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Die ersten Geflüchteten in Italiens Lagern in Albanien angekommen © Adnan Beci/AFP

Lager der Abschreckung

Erste Geflüchtete in italienischen Lagern in Albanien angekommen

Im Schnellverfahren und außerhalb der EU will Italien in Flüchtlingslagern in Albanien Asylverfahren abwickeln. Nun sind dort die ersten Geflüchteten angekommen. Andere EU-Länder schauen interessiert zu. Menschenrechtler protestieren.

Von Mittwoch, 16.10.2024, 14:10 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 16.10.2024, 17:15 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Nach monatelanger Verzögerung geht Italiens Asyl-Experiment an den Start: Erstmals hat die italienische Marine am Mittwoch Geflüchtete nach Albanien gebracht, wo sie in speziellen Lagern ein Asylverfahren nach italienischem Recht durchlaufen. 16 Männer aus Ägypten und Bangladesch kamen morgens in der Hafenstadt Shengjin an und wurden von Sicherheitskräften in ein Aufnahmezentrum begleitet, wie im Fernsehen zu sehen war.

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Italien ist der erste EU-Staat, der Geflüchtete in Lager außerhalb der EU unterbringt. Die Männer hatten zuvor versucht, in einem Flüchtlingsboot irregulär nach Europa einzureisen. Mit „irregulär“ sind Einreisen von Menschen gemeint, die mangels legaler Fluchtwege Grenzen ohne gültige Dokumente passieren.

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Später sollen die Geflüchteten ins Hauptlager in Gjader im Landesinnern überführt werden. Dort will Rom exterritorial Asylanträge im Schnellverfahren prüfen und Abschiebungen schneller abwickeln. Diejenigen, die Anspruch auf Asyl haben, werden nach Italien überstellt. Wer abgelehnt wird, soll in sein Herkunftsland zurückgeschickt werden.

Flüchtlingslager der Abschreckung

Damit läuft die von Italiens rechter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und ihrem albanischen Amtskollegen Edi Rama vergangenes Jahr verhandelte Vereinbarung nun offiziell an. Der Plan: Asylverfahren werden aus Italien ausgelagert und Abschiebungen vereinfacht. Meloni hatte auch betont, dass die Flüchtlingslager der Abschreckung dienen sollen. Zur Ankunft der ersten Gruppe gab es zunächst keine offizielle Verlautbarung des italienischen Innenministeriums.

Eingewiesen werden nur Männer aus als sicher eingestuften Herkunftsländern, die auf dem Weg über das Mittelmeer nach Europa von Schiffen der italienischen Behörden aufgegriffen werden. Bevor sie nach Albanien gebracht werden, erfolgt an Bord eine erste Überprüfung. Ausgenommen von der Verschiffung nach Albanien sind Frauen, Kinder, Kranke sowie Folteropfer. Menschen, die Italiens Küsten aus eigener Kraft erreichen oder von zivilen Seenotrettern auf hoher See an Bord genommen werden, sind davon auch ausgenommen.

Lager kosten Italien insgesamt 670 Millionen Euro

Italien verwaltet die Lager und sorgt für die Sicherheit darin. Außerdem trägt Rom dafür alle „direkten und indirekten“ Kosten. Es handelt sich somit um italienische Lager auf albanischem Boden. Zeitungen in Italien spotteten daher über ein „Meloni-Land“. Die beiden Lager kosten Italien über einen Zeitraum von fünf Jahren insgesamt etwa 670 Millionen Euro.

Italien ist eines der Länder, die von der Fluchtbewegung aus Afrika nach Europa über das Mittelmeer besonders betroffen sind. Vor allem vergangenes Jahr waren die Zahlen hoch: Fast 160.000 Menschen erreichten 2023 Italiens Küsten auf Booten. Zurzeit kommen zwar weniger als halb so viele Menschen an als vor einem Jahr. Dennoch machen sich noch immer Zehntausende auf oft kaum seetüchtigen Booten auf den Weg über das Mittelmeer.

