Niederländischer Uganda-Plan
Wer da hat, dem wird gegeben
Die Niederlande wollen abgelehnte Asylbewerber nach Uganda abschieben – Auftakt zum nächsten Kapitel einer bedenklichen Entwicklung der europäischen Flüchtlingspolitik.
Von Tobias Gehring Sonntag, 03.11.2024, 11:50 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 03.11.2024, 11:50 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Der britische Ruanda-Plan ist tot – es lebe der niederländische Uganda-Plan? Wie das MiGAZIN berichtete, plant die rechte Regierung in den Niederlanden, abgelehnte afrikanische Asylbewerber:innen nach Uganda abzuschieben. Die Einzelheiten des Plans sind derzeit noch offen. Soll Uganda diejenigen Menschen aufnehmen, die nicht in den Niederlanden bleiben dürfen und nicht in ihre Herkunftsländer zurückkehren können? Oder sollen – so meldet es etwa der britische Telegraph – die Asylbewerber:innen nur vorübergehend in Uganda bleiben und später in ihre Herkunftsländer deportiert werden? So oder so: Der niederländische Uganda-Plan steht exemplarisch für einen Trend europäischer Politik, bereits bestehende Verteilungsproblematiken im globalen Flüchtlingsschutz zulasten der Ärmsten weiter zu verschlimmern.
Viele Flüchtlinge, wenig Geld
Denn ganz im Gegensatz zu populären Erzählungen über Fluchtmigration als Exodus aus Afrika nach Europa werden bereits jetzt die allermeisten geflüchteten Afrikaner:innen von afrikanischen Ländern aufgenommen. Dort aber fehlt es oft an den nötigen finanziellen und materiellen Ressourcen für die angemessene Versorgung dieser Menschen. Das nun von den Niederlanden in den Blick genommene Uganda veranschaulicht dies in besonderem Maße. In dem Land von der Größe Großbritanniens leben nach aktuellen Zahlen des UNHCR bereits jetzt 1,7 Millionen Flüchtlinge. Dies sind mehr als in jedem anderen afrikanischen Land und, nebenbei bemerkt, siebenmal so viele wie in den deutlich wohlhabenderen Niederlanden.
Zugleich führt die hohe Zahl der in Uganda lebenden Flüchtlinge und die mangelhafte internationale Unterstützung zu erheblichen Versorgungsschwierigkeiten. Im Prinzip erhalten Flüchtlinge in den ugandischen Lagern eigenes Ackerland, dessen Bewirtschaftung es ihnen ermöglichen soll, sich wirtschaftlich selbst zu versorgen. Jedoch mussten die zugeteilten Parzellen aufgrund des großen Flüchtlingszustroms längst verkleinert werden. Die angestrebte Selbstversorgung ist u. a. deshalb oft nicht möglich, wodurch Flüchtlinge auf Nahrungsrationen von humanitären Organisationen wie dem World Food Programme angewiesen bleiben. Diese aber liegen aufgrund der völlig unzureichenden Finanzierung der Hilfsleistungen durch Geberstaaten weit unter dem täglichen Nahrungsbedarf. Ohne eine Aufstockung der Förderung, warnt das WFP, drohen weitere Kürzungen der Rationen und letztlich eine humanitäre Katastrophe.
Handschlag und Augen zu
Weitere geflüchtete Menschen aus Europa nach Uganda abzuschieben, ist vor diesem Hintergrund ebenso bedenklich wie unter menschenrechtlichen Gesichtspunkten. So macht die auf Rechte sexueller Minderheiten spezialisierte Nachrichtenwebsite Erasing 76 Crimes darauf aufmerksam, dass LGBTIQ-Personen, die nach Uganda deportiert werden, gravierende Menschenrechtsverletzungen drohen. Erst 2023 hat Uganda ein neues, von Menschenrechtsorganisationen scharf kritisiertes Gesetz verabschiedet, das unter Umständen sogar die Todesstrafe für homosexuellen Geschlechtsverkehr vorsieht. Dies bedeutet eine erhebliche Verschlimmerung der schon zuvor grassierenden Diskriminierung von LGBTIQ-Personen, die, wie Forschungen u. a. der ugandischen Wissenschaftlerin Stella Nyanzi zeigen, auch im Land lebende Flüchtlinge betrifft.
Weiter genährt werden die menschenrechtlichen Bedenken durch den Präzedenzfall eines dem nun von den Niederlanden ersonnenen Plans nicht unähnlichen Abkommens zwischen Uganda und Israel. Wie ein Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International aus dem Jahr 2018 dokumentiert, wurden im Rahmen dieses Abkommens 1.700 aus dem Sudan und Eritrea stammende Menschen nach Uganda abgeschoben. Die vorgeblich freiwilligen Deportationen wurden auf israelischer Seite mit Haftandrohungen durchgesetzt. In Uganda waren die Menschen dann ohne Papiere, die ihren legalen Aufenthalt nachwiesen, auf sich allein gestellt, was zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche und im Kontakt mit der Polizei führte und sie der Gefahr einer weiteren Abschiebung in ihre diktatorisch regierten Herkunftsländer aussetzte.
Doch, so die Befürchtung von Erasing 76 Crimes: Im Gegenzug für eine willfährige Zusammenarbeit in Flüchtlingsfragen könnten europäische Regierungen über Menschenrechtsverletzungen, die der ugandische Staat unter dem semi-autokratischen Präsidenten Museveni an den Asylbewerber:innen oder an ugandischen LGBTIQ-Personen, Oppositionellen etc. verübt, billigend hinwegsehen.
Ein Schritt vorwärts – doch auf welchem Weg?
Trotz der aktuell unter Verweis auf die hohe Zahl bereits im Land lebender Flüchtlinge geäußerten Bedenken ugandischer Politiker:innen könne ein Abkommen, wie es die Niederlande anstreben, darum für die ugandische Regierung „zu gut, um es abzulehnen“, sein. Wie wenig ernst anderslautende Äußerungen im Zweifel zu nehmen sind, zeigt sich auch daran, dass die Regierung das vorige Abkommen mit Israel selbst dann noch verleugnete, als es längst in Kraft war und sogar ugandische Medien offen über die Abschiebungen berichteten. Und auch in Europa befürworten längst nicht mehr nur Rechtsextremist:innen und -populist:innen das Ziel einer immer weitergehenden Verlagerung des Flüchtlingsschutzes in andere, weniger wohlhabende Weltregionen, das den niederländischen Uganda-Plan mit dem (vorerst) gescheiterten britischen Ruanda-Plan ebenso verbindet wie mit der Auslagerung der italienischen Asylverfahren nach Albanien. So bezeichnete die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) die Einrichtung von Abschiebezentren, sogenannten „return hubs“, außerhalb der EU jüngst als „einen möglichen Schritt vorwärts“.
Vorwärts hieße dann allerdings: fort von vorgeblichen Grundwerten europäischer Politik, und fort vom flüchtlingspolitischen Prinzip des „burden sharing“. Dieses bezieht sich auf den in der Präambel der Genfer Flüchtlingskonvention niedergeschriebenen Aufruf zu internationaler Solidarität mit jenen Ländern, denen durch die Aufnahme vieler Flüchtlinge besondere Belastungen entstehen. Gemeint ist damit etwa die Umsiedlung von Flüchtlingen aus armen Zufluchtsländern des globalen Südens in wohlhabende, deutlich weniger Flüchtlinge beherbergende Staaten des globalen Nordens – und nicht das genaue Gegenteil davon. (mig) Meinung
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