„Widerlicher Rassismus“
Merz will deutsche Staatsbürgerschaft auf Abruf
Wer Straftaten begeht, kann den deutschen Pass verlieren. So stellt sich CDU-Chef Merz das künftige Staatsbürgerschaftsrecht vor. Es hagelt scharfe Kritik. SPD und Grüne wollen keine „Bürger zweiter Klasse“, Linke wirft Merz „Rassismus“ vor.
Montag, 06.01.2025, 17:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 07.01.2025, 8:22 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Mit einem Vorschlag für eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechts hat der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz von führenden Vertretern von Grünen, SPD und Linke Kritik geernetet. „Friedrich Merz spielt bewusst mit dem rechtspopulistischen Feuer und ist als Kanzler aller Deutschen nicht geeignet“, sagte SPD-Chefin Saskia Esken dem „Stern“.
Der Kanzlerkandidat der Union hatte in einem Interview der „Welt am Sonntag“ gesagt, die von der Ampel-Koalition beschlossene doppelte Staatsbürgerschaft sollte nicht der Regelfall sein, sondern künftig wieder auf begründete Ausnahmefälle beschränkt werden. Merz führte weiter aus: „Wir holen uns damit zusätzliche Probleme ins Land.“ Und: „Es müsste wenigstens auf der gleichen Ebene eine Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft möglich sein, wenn wir erkennen, dass wir bei straffällig werdenden Personen einen Fehler gemacht haben.“
Zweiklassengesellschaft bei der Staatsbürgerschaft?
Diese Forderungen würden aus Eingebürgerten „Bürger zweiter Klasse machen“, kritisierte Esken. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, sieht das ähnlich. Im Netzwerk LinkedIn schrieb er, dieser Vorschlag sei ein „Dammbruch“ und „würde zu einer Zweiklassengesellschaft bei der Staatsbürgerschaft führen.“
Der Grünen-Vorsitzende Felix Banaszak sagte: „Eine Staatsbürgerschaft auf Abruf darf es für niemanden geben.“ Die Union solle auch im Wahlkampf nicht den Eindruck erwecken, „dass sie an so grundlegenden Säulen unseres Rechts sägen will“. Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge ergänzte: „Für uns gibt es keine Bürger zweiter Klasse. Wenn Friedrich Merz mit dem Entzug der Staatsangehörigkeit droht, sendet er das verheerende Signal, dass Menschen, die nach Deutschland einwandern, hier nie richtig dazugehören können. Dem widersprechen wir ganz ausdrücklich.“
Linke: „Widerlicher Rassismus“
Deutlicher wurde Linken-Chef Jan van Aken: „Was Friedrich Merz hier gesagt hat, ist nichts anderes als widerlicher Rassismus.“ Merz spalte das Land, sagte van Aken in Berlin. Der Linken-Politiker kritisierte, das heiße nichts anderes als: „Wenn du Thomas oder Andrea heißt, dann bist du Deutscher auf immer und ewig. Aber wenn du Elef oder Sergej heißt, dann bist du nur Deutscher auf Abruf. Benimm dich ja artig und wenn du es nicht tust, dann bist du ganz schnell wieder draußen.“
Gökay Akbulut, migrationspolitische Sprecherin der Links-Gruppe im Bundestag, attestiert Merz eine „höchst problematische“ und „brandgefährliche“ Tonalität. Merz klimpere „auf der braunen Klaviatur“ und greife Forderungen aus den Reihen der AfD und anderer Rechtsextremisten auf, „die Ende 2023 in Potsdam nach formal legalen Wegen suchten, um ihre Remigrationspläne umzusetzen“. Diese Strategie führe zur Normalisierung rechtsextremer Forderungen und stärke letztlich die AfD, erklärte Akbulut.
Mehr Einbürgerungen seit der Reform
Im vergangenen Juni war die von der Ampel-Koalition beschlossene Reform des Staatsangehörigkeitsrechts in Kraft getreten. Danach können Menschen, die in Deutschland arbeiten und gut integriert sind, schon nach fünf statt wie bisher acht Jahren deutsche Staatsangehörige werden. Sie brauchen ihre bisherige Staatsangehörigkeit dafür nicht mehr aufzugeben. Besonders gut integrierte Ausländer können bereits nach drei Jahren eingebürgert werden. Zugleich wurden die Anforderungen für das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung verschärft.
Die Zahl der Menschen, die durch Einbürgerung Deutsche wurden, war 2023 mit rund 194.000 Einbürgerungen so hoch wie noch nie. Dass dieser Trend 2024 dann noch zugenommen hat, liegt daran, dass viele Syrer und andere Ausländer, die in den Jahren 2015 und 2016 nach Deutschland gekommen waren, inzwischen die Voraussetzungen für eine Einbürgerung erfüllen. Ein weiterer Faktor ist das neue Staatsangehörigkeitsgesetz.
Rücknahme rechtswidriger Einbürgerungen zehn Jahre möglich
In dem Interview war Merz nach möglichen Konsequenzen aus dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg gefragt worden. Kurz vor Weihnachten war ein 50-jähriger Mann aus Saudi-Arabien mit einem Auto über den Markt gerast. Bislang sind sechs Menschen gestorben, ein neunjähriger Junge sowie fünf Frauen im Alter von 45 bis 75 Jahren. Zudem gab es knapp 300 Verletzte.
Die schwarz-rote Koalition hatte 2019 die Frist für die Rücknahme von rechtswidrigen Einbürgerungen von fünf auf zehn Jahre verlängert. Das betrifft Menschen, die falsche Angaben zu ihrer Identität gemacht haben. Den deutschen Pass kann seit der Reform von 2019 auch verlieren, wer im Ausland für eine terroristische Vereinigung an Kampfhandlungen teilnimmt. Das ist seither nach Auskunft des Bundesinnenministeriums in zwei Fällen geschehen.
Bereits vor der damaligen Reform sah das Staatsangehörigkeitsgesetz den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit vor, wenn ein Deutscher, der noch eine weitere Staatsbürgerschaft hat, ohne Genehmigung der deutschen Behörden freiwillig in die Streitkräfte eines anderen Staates eintritt. Grundsätzlich ist der Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft nur bei Menschen möglich, die noch Staatsbürger eines anderen Landes sind. (dpa/mig) Aktuell Politik
Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.
MiGGLIED WERDEN- Söder will Asyl-Aus CSU verschärft Ton in der Migrationspolitik
- Fast drei Jahre Krieg Ukrainer in Deutschland sorgen sich um ihre Verwandten
- Body-Cam-Bilder empören USA Weiße Gefängniswärter prügeln Schwarzen Häftling zu Tode
- Dauerperspektive oder Ausreise? Habeck über Syrer: Wer nicht arbeitet, wird gehen müssen
- „Widerlicher Rassismus“ Merz will deutsche Staatsbürgerschaft auf Abruf
- Magdeburg Terror mit Ansage – und falsche Schlüsse