EU-Staaten verfolgen Auslagerung von Asylverfahren aufmerksam

Die Vereinbarung über die Abwicklung von Asylverfahren in Drittstaaten ist eine Premiere, die von anderen EU-Staaten aufmerksam verfolgt wird. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bezeichnete sie als „interessantes Modell“. Sie kündigte an, die Erfahrungen aus dem Projekt in ihre Überlegungen zur Möglichkeit solcher Verfahren einzubeziehen. Allerdings ist die Ministerin der Auffassung, dass neben rechtlichen Fragen vor allem relevant ist, ob es einen Staat gibt, der überhaupt bereit wäre, solche Verfahren auf seinem Gebiet zu dulden.

Die Unionsfraktion im Bundestag hält das Projekt für ein erfolgversprechendes Modell, an dem sich die Bundesregierung ein Beispiel nehmen sollte. „Es spricht einiges dafür, dass die Zusammenarbeit von Italien und Albanien Menschen ohne Schutzbedarf künftig davon abhält, sich auf den gefährlichen Weg über das Mittelmeer zu machen“, sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Andrea Lindholz (CSU). Die Bundesregierung müsse die rechtlichen und praktischen Voraussetzungen für die Nutzung solcher Modelle schaffen.

Von der Leyen: können aus dem Albanien-Modell lernen

Rama erhielt nach eigenen Worten bereits viele Anfragen von anderen EU-Ländern, Asylsuchende in Albanien unterzubringen. Er habe diese aber abgelehnt, für Italien jedoch eine Ausnahme gemacht. Aus Melonis Sicht ist dies ein Erfolg. Beim EU-Gipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs am Donnerstag dürfte die Ministerpräsidentin daher gestärkt auftreten. Das Thema Migration wird dort eine wichtige Rolle spielen.

Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zeigte sich an dem Projekt interessiert. In einem Bericht vor dem Gipfel regte die deutsche Spitzenpolitikerin an, „mögliche Wege für die Entwicklung von Rückführungszentren außerhalb der EU zu erkunden“. Man könne aus dem Italien-Albanien-Modell praktische Lehren ziehen.

Spaniens Regierung gegen Asylzentren in Drittstaaten

Spaniens linksgerichtete Regierung indes hat sich gegen die Schaffung von Asylzentren in Drittstaaten nach dem Vorbild Italiens ausgesprochen. Die 27 Mitgliedsstaaten wollen am Donnerstag und Freitag unter anderem über den Vorschlag von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen beraten, diesen Weg zur Bekämpfung der irregulären Migration zu prüfen. Arbeitsministerin Yolanda Díaz vom PSOE-Regierungspartner Sumar bekräftigte das Nein zu solchen Zentren. Zuvor hatte auch Regierungssprecherin Pilar Alegría ein solches Vorhaben rundweg abgelehnt. „Die Migrationspolitik, die wir entwickeln, funktioniert bereits“, sagte sie.

Derzeit wird stattdessen in Spanien heftig über einen Plan diskutiert, einen relativ neuen, aber nahezu stillgelegten Flughafen in Ciudad Real in der zentralen Region Kastilien-La Mancha als Aufnahmezentrum für Flüchtlinge zu nutzen. Vor allem die Kanarischen Inseln haben in den vergangenen Monaten viele, auch minderjährige Migranten aufgenommen und drängen auf eine faire Verteilung sowie Unterstützung der Zentralregierung.

Kritik an Rechtmäßigkeit und Bedingungen für Geflüchtete

Menschenrechtler hingegen kritisieren das Projekt und sprachen von einem „italienischen Guantánamo“. Eine Gruppe von Menschen protestierte vor Ort mit einem Transparent mit der Aufschrift „Der Europa-Traum endet hier“. Auch die Rechtmäßigkeit wird infrage gestellt. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs lässt Zweifel an dem Projekt aufkommen. Demnach kann ein Land nur dann als sicher gelten, wenn es dort unter anderem keine Verfolgung oder Folter gibt. 15 der 22 von Italien als sicher eingestuften Herkunftsländer erfüllen diese Bedingungen jedoch nicht.

Laut der EU-Grenzschutzagentur Frontex sank zuletzt die Zahl der „irregulären“ Einreisen über das zentrale Mittelmeer, also von Libyen und Tunesien über Sizilien und Malta, in den ersten neun Monaten des Jahres um 64 Prozent auf gut 47.700. Auf der Westafrika-Route über den Atlantik – von Nord- und Westafrika zu den Kanaren – stieg indes die Zahl der Einreiseversuche mit gut 30.600 auf das Doppelte im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. (dpa/mig) Aktuell Ausland

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