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EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen © Nicolas Tucat/AFP

Karlspreis für von der Leyen

Vom Rechtsruck zur Auszeichnung

Ursula von der Leyen erhält den Karlspreis 2025. Ihre Auszeichnung wirft ein Schlaglicht auf ein Europa, das mehr denn seine Werte verliert.

Von Esra Sirin Donnerstag, 16.01.2025, 10:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 16.01.2025, 10:23 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Europa applaudiert. Ursula von der Leyen, die Präsidentin der Europäischen Kommission, erhält den renommierten Karlspreis 2025. Eine Million Euro Preisgeld, eine Medaille mit dem Bildnis Karls des Großen und ein Platz in der Riege derjenigen, die sich um Europa verdient gemacht haben. Doch was bedeutet diese Auszeichnung, wenn sie jemand bekommt, der mit dafür steht, dass die Werte Europas zunehmend ins Wanken geraten?

Die Europäische Union, gegründet auf den Prinzipien von Frieden, Demokratie und Menschenrechten, erscheint heute wie ein Schatten ihrer selbst. Noch nie zuvor hat die EU so deutlich an diesen Werten eingebüßt wie in der Amtszeit von der Leyens. Menschenrechte stehen oft nur noch auf dem Papier. Für Geflüchtete, die an den EU-Außengrenzen auf eine bessere Zukunft hoffen, gelten sie kaum noch. Und wenn es nach dem Willen von von der Leyen geht, sollen Schutzsuchende bald auch nicht mal mehr an den EU-Außengrenzen bleiben, sondern in Drittstaaten verlagert werden – Hauptsache ganz weit weg.

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Der Karlspreis, benannt nach dem „Vater Europas“, Kaiser Karl dem Großen, wurde 1950 ins Leben gerufen, um Menschen zu ehren, die sich um die europäische Einigung verdient gemacht haben. Karl der Große, der im Frühmittelalter das Frankenreich über weite Teile Europas ausdehnte, steht symbolisch für ein vereintes Europa. Doch der Preis ist nicht nur eine Hommage an vergangene Größen. Er soll auch die Gegenwart und Zukunft Europas prägen. Und genau hier liegt die Brisanz der Auszeichnung für von der Leyen.

Rechtsruck in Europa

Unter ihrer Führung hat die EU Krisen wie die Pandemie und den Ukraine-Krieg gemeistert – zumindest oberflächlich betrachtet. Doch zugleich sind viele Staaten innerhalb der Union politisch weit nach rechts gerückt. Brüssel selbst steht heute viel weiter rechts als noch vor einem Jahrzehnt. Der Umgang mit Geflüchteten, die Militarisierung der Außengrenzen und das Wegsehen bei Menschenrechtsverletzungen sind nur einige Beispiele für diese Entwicklung. Von der Leyen ist keine Verursacherin dieses Wandels, doch sie hat ihn weder verhindert noch ausreichend dagegen gesteuert.

Im Gegenteil: Die Grenzöffnung der Türkei zu Griechenland 2020 offenbarte die rigorose Haltung von der Leyens. Griechenland drängte Frauen und Kinder an der Grenze mit militärischer Gewalt zurück – ein bis dato einmaliger Vorgang, der für internationales Entsetzen sorgte. Statt diese Eskalation zu kritisieren, stellte sich von der Leyen demonstrativ hinter Athen. Geschenkt, dass just in diesem Moment fundamentale Werte über Bord geworfen wurden.

Dabei lebt und atmet Europa nicht durch Grenzen, sondern durch seine Grenzenlosigkeit. Was die Einheit zusammenhält und stark macht, sind nicht Zäune, sondern der Frieden, die Vielfalt, die Verantwortung für die Einhaltung von Menschenrechten und die Solidarität zwischen den Nationen.

Von der Leyen hingegen wälzt Verantwortung gerne ab, mit umstrittenen Migrationspakten mit dubiosen Regierungen afrikanischer Länder. Diese mit EU-Geldern mehr oder weniger erpressten Vereinbarungen sorgen dafür, dass Menschen – unter welchen Umständen auch immer – daran gehindert werden, nach Europa zu gelangen. Dass die Vertragspartner dabei Menschenrechte massiv verletzen, hat von der Leyen bisher kaum gestört.

Dafür war sie mit rechten Politikern und Regierungen zuletzt besonders d’accord. So etwa bei ihrem demonstrativen Auftritt mit der rechten italienischen Premierministerin Georgia Meloni, die mit schikanösen Maßnahmen aktuell dabei ist, Seenotrettung faktisch unmöglich zu machen. Für ihre vom EU-Gerichtshof für Menschenrechte zurückgepfiffene Idee von Asyllagern im Nicht-EU-Land Albanien ist von der Leyen ebenfalls ziemlich offen.

Die Gründungsidee: Werte im Wandel

Der Karlspreis soll an die Ideale eines vereinten, friedlichen und gerechten Europas erinnern. Doch diese Werte werden in der Realpolitik häufig geopfert. Während Ursula von der Leyen in Aachen für ihren Einsatz gefeiert wird, fragen sich viele Bürgerinnen und Bürger, wie es um den Zusammenhalt in Europa steht; wie es um ihre Zukunft steht, wenn – so wie in den Ländern – irgendwann auch in Brüssel die Rechten die Oberhand haben. Gibt es dann noch ein vereintes Europa, das auf Pluralität und Vielfalt setzt statt auf Nationalismus und Einfalt?

Von der Leyen hat – Fairness muss sein – zweifellos wichtige Impulse gesetzt. Der Green Deal und das Ziel, Europa bis 2050 klimaneutral zu machen, sind ehrgeizige Projekte. Doch die Frage bleibt, ob diese Visionen ausreichen, um den Schaden an anderer Stelle auszugleichen und damit den Karlspreis zu rechtfertigen. In einer Zeit, in der Populismus und Extremismus innerhalb der EU zunehmen, reicht bloßes Krisenmanagement und Polit-Kalkül nicht. Es braucht mutige Entscheidungen und deutlichen Widerspruch zu rechten Forderungen statt deren willige Umsetzung, um die europäischen Werte wieder zu stärken.

Von der Leyen ist eine geschickte Diplomatin, die weiß, wo sie stehen und auf welche Karte sie setzen muss, damit sie wiedergewählt wird. Nur geht das auf Kosten unserer Werte, des Fundaments, auf dem die EU steht. Es kann überall stehen, nur nicht rechts. Da fällt es. (mig) Meinung

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