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Bundeskanzler Olaf Scholz (Archiv) © Bundesministerium der Finanzen

Bundeskanzler Scholz

Integrierte Syrer bleiben willkommen – alle anderen…

Kanzler Scholz, FDP-Fraktionschef Dürr und CDU-Chef Merz sagen unisono: Syrer, die arbeiten, sollen in Deutschland bleiben dürfen, alle anderen sollen wieder zurück – und nur die. Sonst drohen Probleme in Mangel- und systemrelevanten Berufen, warnen Experten.

Sonntag, 15.12.2024, 12:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 15.12.2024, 12:26 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat den in Deutschland gut integrierten Syrerinnen und Syrern einen weiteren verlässlichen Aufenthalt zugesichert. „Wer hier arbeitet, wer gut integriert ist, der ist und bleibt in Deutschland willkommen. Das ist völlig selbstverständlich“, sagte Scholz. Auch die FDP und führende Gewerkschafter sprachen sich dafür aus, diesen Menschen eine Bleibeperspektive zu geben.

Kanzler Scholz sagte, viele Syrerinnen und Syrer hätten in Deutschland Wurzeln geschlagen. „Allein in unseren Krankenhäusern arbeiten rund 5.000 syrische Ärztinnen und Ärzte“, sagte Scholz in seiner am Freitagabend in Berlin veröffentlichten wöchentlichen Videobotschaft „Kanzler kompakt“ und konstatierte, dass manche Äußerungen der vergangenen Tage nach dem Sturz des Diktators Baschar al-Assad die „syrischstämmigen Mitbürgerinnen und Mitbürger tief verunsichert“ hätten. Er spielte damit auf Forderungen nach schnellen Rückführungen an.

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Wegen des Bürgerkriegs in Syrien, der 2011 mit einem Volksaufstand gegen das Assad-Regime begonnen hatte, waren Hunderttausende aus dem Land nach Deutschland geflohen. Zum Jahresende 2023 waren nach Angaben des Statistischen Bundesamtes rund 712.000 syrische Schutzsuchende im Ausländerzentralregister registriert. Deutlich größer als die Zahl der Schutzsuchenden aus Syrien ist hierzulande die der Menschen mit syrischer Einwanderungsgeschichte. Laut Mikrozensus lebten im vergangenen Jahr in Deutschland knapp 1,3 Millionen Menschen, die selbst oder deren beide Elternteile aus Syrien eingewandert sind.

FDP: Syrer mit Job sollen Bleibeperspektive bekommen

Von den syrischen Flüchtlingen in Deutschland sollten nach Ansicht der FDP diejenigen eine Bleibeperspektive erhalten, die ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten können und „Teil unserer Gesellschaft geworden sind“. Er denke etwa an Syrer, die in Krankenhäusern oder in der Pflege arbeiten, sagte der FDP-Fraktionschef im Bundestag, Christian Dürr, den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Wer dagegen „nicht arbeiten und sich integrieren will, der muss unser Land auch wieder verlassen“, fügte Dürr hinzu.

Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz sagte der Düsseldorfer „Rheinischen Post“, viele Syrerinnen und Syrer würden in Deutschland bleiben, weil sie hier arbeiten und mittlerweile deutsche Staatsangehörige sind. Diejenigen, die sich nicht integrieren wollten, „werden zurückkehren müssen, wenn der Schutzstatus entfällt. Sollten sie das nicht freiwillig tun, dann wird man nach Syrien künftig auch abschieben können und müssen“, sagte der Kanzlerkandidat der Union.

Viele Syrienstämmige inzwischen deutsche Staatsbürger

Im Gesundheitswesen und speziell in der Altenpflege arbeiten nach Zahlen des Bundesarbeitsministeriums Tausende Personen aus Syrien. In der Altenpflege waren im Mai etwa 3.700 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mit syrischer Staatsangehörigkeit erfasst, teilte ein Sprecher mit. Diese Zahl sei jedoch nur ein Teil des Gesamtbildes: Viele Geflüchtete hätten in den vergangenen Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft erworben – allein 124.000 in den zurückliegenden zwei Jahren – und tauchten in der Statistik nicht mehr als Syrerinnen und Syrer auf. „Das bedeutet, dass die tatsächliche Zahl von Menschen syrischer Herkunft, die im deutschen Gesundheits- und Pflegebereich tätig sind, noch höher liegen dürfte.“

Im September 2024 waren den Angaben zufolge bundesweit 236.000 syrische Staatsangehörige sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Das war ein Zuwachs von 23.000 Personen gegenüber dem Vorjahr.

