Nebenan
SPD in der CDU angekommen
Die SPD hat eine neue Liebe: die „arbeitende Mitte“ – die Sandburgbauer. Alle anderen hungern. Wer unter der 10-Prozent-Hürde bleibt, fliegt – nicht im Privatjet.
Von Sven Bensmann Montag, 14.10.2024, 10:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 14.10.2024, 8:34 Uhr Lesedauer: 7 Minuten |
Deutschland rückt nach rechts. Jeden Tag ein Stückchen weiter. Was das bedeutet, sieht man auch an Meldungen wie dieser: Der SPD-Vorstand trifft sich zur Klausur, will „den Zustand der Partei“ beraten und wie es mit dem Bundeswahlkampf nun weitergehe: Auf die „arbeitende Mitte“ will sich die SPD dabei zukünftig fokussieren. So definiert die CDU/CSU seit jeher ihr Klientel. Und von der „arbeitenden Mitte“ ist es nur noch ein kleiner Schritt zum „Leistungsträger“.
Vor allem aber bedeutet es: Die SPD wendet sich von denen ab, die nicht arbeiten können oder dürfen: Wer sich um Kinder oder Eltern kümmern muss, wer aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeiten kann, wer – noch banaler – einfach keine Stelle findet, weil an der eigenen Arbeitskraft kein Bedarf herrscht und natürlich alle, die schon deshalb nicht hier arbeiten dürfen, weil sie nicht in diesem Land geboren wurden, kurz: all die, die Hilfe brauchen, die den Sozialstaat brauchen, die die Sozialdemokratie brauchen – und die zuletzt auch alle Angehörigen der „arbeitenden Mitte“ brauchen, um sie nicht mit einer drohenden Kündigung erpressbar zu machen – sie finden in dieser SPD nicht mehr statt.
Auch staatliche Repression – im Jargon der Bürgerlichen gern als „innere Sicherheit“ geframed – hat die SPD für sich entdeckt. Die ehemalige Partei der RAF-Anwälte hat heute wenig Skrupel, Menschen, die man nicht abschieben kann, hungern zu lassen, selbst wenn sie noch Kinder sind. Denn wer hungert, der ist weniger anfällig für die Erzählungen der Prediger vom Himmelreich: Auch hierzulande fasste die katholische Kirche schließlich erst Fuß, als der Hunger besiegt war – und seitdem geht es steil bergauf.
Die SPD stellt die Abschiebungsstatistiken damit auch über deutsches Recht und menschliches Leben – nicht zuletzt, indem sie aktuell fordert, Menschen aus Ländern „mit geringer Anerkennungsquote“ einfach pauschal abzuweisen. Man stelle sich eine solche Regelung einmal an anderer Stelle vor: „Wir haben festgestellt, dass in den Führungen deutscher DAX-Konzerne nur etwa 10 Prozent Frauen vertreten sind. Aufgrund dieser geringen Durchdringungsquote haben wir uns entschieden, Frauen in DAX-Konzernvorständen generell nicht mehr zuzulassen.“ Oder: „Wir haben festgestellt, dass nur 10 Prozent der Studenten an unserer Universität Arbeiterkinder sind. Aufgrund der geringen Einschreibungsquote schicken wir all jene, die nicht nachweisen können, dass Mutter oder Vater selbst Akademiker waren, zukünftig direkt an der Immatrikulationsstelle wieder nach Hause.“
„Wenn 10 Prozent der Landsleute Asyl gewährt bekommen, weil Leib und Leben bedroht sind, dann verschwindet die Gefahr für sie nicht, nur weil 90 Prozent der Landsleute das Asyl verwehrt wurde.“
Nun, man kann ja halbwegs anständig leben, ohne einen DAX-Konzern zu leiten – ich spreche aus Erfahrung. Wenn aber 10 Prozent der Landsleute Asyl gewährt bekommen, weil Leib und Leben bedroht sind, dann verschwindet die Gefahr für sie nicht, nur weil 90 Prozent der Landsleute das Asyl verwehrt wurde: Endeten 10 Prozent aller Zugfahrten in einem schweren Unfall mit Toten, wir würden ja auch keine Witze mehr über die Pünktlichkeit der Deutschen Bahn machen.
Das Scholz sich darüber hinaus nicht entblödet, all die Arbeitslosen zu verhöhnen, indem er seinem deutschen Volk erklärt, dass doch eigentlich alle gern arbeiteten, das sehe man schon daran, dass die Menschen am Strand gern Sandburgen bauten und schon deshalb geboten sei, sich auf diejenigen zu konzentrieren, die bereits einen Job haben. Es markiert wohl den ganzen Zynismus der heutigen SPD.
Herr Scholz, drei Fragen habe ich an sie:
- Nicht jeder in Deutschland verdient das fürstliche Gehalt eines Bundeskanzlers und kann sich überhaupt den Urlaub am Strand leisten. Ich weiß, sie haben gelegentlich Probleme mit dem Erinnerungsvermögen, aber das sollte ihnen doch bewusst sein?
- Am Strand sehe ich erwachsene Menschen zumeist dabei, im Sand zu liegen und zu entspannen. Die Art von Menschen, die Sandburgen baut, bezeichnen wir gemeinhin als „Kinder“. Wird die SPD zukünftig Sanktionen gegen 6-Jährige fordern, die nicht in Vollzeit arbeiten?
