Joel Schülin, Architekt, Urbanist, Visual Researcher, MiGAZIN, Kolumne
Joel Schülin, Architekt und Visual Researcher © MiG

Brandmuster

Schwelbrand

Ob in Form von Anschlägen, absichtlich gelegt oder die Folge eines technischen Defekts – Brände in Geflüchtetenunterkünften sind ein wiederkehrendes Phänomen in Deutschland. Aber wie reden wir eigentlich über Feuer?

Von Dienstag, 08.10.2024, 10:04 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 08.10.2024, 9:26 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Am 26. August 1984 verbrennen sieben Menschen mit türkischer Migrationsbiographie in den Flammen eines Mehrfamilienhauses in Duisburg-Wanheimerort: Döndü Satır, 40 Jahre, Zeliha Turhan, 18 Jahre, Rasim Turhan, 15 Jahre, Tarık Turhan, 50 Tage, Çiğdem Satır, 7 Jahre, Ümit Satır, 5 Jahre, and Songül Satır, 4 Jahre. Eine deutsche Täterin wird 1992 wegen Pyromanie in eine psychiatrische Einrichtung überwiesen, wo sie 2010 stirbt. Der siebenfache Mord gilt trotz der intensiven politischen Arbeit verschiedener Organisationen wie der Initiative Duisburg 1984 bis heute nicht als rechts-motiviert.

Am 19. Februar 2003 legen Bewohner:innen der Geflüchtetenunterkunft in Kleinaitingen einen Brand, um gegen die räumliche Isolation ihrer Unterkunft zu protestieren. Die Kleinstadt liegt 20 Kilometer vor Augsburg, flankiert von einem Meer aus landwirtschaftlich genutzten Feldern und einer Bundesstraße. Aufgrund der Residenzpflicht wird eine Genehmigung der Ausländerbehörde benötigt, um die benachbarte Stadt zu besuchen.

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In den frühen Morgenstunden des 4. Juni 2023, erstickt ein 8-jähriger ukrainischer Junge in den Flammen einer Geflüchtetenunterkunft in Apolda. Während Medienhäuser und Politiker:innen eine schnellstmögliche Aufklärung verlangen und ein möglicher Brandanschlag die Politik und Gesellschaft in Atem hält, kristallisiert sich heraus, dass der Brand durch einen technischen Defekt verursacht wurde. Der verstorbene Junge verlässt mit der gleichen Geschwindigkeit die Schlagzeilen, wie er sie betreten hat.

„Wenn wir über Feuer in Geflüchtetenlagern und privaten Wohnräumen migrantisierter Personen sprechen, müssen wir den Blick weiten.“

Bilder von Duisburg-Wanheimerort 1984, Mölln 1992, Solingen 1993 und etlichen anderen Anschlägen stehen symbolisch für die extrem-rechte Gewalt gegen migrantisierte Personen in Deutschland. Wie Kleinaitingen und Apolda jedoch zeigen, treten Brände, auch wenn in deutlich schwächerer Ausprägung, auch in anderer Gestalt auf. In Kleinaitingen 2003 bspw. wurde Feuer durch Bewohnende der Containerunterkunft als Mittel des Protests gegen die staatlich auferlegte Prekarisierung genutzt. Der Brand in Apolda 2023 hebt hervor, dass auch ein technischer Defekt zu verheerenden Folgen führen kann.

Deutlich wird: wenn wir über Feuer in Geflüchtetenlagern und privaten Wohnräumen migrantisierter Personen sprechen, müssen wir den Blick weiten. Während dem rechten Kontinuum von Brandanschlägen Anfänge der 1990er Jahre und zwischen 2015 und 2017 offensichtlich eine politische Tragweite zugesprochen werden kann, verstummt der Diskurs bei Brandstiftung durch Geflüchtete und Feuer durch technische Defekte. Entpolitisiert und reduziert auf den kurzen Moment der Entzündung scheint dem Feuer ‘von innen’ keine größere Bedeutung zugemessen werden zu müssen.

