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Frau in Handschellen (Symbolfoto) © de.depositphotos.com

Neue Zahlen

Deutlich mehr Abschiebungen im ersten Halbjahr

Kanzler Scholz hatte vor knapp einem Jahr Abschiebungen „in großem Stil“ angekündigt. Nach der Solinger Terrorattacke werden Forderungen zum Thema wieder lauter. Nun gibt es neue Zahlen.

Mittwoch, 28.08.2024, 10:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 28.08.2024, 9:17 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Die Zahl der Abschiebungen nimmt weiter zu. Im ersten Halbjahr 2024 sind nach Angaben des Bundesinnenministeriums knapp 9.500 Menschen aus Deutschland abgeschoben worden. Das zeigt eine Antwort des Ministeriums auf eine Anfrage der Linken im Bundestag, die dem MiGAZIN vorliegt. Im Vergleichszeitraum 2023 waren es 7.861 und im gesamten Jahr 16.430 vollzogene Abschiebungen, im Jahr davor knapp 13.000.

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915 Menschen mit türkischem Pass machten die größte Gruppe im ersten Halbjahr aus, die abgeschoben wurden. Betroffene aus Georgien (839), Nordmazedonien (774), Afghanistan (675), Albanien (586) und Syrien (534) lagen dahinter. Abgeschoben wurde vor allem nach Georgien, Nordmazedonien, Österreich, Albanien und Serbien. Nach Syrien und Afghanistan schiebt Deutschland aktuell nicht ab. Seit dem tödlichen Messerangriff auf einen Polizisten in Mannheim Ende Mai wird in der Bundesregierung über diese Möglichkeit diskutiert.

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Mehr als 3.000 sogenannte Dublin-Fälle

Ein Großteil der 9.465 im ersten Halbjahr abgeschobenen Menschen wurde den Angaben zufolge ausgeflogen: 7.848 Personen. Bei einem Drittel aller Abschiebungen (3.043 Fälle) handelte es sich um sogenannte Überstellungen im Rahmen der Dublin-Verordnung. Das heißt, Betroffene wurden in das europäische Land zurückgebracht, das für ihr Asylverfahren zuständig ist, weil sie dort zuerst ankamen. In 164 Dublin-Fällen wurde nach Bulgarien abgeschoben, wohin auch der Solinger Attentäter überstellt werden sollte.

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Zum Stichtag 30. Juni waren den Angaben zufolge 226.882 Personen in Deutschland ausreisepflichtig, davon 182.727 Personen mit und 44.155 ohne sogenannte Duldung. Geduldete sind ausreisepflichtig, können aber aus bestimmten Gründen nicht abgeschoben werden, zum Beispiel, weil sie keine Ausweisdokumente haben oder krank sind. Nur ganz selten scheitern Abschiebungen am Widerstand des Ausreisepflichtigen.

 

Info: Das Dublin-Verfahren und seine Probleme

Die Dublin-Verordnung ist Kernstück des europäischen Asylsystems und gilt für alle EU-Mitgliedstaaten sowie in der Schweiz, Norwegen, Liechtenstein und Island. Sie soll sicherstellen, dass jeder Asylantrag nur einmal geprüft wird. Die Zuständigkeit für diese Prüfung und damit auch Versorgung des Schutzsuchenden liegt in der Regel beim Erstaufnahmestaat.

Diese Regelung ist zugleich auch Problem von Dublin: Es nimmt die Staaten an der Süd- und Südost-Grenze der EU mehr in die Pflicht als Staaten in der Mitte des Kontinents, weil Geflüchtete EU-Boden in der Regel zuerst in diesen Staaten betreten. Laut der Dublin-Regel sind diese Staaten dann für das Asylverfahren zuständig.

Mehrfach wurde das europäische Asylsystem deshalb angepasst. Die in diesem Jahr beschlossene Reform sieht einen Solidaritätsmechanismus zur Entlastung der Grenzstaaten sowie Asylzentren an den Grenzen vor, die bei besserer Steuerung und Koordinierung helfen sollen.

Auch mit dem reformierten Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS) bleibt es künftig aber im Grundsatz bei der Dublin-Regelung, die auch vorsieht, dass die als zuständig geltenden Aufnahmestaaten Asylbewerber zurücknehmen, wenn sie in ein anderes Land weitergereist sind, beispielsweise nach Deutschland.

Diese sogenannten Überstellungen finden aber nur in einer Minderheit der Fälle statt. Von fast 75.000 gestellten Übernahmeersuchen aus Deutschland wurden im vergangenen Jahr laut Bundesinnenministerium rund 22.500 abgelehnt, knapp 56.000 bewilligt. Nur rund 5.000 Überstellungen fanden tatsächlich statt. Im ersten Halbjahr dieses Jahres wurde mehr als 21.000 Ersuchen zugestimmt, knapp 37.000 Ersuchen waren es insgesamt, und gut 3.000 Überstellungen gab es.

Ab Zustimmung des zuständigen Staates hat der andere ein halbes Jahr Zeit für die Überstellung, ansonsten ist der andere Staat automatisch selbst für den Antragsteller zuständig. Gilt der Asylbewerber als flüchtig, verlängert sich die Frist auf 18 Monate. Deshalb gewähren Kirchen in Deutschland Geflüchteten Kirchenasyl, um die Sechs-Monats-Frist zur Überstellung verstreichen zu lassen. Mit der Asylreform soll künftig jedoch eine Verlängerung der Überstellungsfrist auf drei Jahre möglich sein.

Mehr als 14.000 gescheiterte Abschiebungen

Im ersten Halbjahr 2024 scheiterten 14.067 Abschiebungen vor der Übergabe an die Bundespolizei, zum Beispiel, weil Flüge gestrichen wurden, Menschen nicht anzutreffen oder krank waren oder aus anderen auch organisatorischen Gründen. 534 Abschiebungen wurden während oder nach Übernahme durch die Bundespolizei abgebrochen. Gründe können hier sein, dass sich Fluggesellschaften oder Piloten weigern, Betroffene mitzunehmen, auch „Widerstandshandlungen“ werden genannt, medizinische Gründe oder laufende juristische Verfahren.

Die Linken-Abgeordnete Clara Bünger sagte, immer wieder werde nach mehr Abschiebungen gerufen, dabei steige die Zahl seit Jahren kontinuierlich an. „Nach dem Terroranschlag von Solingen werden erneut reflexhafte Rufe nach mehr Abschiebungen laut. Dazu muss gesagt werden: Abschiebungen sind keine Maßnahmen der Prävention von Kriminalität. Sie werden den Islamismus nicht einhegen.“ Es brauche handfeste Strategien der Kriminalitätsprävention und Jugendsozialarbeit. (dpa/epd/mig) Aktuell Panorama

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