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Menschen flüchten aus der Ukraine (Archiv) © janosnemesh/123rf.com

Arbeitsmarkt

Ukrainer in Deutschland – Eine Bilanz nach drei Jahren Krieg

Mehr als eine Million Menschen sind seit Kriegsbeginn vor drei Jahren aus der Ukraine nach Deutschland gekommen. Was zunächst als vorübergehender Aufenthalt gedacht war, wurde immer mehr zu einer Dauerlösung. Wie steht es heute um die Integration der Ukrainer auf dem Arbeitsmarkt?

Von Montag, 24.02.2025, 11:38 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 24.02.2025, 11:38 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Vor drei Jahren hat die größte Flüchtlingsbewegung in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg eingesetzt – wie gut sind die Ukrainerinnen und Ukrainer inzwischen auf Deutschlands Arbeitsmarkt angekommen? Als Russlands Präsident Wladimir Putin am 24. Februar 2022 seinen Angriff auf das Nachbarland begann, wollten die meisten ihr Leben retten. Die wenigsten dachten Schilderungen von Betroffenen zufolge an einen jahrelangen Aufenthalt in Deutschland. Wie hat sich die Lage seither entwickelt?

Arbeitsmarktforscher Enzo Weber sieht deutliche Fortschritte bei der Integration von Menschen aus der Ukraine auf dem Arbeitsmarkt. „Seit Anfang 2024 geht es deutlich stärker bergauf, die Beschäftigung von Ukrainerinnen und Ukrainern steigt derzeit um rund 7.000 pro Monat“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Deutschen Presse-Agentur. „Wir sind mittlerweile bei einer Beschäftigungsquote von klar über 30 Prozent.“ Im europäischen Vergleich bewege sich Deutschland im Mittelfeld.

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Rund eine halbe Million erwerbsfähige Ukrainer

Inzwischen leben laut Statistikamt rund 1,2 Millionen Menschen aus der Ukraine in Deutschland, etwa achtmal mehr als zu Beginn des Kriegs – und die Zahl geht nicht zurück. Im Gegenteil: Die Zahl der Ukrainerinnen und Ukrainer in Deutschland hatte zuletzt sogar wieder leicht zugenommen.

Im Januar waren nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit rund eine halbe Million Ukrainerinnen und Ukrainern als „erwerbsfähig“ bei den Jobcentern gemeldet. Nach Angaben der Arbeitsagentur waren 296.000 ukrainische Staatsbürger im November vergangenen Jahres beschäftigt, rund 245.000 von ihnen sozialversicherungspflichtig. Im Vergleich zum November 2023 waren dies insgesamt etwa 83.000 mehr Beschäftigte aus der Ukraine.

Ukrainerinnen und Ukrainer arbeiten demnach besonders oft in der Industrie, im Handel, Gesundheits- und Sozialwesen, Baugewerbe, Gastgewerbe und im wirtschaftlichen Dienstleistungsbereich. Arbeitslos waren laut Behörde nach Datenstand im Januar 211.202 ukrainische Staatsangehörige. 98.000 Menschen nehmen an Integrationskursen teil, 29.000 Menschen an berufsbezogenen Sprachkursen und 21.000 Ukrainerinnen und Ukrainer an Arbeitsmarkt-Programmen. Rund 706.000 Menschen bekommen Bürgergeld, davon etwa 200.000 Kinder.

Heil: „Der Job-Turbo wirkt“

Im Herbst 2023 hatte die Bundesregierung den sogenannten „Job-Turbo“ angekündigt. Ziel ist es, Geflüchteten mit Bleibeperspektive eine schnellere Vermittlung in Arbeit zu ermöglichen. „Der Job-Turbo wirkt und zwar bundesweit“, sagt Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) der Deutschen Presse-Agentur. Mithilfe des „Job-Turbos“ würden jeden Monat tausende Menschen aus der Ukraine in Arbeit gebracht, die Steuern zahlten und das Land voranbrächten. Soll sich daran etwas ändern? Heil: „Diesen Weg gehen Bund, Länder und Kommunen gemeinsam mit den Jobcentern weiter.“

Ob der Anstieg der Beschäftigung am „Job-Turbo“ läge, ist laut Experte Weber bislang noch unklar. „Es liegen ja Erfahrungen mit der Integration von Geflüchteten vor und wir wissen, dass es da bestimmte Verläufe bei der Arbeitsmarktintegration gibt“, erklärt er, „und die brauchen Zeit.“

Seit 2022 gilt für ukrainische Kriegsflüchtlinge EU-weit die „Massenzustrom-Richtlinie“, wie der Mediendienst Integration erläutert. Der Vorteil sei, dass Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine „automatisch einen Aufenthaltsstatus“ bekommen. Die Bundesregierung verlängerte Ende des Jahres die derzeitige Regelung bis März 2026.