- Ja, auch erwachsene Menschen bauen gelegentlich Sandburgen. Der Grund dafür liegt hierin: Diese Form der Arbeit, fernab von Produktivitätsvorgaben, Deadlines und cholerischen Chefs, ist entspannend und erfüllend für diese oft bezeichneten „Eltern“, weil sie dabei in erster Linie Zeit mit ihren Kindern verbringen – drei Qualitäten übrigens, die sich nicht so einfach auf jene Art von Arbeit übertragen lassen, die ein „Uringlas“ voraussetzt, weil keine Zeit für eine Pinkelpause ist – und die, die SPD durch die Hartz-IV-Reformen massiv gefördert hat. Ist die SPD bereit, Eltern dafür zu bezahlen, sich um ihre Kinder zu kümmern, mit ihnen zu spielen und Sandburgen zu bauen? Wir könnten es „Bürgergeld“ nennen oder „bedingungsloses Grundeinkommen“ und nicht einmal einen Sandburgenerrichtungsnachweis einfordern, weil das doch nur wieder Deadlines und Produktivitätsvorgaben etablierte. Wir könnten dieses Geld jedem auszahlen, der hier lebt, egal ob kinderlos oder nicht, Erwachsener oder Kind, Deutscher oder nur hier lebend, ohne Druck in einer Form, die eine aktive Lebensgestaltung erlaubt – und dann zuschauen, wie Millionen Menschen eine erfüllende, bedeutsame Arbeit aufnehmen, statt für Almosen zu schuften.
Ein Großteil der Arbeit in diesem Land wird nämlich geleistet, weil die sie Ausübenden fürchten, ansonsten abends keine Stulle mehr auf den Tisch zu bekommen, bei den Archen betteln zu müssen und von Menschen mit SPD-Mindset als Schmarotzer diffamiert zu werden. Dabei ist es genau dieser Druck, der dazu führt, dass die Arbeit in einer Weise bezahlt wird, dass ebendiese Stulle am Ende oft nicht einmal mehr belegt ist. Daran ändert auch die Forderung nach einem Mindestlohn von 15 Euro, von dem die Partei genau weiß, dass sie ohnehin keine Option hat, ihn umzusetzen, genau: gar nichts.
Wer als Vertreter einer ehedem linken, selten einmal sogar stolzen, Partei so redet, darf sich jedenfalls nicht wundern, wenn linke Hoffnungsträger aufgeben und letztlich an Wahltagen vor der 5%-Hürde gezittert wird: Die Lücke, die Friedrich Merz in der Mitte gerissen hat, wird jedenfalls nicht ausreichen, um so viele Wähler zurückzugewinnen, wie links aufgegeben werden. Wo diese Wähler angesichts der Schwäche der Linken landen werden, braucht nicht allzu viel Fantasie: Genau da, wo Vladimir Vladimirovich Putin sie haben will.
In einer Welt, in der Superreiche ihre eigenen kleinen Steueroasen auf Hochsee planen, ist das fatal. Während der CEO von Google erklärt, dass er mal durchgerechnet habe: Man hätte jetzt lange genug die Hände in den Schoß gelegt, um zuversichtlich sagen zu können, dass das mit dem Klimawandel durch ist und man dementsprechend jetzt nochmal ordentlich ballern solle – und der letzte mache dann das Licht aus. Wenn jeder weiß, dass die Konzentration von Reichtum der treibende Faktor für die Verarmung des Rests der Welt ist, dann dürfen sich all jene, die sich kein Privatflugzeug leisten können, nicht von jenen auseinanderdividieren lassen, die das können. Reichtum ist international organisiert – Armut darf sich nicht in Nationalismen ergeben.
„Wenn sich arme Menschen gegen arme Menschen aufhetzen lassen, weil sie sich einreden lassen, die anderen seien fremd oder faul oder gefährlich, dann lachen sich all diejenigen ins Fäustchen, die an der Armut gut verdienen.“
Dabei sage ich ja gar nicht, dass die Antwort auf die drängendsten Probleme dieser Welt so einfach wäre, dass man nur einen Galgen auf jedem Marktplatz dieses Landes aufstellen und die Grenzen nach außen – nicht nach innen – schließen müsste, um dann anzufangen, einen, vielleicht auch zwei oder drei Milliardäre, live übertragen, zu hängen, weil dann innerhalb kürzester Zeit die unbedingt notwendigen Weichenstellungen getan wären. Das wäre Populismus. Ich werde auch keinen Witz darüber machen, dass es „zumindest ein guter Anfang wäre“: Das wäre nur zynisch. Was ich aber sage, ist: Wenn sich arme Menschen gegen arme Menschen aufhetzen lassen, weil sie sich einreden lassen, die anderen seien fremd oder faul oder gefährlich, dann lachen sich all diejenigen ins Fäustchen, die an der Armut gut verdienen.
Dass die SPD dieser Tage ein weiteres Mal so entschlossen bekräftigt, wie überzeugt sie auf der falschen Seite der Geschichte steht, überrascht zwar nicht, aber es schmerzt. Es ist ein altes Lied, das nie an Aktualität verliert:
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