Viele Syrer in Mangel- und systemrelevanten Berufen beschäftigt

Der Anteil syrischer Geflüchteter an der Gesamtzahl der Beschäftigten in Deutschland liegt einer neuen Untersuchung zufolge aktuell bei etwa 0,6 Prozent. Rechnet man die inzwischen Eingebürgerten aus dem Bürgerkriegsland dazu, liegt die Quote bei rund 0,8 Prozent, wie das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) am Freitag in Nürnberg mitteilte. Aber: 62 Prozent der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Syrerinnen und Syrer sind in systemrelevanten Berufen tätig, beispielsweise im Gesundheitswesen, im Bereich Transport und Logistik oder in der Nahrungsmittelproduktion. Bei den deutschen Beschäftigten sind es 48 Prozent.

IAB-Forscherin Yuliya Kosyakova nannte einen Wegfall dieses Potenzials durch Rückkehrmigration „zwar auf gesamtwirtschaftlicher Ebene nicht dramatisch“. Er könnte aber „regional und branchenspezifisch durchaus spürbare Auswirkungen haben, insbesondere in jenen Branchen, Tätigkeitsfeldern und Regionen, die bereits heute unter Arbeitskräftemangel leiden“.

Syrische Ärzte in Krankenhäusern halten Versorgung aufrecht

Besorgt äußerte sich am Freitag auch der Verband leitender Krankenhausärztinnen und -ärzte: „In ländlichen Regionen halten syrische Ärztinnen und Ärzte die Versorgung in Krankenhäusern aufrecht, ohne sie wird es eng“, sagte Verbandspräsident Michael Weber dem Boulevardblatt „Bild“. Es sei damit zu rechnen, dass nach dem Sturz des Assad-Regimes „ein substanzieller Anteil der rund 5.000 syrischen Ärztinnen und Ärzte in Krankenhäusern in ihr Heimatland zurückkehrt“. Die 1. Vorsitzende des Marburger Bundes, Susanne Johna, sagte ebenfalls im „Bild“, sie befürchte eine „relevante Belastung für die ohnehin angespannte ärztliche Versorgungslage in Deutschland“, würden die syrischen Ärzte fehlen.

Die Geschäftsführerin des Arbeitgeberverbandes Pflege, Isabell Halletz, sagte demselben Blatt: „Eine Rückkehr dieser Fach- und Arbeitskräfte wäre ein schwerer Schlag für die Altenpflege.“ Syrische Mitarbeitende seien in vielen Kollegien gut integriert und bei den Pflegebedürftigen geschätzt. In mehr als jeder zehnten Pflegeeinrichtung arbeiteten Syrer.

Syrien-Koordinator: Rückkehr nur „freiwillig, in Würde und sicher“

Kanzler Scholz sagte in seiner Videobotschaft, erst die kommenden Tage, Wochen und Monate würden zeigen, in welche Richtung sich Syrien ohne Assad entwickelt. „Manche der Geflüchteten hoffen, dass sie bald in ihre Heimat zurückkehren können“, sagte Scholz und fügte hinzu: „Auch das werden wir unterstützen, sobald es die Lage zulässt.“

Der neue Sonderkoordinator für Syrien, Tobias Lindner (Grüne), sieht aktuell keine Grundlage für eine Rückkehr nach Deutschland geflohener Syrer in ihre Heimat. „Die Rückkehr muss freiwillig, in Würde und vor allem in Sicherheit erfolgen und dafür sind die Bedingungen am Boden noch längst nicht gegeben“, sagte der Staatsminister im Auswärtigen Amt am Freitagmorgen im ZDF-“Morgenmagazin“. Lindner zeigte sich in dem Interview „erstaunt, überrascht“, dass die Diskussion über eine Rückkehr von Syrerinnen und Syrern in Deutschland unmittelbar nach dem Sturz des Assad-Regimes eingesetzt habe. (epd/dpa/mig) Aktuell Panorama

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