Hürden beim Eintritt in den Arbeitsmarkt

Aus Sicht von Sarah Strobel, Projektleiterin vom „Netzwerk Unternehmen integrieren Flüchtlinge“, sind geringe Sprachkenntnisse eine der größten Hürden beim Einstieg in den Arbeitsmarkt. Das Projekt wurde als Initiative der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) und des Bundeswirtschaftsministeriums bereits 2016 gestartet.

„Auch das Thema mangelnde Kinderbetreuungsangebote spielt eine entscheidende Rolle, da die überwiegende Mehrheit der Geflüchteten Frauen sind“, erläutert Strobel. Neben Sprachbarrieren und fehlender Kinderbetreuung sieht Experte Weber außerdem die Anerkennung von Abschlüssen sowie langwierige Verfahren als Hindernisse bei der Integration in den Arbeitsmarkt.

Aus Sicht des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) fehlten zunächst vielen Geflüchteten neben ausreichenden Deutschkenntnisse auch die passenden Vorqualifikationen. Ein weiteres Hindernis sei das fehlende Wissen über das deutsche Ausbildungssystem: „Viele Geflüchtete kennen die beruflichen Möglichkeiten und Karrierechancen, die das Handwerk bietet, schlichtweg nicht“.

Werden Fachkräftelücken geschlossen?

Laut Verband bleibt die Zahl der im Handwerk beschäftigten Menschen „bislang hinter den Erwartungen“ zurück. Das Dazukommen der Ukrainerinnen und Ukrainer sei spürbar, sagt Weber. Das sei allerdings nicht „das Schwergewicht des Arbeitsmarkts“. Weber: „Rein aus Alterungsgründen verlieren wir deutlich mehr Arbeitskräfte pro Jahr, als Ukrainer überhaupt beschäftigt sind.“ Allerdings arbeiteten viele auch in Jobs, für die sie eigentlich überqualifiziert seien.

Netzwerk-Projektleiterin Strobl hingegen berichtet, dass Ukrainerinnen und Ukrainer derzeit in den Betrieben vermehrt in den Fachkrafttitel wechselten. Neben verbesserten Deutschkenntnissen hänge dies mit Nachqualifizierungen, Berufsankerkennung sowie dem Ausbau von beruflichen Qualifikationen zusammen.

Wie die Teilhabe am Arbeitsmarkt gelingt

Um die Teilhabe am Arbeitsmarkt weiter auszubauen, ist Strobl zufolge ein flexibler sowie flächendeckender Zugang zu Sprachkursen wichtig. Auch die Anerkennung von Qualifikationen könne in der Praxis heute noch teils sehr lange dauern. Zudem sei der Ausbau von Kinderbetreuungsangeboten eine wichtige Stellschraube.

Laut Handwerksverband sollte zudem in den Integrationskursen das Thema Berufsausbildung und langfristige Perspektiven stärker betont werden. Außerdem brauche es mehr praxisnahe Angebote, wie Praktika oder Einstiegsqualifizierungen, um Geflüchteten zu ermöglichen, Berufe direkt kennenzulernen.

Aus Sicht von Arbeitsmarktforscher Weber muss die Integration der Menschen aus der Ukraine weiter gefördert werden: „Man muss da weiter an der Entwicklung dranbleiben, damit wir aus dem beruflichen Potenzial das Beste machen können.“ Es reiche nicht, einen „Haken daran“ zu machen, sobald die Person in der Beschäftigungsstatistik sei – denn oft führe der Weg zunächst über Helferjobs.

Zudem werde der Krieg in der Ukraine irgendwann vorbei sein, so Weber. Aus der Erfahrung wisse man, dass dann viele Menschen in Deutschland bleiben – aber auch viele in das Land zurückkehren werden. Deswegen sei es wichtig, Netzwerke aufzubauen. „Mit Menschen, die jetzt hier Erfahrungen gesammelt haben, die Sprache gelernt haben, die Verbindungen aufgebaut haben, kann man Netzwerke entwickeln“ erklärt Weber. (dpa/mig) Aktuell Gesellschaft

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