Nebenan
An Tagen wie diesen – oder: Wahn? Sinn!
Warum die AfD Wahlen gewinnt? Na, weil #AfDwirkt. Dieser Hashtag wird Tag für Tag von demokratischen Parteien mit Leben gefüllt – außer bei Omas und Opas.
Von Sven Bensmann Montag, 02.09.2024, 10:12 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 02.09.2024, 8:06 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Neun Tote in sieben Tagen. Zugegeben, diese nicht repräsentative Stichprobe einer beliebigen Woche mit Meldungen, die der keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebende Subreddit r/RentnerfahreninDinge da gesammelt hat, ist genau das und hat daher allenfalls anektdotischen Wert. Und doch: Ohne wie Heath Ledgers Joker klingen zu wollen: Wenn Rentner nicht bereit sind, ihren Führerschein abzugeben und in der Folge Kinder, Freunde, Passanten totfahren, scheint das bereits in unser Leben eingepreist zu sein. Aber ein einzelner 26-Jähriger ersticht drei Menschen – and everbody loses their shit.
Warum eigentlich? Sind erstochene Menschen wertvoller als überfahrene? Oder ist es schlicht einfacher, auf einen braunhäutigen Fremden zu zeigen, als endlich mit Opa und Oma über das Autofahren zu sprechen? Und wovor sollten wir eigentlich mehr Angst haben? Dass alle paar Jahre mal einer durchdreht, oder dass jede Woche Nachbarn oder Familienmitglieder Gaspedal und Bremse verwechseln? Terror soll ja genau das erzeugen: Angst. Autofahrer über 70 sind Terroristen. Oder etwa nicht?
Ja, der rechtsextreme Terror ist, passend zu den Wahlen in Ostdeutschland, zurück. Machen wir uns auch da nichts vor, der islamistische Terrorismus ist genau das: ultrakonservativer, rechtsextremer Terrorismus, der sich qualitativ nicht von dem des NSU oder dem Attentat von Halle unterscheidet. Islamisten kämpfen halt nicht für die 4-Tage-Woche, Multikulti oder dafür, Springer zu enteignen. Islamisten wollen dasselbe, was alle Rechten wollen: Freiheit nur für die herrschende Klasse, Frauen am Herd, ausgebeutete Arbeiter und natürlich Kulturkampf statt Klassenkampf.
Vielleicht ist es daher gar nicht so überraschend, wenn sich derzeit wieder einmal vor allem die Parteien aus dem rechten Spektrum darum bemühen, „mit dem Teufel“ zu sprechen, um an der Seite der Schlächter von Damaskus und Kabul gegen deren Opposition vorzugehen – und zu fordern, alle, die den Fängen von al-Assad und Taliban entkommen sind, zurück in deren Foltergefängnisse zu treiben. Wer als Politiker der (noch) größten Oppositionspartei so redet, sollte sich über AfD-Wahlsiege allerdings nicht wundern.
„Es ist beängstigend, wie sich heute beinahe sämtliche Parteien des demokratischen Spektrums nicht mehr nur dem Druck eines rechten Mobs ergeben…, sondern proaktiv auf dessen Narrativ einschwenken.“
Merz will darüber hinaus aber sogar noch die beiden von ihm als solche wahrgenommenen Bürgerrechtsparteien Grüne und FDP möglichst gänzlich übergehen – und zwar obwohl die FDP ohnehin mit an Bord ist, weil für sie Arme eh gar keine echten Menschen sind, während selbst die Grünen in die Remigrationsrhetorik mit einstimmen. Es ist beängstigend, wie sich heute beinahe sämtliche Parteien des demokratischen Spektrums nicht mehr nur dem Druck eines rechten Mobs ergeben, wie das schlimm genug wäre, sondern proaktiv auf dessen Narrativ einschwenken, als hätten sie seit Monaten und Jahren darauf gewartet, dass sich doch endlich wieder ein Anlass ergeben möge, Menschen nicht mehr wie Menschen behandeln zu müssen. Im Umfeld der Wahlen wurde dabei zuletzt immer wieder das Gespenst einer regierenden AfD an die Wand gemalt, in völliger Verkennung der Realität: schon jetzt regiert sie überall mit. #AfDwirkt ist nicht bloß ein leerer Hashtag, er wird Tag für Tag von Vertretern der demokratischen Parteien mit Leben gefüllt.
Die Forderung zur Einführung einer Sippenhaft und der Generalverdacht gegen bestimmte Gruppen von Migranten, die man möglichst von Menschenrechten komplett ausschließen möchte, wird aber natürlich das Problem des Islamismus nicht schmälern. Ganz im Gegenteil: Wer jeden Tag von der Mehrheitsgesellschaft vor Augen geführt bekommt, dass er oder sie nicht dazu gehört und nicht gewollt ist, wird sich in der Opposition zu ebendieser Mehrheitsgesellschaft einrichten und ist irgendwann vielleicht leichte Beute für Hassprediger und deren Angebot von Würde.
