittel (plus 33,4 Prozent). Bei den Tatverdächtigen in Deutschland waren die Hauptherkunftsstaaten Syrien (54.207 Menschen), die Türkei (35.732 Menschen) und Afghanistan (35.370 Menschen).
Weniger unerlaubte Einreisen an deutschen Grenzen
Im ersten Halbjahr 2024 war die Zahl unerlaubter Einreisen von Geflüchteten an der deutschen Grenze im Vergleich zum Vorjahr um sieben Prozent gesunken, wie die Bundespolizei Ende Juli mitgeteilt hatte. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte Mitte Oktober vergangenen Jahres feste Kontrollen an den Landgrenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz angeordnet und seitdem mehrmals verlängert. Sechs-Monats-Zahlen sind jedoch nur bedingt aussagekräftig, weil der gesamte Jahrestrend fehlt.
In einem kürzlich veröffentlichen Fachgutachten wird die Wirkung von Grenzkontrollen allerdings in Frage gestellt. In den offizellen Zählungen gebe es Hinweise Mehrfachzählungen. Außerdem gebe es Ausweichbewegungen und möglicherweise rechtswidrige Zurückweisungen an den Grenzen.
Nach den Erfahrungen des BKA haben sich die Schleusungsrouten 2023 verschoben. Im Vergleich zum Vorjahr seien bei Schleusungen über die EU-/Schengen-Außengrenzen vermehrt Grenzübertritte über das zentrale Mittelmeer nach Italien (zentralmediterrane Route) und über das östliche Mittelmeer nach Griechenland (ostmediterrane Route) verzeichnet worden. Rückläufig seien dagegen Grenzübertritte auf der Westbalkanroute beispielsweise über Albanien und der Ostroute etwa über Russland nach Polen.
Werbevideos in sozialen Medien
Für die Kommunikation wurden bei Schleuserkriminalität überwiegend Messengerdienste wie Telegram und WhatsApp verwendet, wie das BKA erklärte. Zudem nutzten Schleuserorganisationen soziale Medien, um ihre Dienste zu vermarkten. Vorrangig über Facebook, Instagram sowie Tiktok sei aktiv mit Kurzvideos für eine Schleusung nach Deutschland geworben worden. Auf gleichem Wege würden auch Fahrerinnen und Fahrer rekrutiert.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) forderte im Kampf gegen Schleuser flexible und unvorhersehbare Grenzkontrollen, eine „zeitgemäßere Technik zum Auslesen von Mobiltelefonen“, Gesichtserkennungssoftware, mehr mobile Fingerabdruckgeräte und mehr Personal. Schleusungen seien ein Milliardengeschäft, ihre Geldströme müssten unterbunden werden. „Hier ist ein gemeinsames nationales und internationales Zusammenarbeiten der Strafverfolgungsbehörden, insbesondere des Zolls, unerlässlich“, betonte die GdP. (dpa/mig) Aktuell Panorama
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