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CDU-Chef Friedrich Merz im Bundestag

„Schaden ist bereits entstanden“

Psychologin zu Migrationsdebatte: „Schaden ist bereits entstanden“

Seit Magdeburg und Aschaffenburg diskutieren Politiker scharf über Migration. Psychotherapeutin Eva van Keuk kritisiert diese Debatte als kontraproduktiv. Im Gespräch erklärt sie, was die Herausforderungen sind und die Lösung gar nicht kompliziert ist.

Von Mittwoch, 05.02.2025, 16:12 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 05.02.2025, 16:17 Uhr Lesedauer: 7 Minuten  |  

Seit den Anschlägen von Magdeburg und Aschaffenburg wird scharf über Migration und insbesondere über Zuwanderungsbegrenzung diskutiert. Genau die falsche Debatte und zudem unethisch sei das, sagt die Psychotherapeutin Eva van Keuk, Vorständin des Psychosozialen Zentrums für Geflüchtete Düsseldorf (PSZ), im Gespräch. Das Problem der psychischen Störungen unter Flüchtlingen lässt sich ihr zufolge relativ einfach beherrschen, doch die Debatte verschlimmere es.

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Frau van Keuk, würde eine radikale Begrenzung des Zuzugs die Zahl von Gewalttaten senken?

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Eva van Keuk: Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Die Debatte gibt auf wichtige Fragen völlig falsche Antworten. Wenn Menschen, die schutzbedürftig sind, draußen bleiben, dann ist die Gefahr eines Amoklaufs kein bisschen gebannt oder verringert. Je schwieriger die Fluchtwege gestaltet werden, je höher die Mauern gezogen werden, desto schwerer werden die psychischen Belastungen derjenigen, die es überhaupt noch schaffen anzukommen. Es ist absolut erschütternd, was in Aschaffenburg passiert ist. Aber das, was wir nun erleben, halte ich für eine in hohem Maße unethische Instrumentalisierung dieses Dramas. Ich plädiere für eine rationalere Diskussion über Migration und Flucht, die sich weniger aus Angst und Stereotypen nährt, sondern faktenbasiert und nah an der Realität erfolgt.

Im Fokus der Debatte stehen auch psychische Störungen von Flüchtlingen. Bekannt ist, dass Faktoren vor und während der Migration die Belastung erhöhen, aber auch Erfahrungen hier in Deutschland. Erhöht die Debatte den psychischen Druck auf Flüchtlinge zusätzlich?

Bei traumatisierten Geflüchteten ist durch die Debatte tatsächlich ein Schaden entstanden. Wir erleben hier in unserer Arbeit täglich deren große Angst darum, ob es hier für sie überhaupt noch eine Zukunft geben kann. Übrigens nicht nur bei Geflüchteten – selbst bei Menschen, die hier längst angekommen sind, hohe Bildungsabschlüsse erreicht haben oder sogar schon in zweiter Generation hier sind.

Lässt sich auf diesen Druck zurückführen, dass sich psychische Störungen und Erkrankungen verschlimmern?

„Einer meiner Klienten … hat seit den Wahlkampfdebatten eine um 50 Prozent verstärkte depressive Symptomatik.“

Ein konkretes Beispiel: Einer meiner Klienten, der aus einem afrikanischen Land stammt und in der Ukraine studiert hat, dort bei einem Bombardement seine Verlobte verloren hat, hierher geflohen ist und mit typischen Traumasymptomen kämpft, hat seit den Wahlkampfdebatten eine um 50 Prozent verstärkte depressive Symptomatik. Die Triggerbarkeit von Menschen, die Gewalt erfahren haben und in unsicherer Aufenthaltssituation sind, erleben wir hier jeden Tag. Die Debatten, die wir gerade führen, sind wirklich Gift.

Sie sprachen von Depressionen, die sich verschlimmern. Kann vielleicht auch gewalttätiges Verhalten häufiger auftreten? Sind wir in einem Teufelskreis aus scharfer Migrationsdebatte und Gewalttaten?

Der Eindruck könnte entstehen durch die letzten furchtbaren Attentate. Aber genau betrachtet trifft das wohl nicht zu, auch weil die Taten zu unterschiedlich sind. In Magdeburg war es nach meinem Kenntnisstand ein gut integrierter Islamhasser, der die AfD unterstützte. In Aschaffenburg hatten einige der Opfer selbst eine Einwanderungsgeschichte. Es ist also wesentlich vielschichtiger, als der Diskurs vermuten lässt. In den PSZ sind wir für die Begleitung, Beratung und Behandlung von psychisch belasteten Geflüchteten gut aufgestellt, wir können viel präventiv erkennen und Krisen auffangen. Aber wir als ambulant arbeitende PSZ brauchen die Kooperation mit stationären und ambulanten Angeboten der Psychiatrie, um Menschen mit schweren psychischen Störungsbildern eine erforderliche Medikation und Stabilisierung zu ermöglichen.

Können sich Psychosen mit Gewaltbereitschaft durch die Debatte verstärken?

„Das Ausmaß von Fremdgefährdung wird grotesk überschätzt, wohl auch durch die zurückliegenden Gewalttaten beziehungsweise die anschließenden Debatten.“

Zunächst: Das Ausmaß von Fremdgefährdung wird grotesk überschätzt, wohl auch durch die zurückliegenden Gewalttaten beziehungsweise die anschließenden Debatten. Menschen mit psychotischen Störungsbildern sind stresssensibel und oft von Stigmatisierung betroffen, hier gibt es meines Wissens keine Unterschiede zwischen Geflüchteten und Menschen aus der Mehrheitsgesellschaft.