Wer im Nächsten Osten zurückbleibt, während die Jungen, vor allem junge Frauen, wegziehen, wer zusehen muss, wie auf dem Land die Infrastruktur wegbricht und sich folgend als Jammer-Ossi denunzieren lässt, macht womöglich dasselbe durch: Erst, wenn einem ein Bernd Höcke von zurückeroberter Männlichkeit vorstammelt, fühlt man sich wieder wie jemand. Das aber macht ja nicht per se alle Deutschen zu sexlosen Jammerlappen aus Kuhkäffern, in denen die eigene Mama die letzte verbliebene Frau ist. Und nur weil wir diese Umstände vor allem dem Osten zuschreiben, wird das Saarland dadurch nicht zu einem sicheren Herkunftsland.
Mehr noch: Wer als Deutsche/r erkennbar im Ausland (außerhalb von Touristenfallen) oder im Internet unterwegs ist, wird gelegentlich noch mit der Idee in Kontakt kommen, alle Deutschen seien Nazis. Die meisten von uns sind von diesem Vorwurf angewidert. Zu glauben, Menschen, die vor islamistischer Gewalt nach Deutschland geflüchtet sind und nun pauschal als Islamisten denunziert werden, ginge es anders, ist mindestens absurd.
„Weder Syrer, noch Afghanen, noch Juden oder Deutsche sind in ihrer Gesamtheit Heilige. Wir sind alle nur Menschen.“
Syrer und Afghanen heute in ihre Heimatländer abzuschieben, wenn sie sich nichts haben zu Schulden kommen lassen, erinnert mich zudem fatal an jene Irrfahrt der St. Louis im 2. Weltkrieg, als jenes Schiff, beladen mit fast 1.000 Juden auf der Flucht vor den Nazis nirgendwo anlanden durfte, bis es schließlich zurück in die Fänge der Nazis geschickt wurde. Weniger als die Hälfte der Passagiere, vor allem jene, deren gültiges Visum in Kuba auch anerkannt worden war oder die nach Großbritannien gelangten, überlebten die Shoah.
Weder Syrer, noch Afghanen, noch Juden oder Deutsche sind in ihrer Gesamtheit Heilige. Wir sind alle nur Menschen. Die einen für die anderen in Sippenhaft zu nehmen, heißt aber, Unschuldige in den Tod zu schicken. Als Gesellschaft akzeptieren wir, dass 80- und 90-jährige Menschen noch mit dem Auto unterwegs sind. Wir begründen das mit Mobilität im Alter und akzeptieren, dass dies zwangsläufig auch Menschen das Leben kosten wird. Warum schaffen wir es da nicht, Menschen Asyl zu gewähren, bei denen es um weit mehr geht, als nur selbständig zum Bäcker und gelegentlich eben auch in die Bäckerei fahren zu können, selbst wenn das bedeutet, dass auch unter diesen sich solche befinden, die niemand von uns zum Nachbarn haben will? Meinung
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Der Anschlag in Solingen kam ja für viele „Interessenvertreter“ in Deutschland wie gerufen und wie bestellt. Kurz vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen…was für ein Timing! Nein! Nicht der Anschlag in Solingen dieses Jahr im April, wo ein deutscher Christ aus rechtsextremistisch-rassistischen Hass-Beweggründen eine 4-köpfige türkisch-bulgarische Familie, darunter ein 4-monatiger Säugling und ein 3-jähriges Kind per Brandanschlag ermordet und ausgelöscht hatte, sondern dieser Messer-Angriff während eines Volksfestes in Solingen. Die Ermordung der ganzen Familie in Solingen hatte eine mediale Halbwertzeit von maximal 2 Tagen sowie absolut keine Konsequenzen trotzdem so etwas haargenau gleiches in Solingen bereits 1993 wieder durch einen Rechtsextremisten durchgeführt wurde und damals zu der Ermordung der ganzen Familie Genc führte, der Anschlag auf die Volksfestbesucher in Solingen ist heute noch in allen Medien Deutschlands wahlergebnissbeeinfließendes Thema Nr. 1. Wer solche gut getimtem Anschläge wie durch diesen angeblichen IS-Täter mit „Cui Bono“ hinterfragt, wird sehr schnell dahinter kommen, wer diesbezüglich die wirklichen Strippenzieher und Hintermänner sind.
Es ist erschreckend welche Parolen und absurder Quatsch jetzt auch von gestandenen Parteien verbreitet wird. Das löst das vermeintliche Problem nicht.
Natürlich ist es schlimm, was da in Solingen passiert ist (und anderen Orten) und auch durch nichts zu entschuldigen. Aber war es nicht auch vorhersehbar? Wenn die Integration nicht funktioniert, dürfen wir uns nicht wundern, wenn ausgegrenzte Menschen radikal werden … zumindest Radikalität dulden.
Man (die Politik) hat in den letzten zehn Jahren nichts dazu gelernt. Und man (die Politik) wundert sich dann, wenn etwas passiert. Dann gibt es ein paar Wochen Aufregung, Talk-Shows mit absurden Thesen und Argumente, triefend vor Polemik, und dann … weiter so.
So wird es nicht funktionieren !!!