Ethnische Säuberung geplant
Razzia gegen militante Neonazi-Gruppe
Rassistisch, antisemitisch, apokalyptisch. Eine militante Terrorgruppe soll von einem bevorstehenden Kollaps Deutschlands ausgegangen sein. Ihre Pläne für danach ähneln dem Nationalsozialismus – inklusive „ethnischer Säuberung“.
Von Jacqueline Melcher, Anne-Béatrice Clasmann und Marco Krefting Dienstag, 05.11.2024, 18:10 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 06.11.2024, 9:01 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Bei einer Razzia gegen eine mutmaßliche militante Neonazi-Gruppe haben Einsatzkräfte in Sachsen und Polen acht Männer festgenommen. Die Bundesanwaltschaft wirft ihnen Mitgliedschaft in einer rechtsextremistischen, terroristischen Vereinigung vor. Unter den Festgenommenen ist nach dpa-Informationen auch ein Mitglied der AfD: ein Lokalpolitiker aus Sachsen, der auch Mitglied der Jungen Alternative Sachsen ist.
Bis Dienstagabend wurden sechs der acht Männer in Untersuchungshaft genommen, wie die Bundesanwaltschaft mitteilte. Wann die anderen beiden Tatverdächtigen dem Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof vorgeführt werden, war zunächst unklar. Einer von ihnen konnte laut Bundesanwaltschaft wegen einer Verletzung nicht nach Karlsruhe gebracht werden, der andere befinde sich noch in Polen, wo er festgenommen worden war.
Die Gruppe nenne sich „Sächsische Separatisten“, teilte Deutschlands oberste Anklagebehörde mit. Ihre Ideologie sei von rassistischen, antisemitischen und teils apokalyptischen Vorstellungen geprägt. Sie soll geplant haben, an einem unbestimmten „Tag X“ mit Waffengewalt Gebiete in Sachsen und gegebenenfalls auch in anderen ostdeutschen Ländern zu erobern, um dort ein am Nationalsozialismus ausgerichtetes Staats- und Gesellschaftswesen zu etablieren. „Unerwünschte Menschengruppen sollen notfalls durch ethnische Säuberungen aus der Gegend entfernt werden“, so die Bundesanwaltschaft.
AfD-Politiker unter den Festgenommenen
Nach offiziell noch unbestätigten Angaben aus Sicherheitskreisen war der AfD-Lokalpolitiker am Morgen bei der Razzia mit einer Langwaffe vor die Polizeibeamten getreten. Ein Beamter habe daraufhin zwei Warnschüsse abgegeben, hieß es. Der Beschuldigte habe einen Bruch am Kiefer erlitten und werde operiert. Wie es zu der Verletzung kam und weitere Details zu dem Zwischenfall sollen Zeugenvernehmungen klären.
Der sächsische AfD-Landesverband wies jegliche Verbindung zu der betroffenen Gruppierung zurück. „Wir kennen nur die bisherigen Presseberichte zu diesem Vorgang. Unsere Partei steht fest auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Mit einer solchen mutmaßlich neonazistischen „Separatistengruppierung“ verbindet uns weder inhaltlich noch organisatorisch irgendetwas“, sagte Parteisprecher Andreas Harlaß der Deutschen Presse-Agentur. Auch der AfD-Vorsitze Tino Chrupalla distanzierte sich ausdrücklich von der Gruppierung. Berichte, wonach unter den Festgenommenen ein AfD-Lokalpolitiker sei, seien „vollkommen schockierend“, betonte Chrupalla in Berlin.
Linke fordert lückenlose und grenzübergreifende Aufklärung
Entsetzt zeigte sich auch Sören Pellmann, Vorsitzender der Gruppe Die Linke im Bundestag, jedoch nicht überrascht, dass es sich bei einem der Beschuldigten um einen AfD-Mann handeln soll. Er fordert lückenlose und grenzübergreifende Prüfung von Beziehungen zu anderen Organisationen und Parteien. „Ebenfalls muss geprüft werden, ob die Mitglieder der Gruppe Kontakt zu Polizisten oder Soldaten hatten“, so Pellmann.
In der Vergangenheit wurden immer wieder rechtsterroristische Komplexe bekannt, in denen Angehörige von Militär und Polizei eine Rolle hatten. „Rechter Terror hat Ursachen und organisatorischen Rückhalt. Eine Regierung, die willfährig die Forderungen der extremen Rechten übernimmt, bereitet den Boden für Leute, die sich davon zum Handeln ermutigt fühlen“, erklärt der Linke-Politiker.
Gruppe übte Häuserkampf und Patrouillengänge
Spätestens im November 2020 soll sich die Gruppe nach Angaben der Bundesanwaltschaft gegründet haben. Vier der am Dienstag festgenommenen deutschen Staatsbürger sollen zu den ursprünglichen Mitgliedern gehört haben, einer soll Rädelsführer gewesen sein. Die anderen haben sich nach Erkenntnissen der Karlsruher Anklagebehörde später angeschlossen. Der Älteste von ihnen ist nach dpa-Informationen 25 Jahre alt.
Die Männer hätten wiederholt paramilitärische Trainings mit Kampfausrüstung absolviert. „Dabei wurden insbesondere der Häuserkampf, der Umgang mit Schusswaffen, Nacht- und Gewaltmärsche sowie Patrouillengänge eingeübt“, heißt es in der Mitteilung. Zudem habe sich die Gruppierung militärische Ausrüstungsgegenstände wie Tarnfleckanzüge, Gefechtshelme, Gasmasken und Schutzwesten besorgt.
„Dass der Umgang mit Waffen trainiert und militärische Ausrüstung beschafft wurde, zeigt, wie gefährlich diese Rechtsextremisten sind“, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Sie verwies auf die frühzeitige Aufklärung der Gruppe durch das Bundesamt für Verfassungsschutz.
Durchsuchungen in Sachsen, Polen und Österreich
Insgesamt waren bei den Festnahmen und Durchsuchungen in Deutschland über 450 Sicherheitskräfte und Polizeibeamte des Bundeskriminalamts (BKA), Spezialkräfte der Bundespolizei und des Landeskriminalamts Sachsen im Einsatz. Die Festnahmen der jungen Männer erfolgten bis auf eine Ausnahme alle in Sachsen, genauer gesagt im Raum Leipzig, in Dresden und im Landkreis Meißen. Die Durchsuchungen richteten sich nach Angaben der Bundesanwaltschaft auch gegen sieben weitere Beschuldigte, die noch auf freiem Fuß sind.
Der mutmaßliche Rädelsführer der Gruppe hielt sich zum Zeitpunkt des Zugriffs zwar in Polen auf. Doch auch er stammt aus Sachsen. Der polnische Inlandsgeheimdienst ABW teilte mit, Beamte hätten ihn auf Grundlage eines europäischen Haftbefehls in Zgorzelec festgenommen. In Österreich – in Wien und im Bezirk Krems-Land – durchsuchte die Polizei zwar zwei Objekte. Festgenommen wurde dort aber niemand.
„Es ist ein großer Erfolg, dass es dem Generalbundesanwalt und den Sicherheitsbehörden gelungen ist, diese ungeheuerlichen Pläne aufzudecken und die Verantwortlichen festzunehmen“, sagt Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). Gleichzeitig mahne dieser Ermittlungserfolg abermals: „Unser Rechtsstaat und die freiheitlich-demokratische Grundordnung werden von vielen Seiten bedroht.“ (dpa/mig)
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