„Schaut man sich jedoch die Kontinuität von Bränden in Lebensräumen migrantisierter Personen an, wird deutlich, dass der Ursprung des Feuers keineswegs unpolitisch ist.“

Schaut man sich jedoch die Kontinuität von Bränden in Lebensräumen migrantisierter Personen an, wird deutlich, dass der Ursprung des Feuers keineswegs unpolitisch ist. Vielmehr lassen sich gerade durch das Feuer die Folgen einer jahrzehntelangen staatlichen Marginalisierungspolitik von Geflüchteten erkennen. Rassistische Gesetzgebungen der 1980er und 1990er Jahre, wie das Arbeitsverbot von Asylsuchenden 1980, das Asylverfahrensgesetz 1982 oder das Asylbewerberleistungsgesetz von 1993 können im Kontext der rassifizierenden Bildpolitik von Medienhäusern wie der „Bild“ oder dem „Spiegel“ und der rhetorischen Rahmung von Migration durch Politiker:innen und Journalist:innen gelesen werden.

Die materielle Ausprägung von architektonischen Typologien für Asylsuchende und Geflüchtete ist hier zentral. Mit der Konstruktion von ‚Asylunterkünften‘ in den 80ern wird auch ein Bild des ‚Anderen‘ produziert, das Menschen bis heute im Asylprozess automatisch anonymisiert und aus der deutschen Mehrheitsgesellschaft exkludiert. Während in den 1980er Jahren von Politiker:innen noch offen von einer gewollten Politik der Abschreckung gesprochen wurde, scheint das deutsche Migrationsregime mit seiner diskriminierenden und freiheitsberaubenden Charakteristik heute ein ganz natürlicher Bestandteil der Migrationspolitik. In langwierigen und undurchsichtigen Bürokratieschleifen wird Zeit zum staatlichen Mittel der Unterdrückung von Geflüchteten.

„Das Feuer durch technischen Defekt hebt hervor, dass dem Geflüchtetenlager grundsätzlich eine Brandgefahr innewohnt.“

Im Moment der Immobilisierung von Geflüchteten, können Brandanschläge ‚von außen‘ durch rechte oder vermeintliche Einzeltäter:innen als Angriff gegen das konstruierte ‚Andere‘ in Architektur, Rhetorik, Gesetzen und Politiken verstanden werden. Brände ‘von innen’ durch migrantisierte Personen wiederum richten sich gegen die bzw. sind Ausdruck der räumlichen Marginalisierung und prekären Lebensbedingungen in Lagern. Zuletzt hebt das Feuer durch technischen Defekt hervor, dass dem Geflüchtetenlager grundsätzlich eine Brandgefahr innewohnt.

Schauen wir uns demnach Brände im Kontext der anhaltenden deutschen Rassismusgeschichte in ihren unterschiedlichen Facetten an, wird deutlich, dass wir diesen Diskurs nicht ohne die staatliche Verantwortung begreifen können, die ihm zu Grunde liegt.

„Der Schwelbrand, der durch migrationsfeindliche Rhetorik und Politik befeuert wird, lässt sich nur dann löschen, wenn konstruktiv über ihn gesprochen wird.“

Der Schwelbrand, der durch migrationsfeindliche Rhetorik und Politik immer wieder wortwörtlich befeuert wird, lässt sich nur dann löschen, wenn konstruktiv über ihn gesprochen wird. Das bedeutet nicht nur, der jahrzehntelangen Kritik migrantisierter Personen zuzuhören, sondern auch das Migrationsregime an sich neu auszudiskutieren.

In den folgenden Beiträgen dieser Kolumne stellen sich folgende Fragen: Wie können wir Brandreden und polemische Beiträge zur Migration als Vorbotin für rechte Brandanschläge begreifen? Inwiefern können wir Brandstiftungen durch Bewohnende von Geflüchtetenlagern als Protest gegen die auferlegte Prekarisierung verstehen? Und warum betrachten wir Feuer durch technische Defekte eigentlich als ‘Unfälle’ und nicht als Politikum? Meinung

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