Mouhamed Dramé
Tödliche Schüsse auf Flüchtling: Alle Polizisten freigesprochen
Die tödlichen Polizeischüsse auf den 16-jährigen Mouhamed Dramé in Dortmund bleiben juristisch zunächst ohne Konsequenzen. Der Freispruch für alle beteiligten Polizisten stößt auf Unverständnis bei Angehörigen und Teilen der Öffentlichkeit. Das letzte Wort ist wohl aber noch nicht gesprochen.
Donnerstag, 12.12.2024, 15:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 12.12.2024, 22:00 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Im Prozess um die tödlichen Polizeischüsse auf den 16-jährigen Flüchtling Mouhamed Dramé in Dortmund vor zweieinhalb Jahren hat das Landgericht alle fünf angeklagten Polizisten freigesprochen. Sie hätten sich in einer Notwehrsituation befunden, sagte der Vorsitzende Richter Thomas Kelm am Donnerstag zur Begründung. (AZ: 39 Ks 6/23). Die Nebenkläger kündigten Revision an, die Staatsanwaltschaft will das Urteil zunächst prüfen. Polizeipräsident Gregor Lange zeigte sich erleichtert über die Freisprüche. Dramés Tod sei für die Familie „eine Tragödie, die meine Mitarbeitenden und mich stark belastet“.
Nach der Urteilsverkündung gab es im Gerichtssaal Proteste, Unterstützer des Getöteten skandierten „Justice for Mouhamed“. Der Solidaritätskreis Mouhamed sowie das Komitee für Grundrechte und Demokratie äußerten sich „fassungslos, wütend und traurig“. Als „sehr mild“ bezeichnete der Polizeiwissenschaftler Rafael Behr das Urteil.
Die Anwältin der Nebenkläger, Lisa Grüter, sagte, es sei gerade für die Angehörigen des getöteten Mouhamed Dramé schwer zu verkraften, dass der Tod ihres Angehörigen juristisch nicht geahndet werde und „niemand dafür zur Verantwortung gezogen wird“. Vor allem der 56-jährige Einsatzleiter trage Verantwortung und hätte deshalb strafrechtlich dafür belangt werden müssen. Sie habe kein Verständnis für das Urteil und werde Rechtsmittel beim Bundesgerichtshof einlegen.
Vorfall hatte bundesweit für Schlagzeilen gesorgt
Der Vorfall vom 8. August 2022 in einer katholischen Jugendhilfeeinrichtung hatte bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Die Polizei war gerufen worden, weil sich der 16-jährige Dramé offenbar mit einem Messer das Leben nehmen wollte. Die Polizei besprühte den Jugendlichen, der auf dem Boden saß, mit Pfefferspray und setzte anschließend Taser (Elektroschockpistolen) ein. Als Dramé aus der Situation flüchten wollte feuert ein 31-jähriger Beamter mit einer Maschinenpistole sechs Schüsse auf ihn ab. Die beteiligten Polizistinnen und Polizisten gaben an, sie hätten in Notwehr gehandelt, da der Jugendliche mit der Waffe in der Hand auf sie zugekommen sei.
Richter Kelm verwies auf Verständigungsprobleme mit Dramé, der nur Spanisch und Französisch sprach und anfangs keine Reaktion zeigte. Ein Dolmetscher wurde nicht hinzugezogen. Die Beamten hätten nicht wissen können, was „im Kopf des Jugendlichen“ vorgegangen sei. Alle Indizien hätten darauf hingedeutet, dass der 16-Jährige „keinen Angriff geplant“ habe. Gleichwohl hätten die Polizisten von einer Bedrohung ausgehen müssen.
Kritik am Urteil: völliges Fehlen von Verantwortung
Die Staatsanwaltschaft hatte für den 31-jährigen Schützen sowie für zwei Kolleginnen und einen Kollegen im Alter von 30, 32 und 35 Jahren Freisprüche gefordert, für den Einsatzleiter eine Freiheitsstrafe von zehn Monaten auf Bewährung. Die Nebenklage sah die Verantwortung für den Vorfall vor allem beim Einsatzleiter, die Verteidigung verlangte Freispruch für alle Angeklagten.
Der Solidaritätskreis Mouhamed und das Komitee für Grundrechte und Demokratie nannten das Urteil einen Beleg für das „völlige Fehlen einer Verantwortungsübernahme“. Das Gericht habe den beteiligten Beamten eine „tödliche Einsatzlogik“ zugebilligt. Das Urteil werde nicht dazu beitragen, tödliche Polizeieinsätze in Zukunft zu verhindern, sagte Britta Rabe, die den Prozess für das Komitee beobachtet hatte. Das Urteil sei für die Polizei das Signal: „Ihr könnt weitermachen wie bisher, für tödliche Schüsse drohen keine Konsequenzen.“
Polizeiwissenschaftler: Gericht hat Fehler nicht berücksichtigt
Der renommierte Polizeiwissenschaftler Rafael Behr kritisierte, das Gericht habe den „taktischen Fehler“ nicht berücksichtigt, der dazu geführt habe, dass die Beamten in eine angebliche Notwehrsituation geraten seien.
„Ich persönlich hätte es besser und gerechter empfunden, wenn der Einsatzleiter wenigstens, wie von der Staatsanwaltschaft gefordert, zu einer symbolischen Strafe verurteilt worden wäre“, sagte der emeritierte Professor des Fachhochschulbereichs der Akademie der Polizei Hamburg dem „Evangelischen Pressedienst“. Damit hätte eindeutig auf fehlerhaftes Verhalten der Polizei hingewiesen und sie so noch stärker gezwungen werden können, neue Vorgehensweisen zu trainieren.
Polizisten ermittelten gegen Polizisten
Der Polizeieinsatz hatte in der Öffentlichkeit für massive Kritik gesorgt. Gegen die Einsatzkräfte wurde der Vorwurf erhoben, sie hätten aus rassistischen Motiven gehandelt und die Situation eskalieren lassen. Für Unverständnis sorgte auch die Tatsache, dass die Bodycams der Polizisten während des Einsatzes ausgeschaltet waren. Im Zuge der Ermittlungen wurde zudem bekannt, dass der tatsächliche Tatverlauf von den Darstellungen der am Einsatz beteiligten Polizisten teilweise deutlich abwich.
Der Schütze war nach dem Vorfall vom Dienst suspendiert worden. Die übrigen Angeklagten wurden in andere Dienstbereiche der Polizei umgesetzt und versehen derzeit Innendienst. Die Ermittlungen gegen die Beteiligten wurden von ihren Polizeikollegen geführt. Eine höchst umstrittene Praxis, die massiv in der Kritik steht. Polizisten würden gegen ihre Kollegen nicht mit der nötigen Motivation und oft zu lasch ermitteln, so die Kritik. So würden Ermittlungen oft ergebnislos eingestellt oder führten zu milden Strafen. (epd/mig) Leitartikel Recht
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