Thüringen & Sachsen
Experten besorgt über Wahlverhalten junger Wähler
Die AfD kam bei jungen Wählern in Sachsen und Thüringen auf Platz eins. Das hat viel mit sozialen Medien zu tun, sagt ein Forscher. „Schule ohne Rassismus“ beklagt dramatischsten Rechtsruck seit 1949. Der Antisemitismusbeauftragte fordert Aufarbeitung des Wahlverhaltens.
Dienstag, 03.09.2024, 10:05 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 03.09.2024, 10:02 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Das gute Abschneiden der AfD bei jungen Wählern ist aus Sicht eines Experten auch Ausdruck einer Normalisierung der Partei. „Die AfD wird nicht als unmittelbar rechtsextrem wahrgenommen“, sagte der Generationenforscher Rüdiger Maas der Deutschen Presse-Agentur. Viele junge Menschen schätzten sich selbst als politisch mittig ein, wählten dann aber AfD, so Maas, der kürzlich eine Studie zu dem Thema veröffentlicht hat. Die Partei wird sowohl in Sachsen als auch in Thüringen vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft.
Die klassische Aufteilung der Parteienlandschaft in links und rechts verliere für junge Wähler an Bedeutung, sagte Maas weiter. „Dadurch rutschen diese Extremparteien auch nicht an die Ränder.“ Es gebe unter jungen Leuten auch eine hohe Toleranz gegenüber AfD-Wählern im Freundeskreis. „Uns haben viele junge Leute gesagt: ‚Die Rechtsextremen tun uns nichts, die sind nicht böse‘. Diese Gefahr scheinen vor allem ältere Menschen zu sehen. Das wird völlig unterschätzt.“
AfD bei Jungen mit Abstand stärkste Kraft
Bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen wurde die AfD bei jungen Wählern jeweils mit deutlichem Abstand stärkste Kraft. In Thüringen setzten laut Forschungsgruppe Wahlen 36 Prozent der Menschen zwischen 18 und 29 ihr Kreuz bei der AfD. Das waren 11 Prozentpunkte mehr als bei der Landtagswahl 2019. CDU und Linke landeten mit je 13 Prozent auf Rang zwei. In Sachsen wählten 30 Prozent in der Altersgruppe die AfD und damit 9 Prozentpunkte mehr als vor fünf Jahren. Hier kam die CDU mit 15 Prozent auf den zweiten Platz.
Ein ähnliches Bild erwarte er für die anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg, sagte Maas. Der Erfolg der AfD in der Altersgruppe und die Normalisierung der Partei seien vor allem auf die Bespielung der sozialen Netzwerke zu erklären. „AfD-Themen funktionieren auf Social Media nun mal viel besser als SPD- oder CDU-Themen“, sagte Maas. Außerdem habe die Partei gezielt Influencer aufgebaut, die eine große Reichweite erlangten.
Junge Menschen nähmen auch befeuert durch Social Media die AfD eher als eine Partei wahr, die von anderen stark benachteiligt werde. „Da gibt es wenig Korrektiv.“ Keine Rolle spiele für viele hingegen, dass die Partei aktuell gar keine realen Koalitionsoptionen in den Ländern habe. „Das kriegt man auf Social Media auch nicht so mit.“ Andere Parteien hätten da nur eine Chance, wenn sie schnell viel Geld investierten und ebenfalls auf reichweitenstarke Persönlichkeiten im Netz setzten, so Maas.
Dramatischster Rechtsruck unter jungen Menschen seit 1949
In der Pflicht sieht die Direktorin der Bundeskoordination „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“, Sanem Kleff, Schulen und Lehrer. Die Schule solle demokratische Werte und kritisches Denken fördern. „Das bedeutet: Lehrkräfte sollen sich nicht neutral verhalten – sondern auf Basis des Grundgesetzes eine klare Haltung zum Beispiel gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus, Gewaltverherrlichung und menschenverachtende Aussagen zeigen.“
Der Rechtsruck unter jungen Wählerinnen und Wählern habe nicht nur eine Ursache, erklärte Kleff weiter. Es sei nötig, sich „noch stärker mit den Langzeitfolgen der Pandemie für die Jugendlichen zu beschäftigen, ebenso mit den Auswirkungen der Kriege in der Ukraine und in Gaza auf die junge Generation“. Das sei der „dramatischste Rechtsruck unter jungen Menschen, den die Bundesrepublik seit 1949 innerhalb einer Wahlperiode jemals erlebt hat“.
Antisemitismusbeauftragter: Wahlverhalten aufarbeiten
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, fordert eine schonungslose Aufarbeitung des Wahlverhaltens. „Der Wahlausgang in Sachsen und Thüringen hat auf bedrückende Art und Weise gezeigt, dass zu viele Bürgerinnen und Bürger entweder aus Protest oder aus Überzeugung autoritäre, rassistische Grundhaltungen den demokratischen, freiheitlichen Werten vorziehen“, sagte Klein den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Klein rief zugleich dazu auf, handlungsfähige Landesregierungen zu bilden, die demokratische Grundwerte stärkten. „Eine Politik, die die Abkehr von der Verantwortung für die deutsche NS-Vergangenheit propagiert, ist gerade in Thüringen, wo sich mit der KZ-Gedenkstätte Buchenwald eine der wichtigsten Gedenkstätten bundesweit befindet, völlig inakzeptabel“, unterstrich der Antisemitismusbeauftragte. (dpa/epd/mig) Aktuell Gesellschaft
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