Flüchtlingsrat fordert Abschiebestopp
Maas über Afghanistan-Chaos: BND hat Lage falsch eingeschätzt
Wer ist verantwortlich für das Versagen beim deutschen Abzug aus der afghanischen Hauptstadt Kabul 2021? Der damalige Außenminister Maas räumt rückblickend Fehler ein. Parallel dazu laufen Gespräche über Abschiebungen nach Afghanistan. Der Flüchtlingsrat protestiert.
Sonntag, 01.12.2024, 12:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 01.12.2024, 12:24 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Ex-Außenminister Heiko Maas hat seine Rolle beim chaotischen Abzug Deutschlands aus Afghanistan im Sommer 2021 im Wesentlichen verteidigt. Seine damaligen Entscheidungen habe er „mit bestem Wissen und Gewissen getroffen“, sagte der SPD-Politiker in seiner Vernehmung vor dem Afghanistan-Untersuchungsausschuss des Bundestags in Berlin. Im Nachhinein seien viele Einschätzungen falsch gewesen. Bei der Bewertung müsse die damalige Informationslage berücksichtigt werden.
Im Rückblick hätte die Bundesregierung eine Abzugsentscheidung und viele andere Entscheidungen in diesem Zusammenhang früher treffen müssen, räumte Maas ein. Informationen, die man heute habe, „standen uns aber nicht zur Verfügung“.
Maas: BND-Einschätzung „leider von Realität überholt worden“
Maas bezog sich auf eine Einschätzung des Bundesnachrichtendiensts, nachdem die afghanische Regierung vor dem 11. September 2021 nicht zusammenbrechen werde. Diese Einschätzung vom 13. August 2021 habe sich als falsch herausgestellt, sagte er. Die Taliban hatten die Hauptstadt Kabul tatsächlich schon am 14./15. August 2021 nach einer Blitzoffensive praktisch ohne Gegenwehr eingenommen. Die BND-Einschätzung, dass mit einem kurzzeitigen Fall Kabuls nicht zu rechnen sei, „ist leider von der Realität überholt worden“, bemerkte Maas trocken. Deutschland beteiligte sich an einem internationalen militärischen Evakuierungseinsatz. Es kam zu chaotischen Zuständen und gefährlichen Situationen rund um den Flughafen.
Der Ex-Minister führte das damalige Chaos im Wesentlichen auf die einseitige Abzugsentscheidung der Regierung des damaligen US-Präsidenten Donald Trump zurück. Die damalige US-Regierung habe den mit den Taliban in Doha in Katar ausgehandelten Termin für einen US-Abzug zum 11. September 2021 nicht mit der afghanischen Regierung rückgekoppelt und dieser quasi „den Stuhl vor die Tür“ gestellt. Die Taliban seien nach dem Abkommen „deutlich selbstbewusster gewesen“. Das Doha-Abkommen, das die USA und die Taliban am 29. August 2020 gemeinsam unterzeichneten, regelte den Rückzug aller Truppen der USA und ihrer Verbündeten aus Afghanistan. Im Gegensatz sollten die Taliban zusagen, dass Afghanistan künftig kein Rückzugsort für terroristische Gruppen werde.
„Rücktritt wäre keine Hilfe für die Bewältigung der Probleme gewesen“
Maas erläuterte Überlegungen, im Zusammenhang mit dem Abzugschaos seinen Rücktritt anzubieten. Dies habe auch mit dem damaligen Wahlkampf für die Bundestagswahl im Herbst 2021 zu tun gehabt. Im Gespräch mit dem damaligen Vizekanzler und Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) sei er aber zu dem Ergebnis gekommen, dass ein Rücktritt wenige Wochen vor der Wahl die Probleme nicht gelöst, sondern nur noch neue verursacht hätte. Ein Rücktritt wäre „keine Hilfe für die Bewältigung der Probleme dort für Ort gewesen wäre – vielleicht für einige hier in Berlin“, sagte Maas.
Maas ist einer der bisher wichtigsten Zeugen im Ausschuss. Kommende Woche will das Gremium mit der damaligen Kanzlerin Angela Merkel und ihrem Kanzleramtschef Helge Braun (beide CDU) die Befragungen abschließen. Die Abgeordneten im Ausschuss sollen die Umstände der deutschen Evakuierung im August 2021 und die Entscheidungswege mit Blick auf die Aufnahme afghanischer Ortskräfte untersuchen.
Flüchtlingsrat fordert Abschiebestopp für Afghanistan und Syrien
Parallel zur parlamentarischen Aufarbeitung des Versagens beim Abzug aus Afghanistan, laufen Beratungen und Gespräche, um Menschen aus Deutschland in das Taliban-Land abzuschieben. Das wird auch Thema bei der bevorstehenden Innenministerkonferenz sein. Vor dem Treffen fordert der Flüchtlingsrat Berlin einen Stopp der Abschiebungen. Ende August waren erstmals seit der Machtübernahme der Taliban wieder Menschen aus Deutschland nach Afghanistan abgeschoben worden. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte wiederholt erklärt, weitere Abschiebungen folgen zu lassen.
Der Flüchtlingsrat fordert zudem, humanitäre Aufnahmeprogramme weiter umzusetzen und auszuweiten. Am Freitag hatte das Bundesinnenministerium mitgeteilt, dass es derzeit keine neuen Zusagen im Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan gibt, über das wegen ihres Einsatzes für Menschenrechte oder ihrer Arbeit in Bereichen wie Justiz, Bildung oder Politik gefährdeten Menschen die Einreise nach Deutschland ermöglicht werden soll. Hintergrund ist die unklare Haushaltslage nach dem Aus der Ampel-Koalition.
Über das im Oktober 2022 gestartete Programm haben nach Regierungsangaben bislang erst 864 Menschen Schutz erhalten, geplant waren 1.000 Zusagen pro Monat. Die Innenministerinnen und -minister von Bund und Ländern beraten von Mittwoch bis Freitag im brandenburgischen Rheinsberg. (dpa/epd/mig) Aktuell Politik
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