Was die Debatte betrifft: Wesentlich ist der mangelnde Zugang zu Versorgung für Geflüchtete. Selbst wenn jemand mit einem psychotischen Störungsbild die Debatte beunruhigt verfolgt, hätte er ja ein Ventil, wenn er die Möglichkeit hätte, über seine Sorgen und Ängste zu sprechen, oder könnte gegebenenfalls medikamentös gegensteuern. Es geht – übrigens auch bei traumatisierten Klientinnen und Klienten – um den Unterschied zwischen realer Situation und störungsbedingter Symptomatik, und da dienen wir als vertrauenswürdige Brücken zur Realität.

Wir haben es also in der Hand, psychische Belastungen von Flüchtlingen positiv zu beeinflussen?

Absolut. Das Problem ist, dass Verschärfungen verabschiedet worden sind, die der Abschreckung dienen. Diese Maßnahmen sind das Gegenteil dessen, was nötig wäre und was der Prävention dient. Ein Beispiel hierfür ist die Verlängerung der Zeit, in der Asylsuchende keinen Zugang zur Regelgesundheitsversorgung haben, von 18 auf 36 Monate. Ich denke, dahinter steht die Bemühung, der Stimmung in der Bevölkerung nach mehr Abschottung vermeintlich entgegenzukommen.

„Und gegenläufig zu dem, was notwendig wäre, wurden viele Sozialarbeitsstellen in den Unterkünften gestrichen.“

Grundsätzlich entscheiden vor allem die posttraumatischen Lebensrealitäten darüber, ob traumatisierte Menschen sich stabilisieren oder schwer erkranken. Wer in großen Flüchtlingscamps ohne Privatsphäre, ohne integrative Maßnahmen leben muss, wer Zeuge von Abschiebungen wird, kann schwerlich gut ankommen oder sich in Sicherheit wähnen. Und gegenläufig zu dem, was notwendig wäre, wurden viele Sozialarbeitsstellen in den Unterkünften gestrichen.

Sie haben die aus Ihrer Sicht unethische Instrumentalisierung der Debatte angesprochen. Allerdings kann man ja auch ohne fremdenfeindliche Motivation die Frage stellen, ob man Einwanderung nicht begrenzen müsste. Etwa weil man unsere Möglichkeiten zur Bewältigung als nicht ausreichend einschätzt. Haben wir denn die Strukturen, um Flüchtlinge adäquat zu versorgen?

Es braucht zunächst eine gute Aufnahme und niedrigschwelligen Zugang zur Beratung inklusive systematischer Früherkennung. Wenn die PSZ vernünftig und längerfristig finanziert wären, könnten wir noch wesentlich effizienter arbeiten. Wir hier in Düsseldorf haben mehr als 24 Geldgeber. Für sie sind wir sehr dankbar. Gleichzeitig erstellen wir meist jährliche Anträge und Berichte, organisieren Spendenaktionen. Mit einer langfristigen Regelfinanzierung beziehungsweise einer institutionellen Förderung könnten wir mehr Ressourcen in die Versorgung stecken. Bei schweren psychischen Störungsbildern brauchen wir die Vernetzung mit sozialpsychiatrischen Diensten vor Ort.

Wir könnten diese Strukturen also haben, wenn wir wollten?

Ja. Es ist gar nicht schwer, Menschen mit hohen Belastungen frühzeitig zu erkennen. Die Verfahren dazu sind längst entwickelt und bundesweit erprobt. Die allergrößte Barriere ist oft die Sprache.

„Es brauchen ja nicht nur frisch angekommene Geflüchtete eine Sprachmittlung, sondern auch ältere Migrantinnen oder Migranten, die dement werden und in ihre Muttersprache zurückfallen.“

Eine flächendeckende Sprachmittlung wäre eine große Hilfe. Es brauchen ja nicht nur frisch angekommene Geflüchtete eine Sprachmittlung, sondern auch ältere Migrantinnen oder Migranten, die dement werden und in ihre Muttersprache zurückfallen. Das alles müssten wir als Realität anerkennen und einen angemessenen Umgang damit finden, anstatt sich innerlich und äußerlich abzuschotten. Was oft vernachlässigt wird: Viele der Geflüchteten sind zu Beginn voller Hoffnung und bringen ihrerseits enorme Fähigkeiten und Ressourcen mit. Diese Motivationen sind ein wertvoller Schatz, der dann in den Unsicherheiten und schlechten Lebensbedingungen aufgerieben wird.

Nach vorliegenden Zahlen erhalten nur drei Prozent von Asylsuchenden, die eine psychosoziale Versorgung benötigen, adäquate Hilfe. Bedeutet das, dass wir unsere Ressourcen mehr als verdreißigfachen müssten, um den Bedarf zu decken? Gibt es denn so viele Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten?

Laut einer Metastudie haben ungefähr 30 Prozent der Geflüchteten eine Traumafolgestörung. Aber diese 30 Prozent sind nicht alle therapiebedürftig. Schon die Verbesserung der Aufnahmebedingungen und der oft schlechten Unterkunftssituation würde die psychische Verwundbarkeit verringern, und damit den Therapiebedarf. Wir müssen die Strukturen gar nicht so viel multiplizieren, sondern für andere Aufnahmebedingungen sorgen, den Zugang zur Regelversorgung durch Sprachmittlung vereinfachen, für faire Asylverfahren sorgen und Tools zur Früherkennung flächendeckend einsetzen. Das ist alles gar nicht so geheimnisvoll. (epd/mig) Leitartikel Politik

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