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Kind wartet am Flughafen © de.depositphotos.com

Fünf Jahre Lockdown

Was die Corona-Pandemie für Migranten bedeutete

PCR-Tests, Homeoffice, Hamsterkäufe. Ab März 2020 greifen die ersten Corona-Maßnahmen. Die Auswirkungen sind gravierend. Menschen mit ausländischen Wurzeln trifft der Lockdown besonders hart – Rückblick über eine ungleiche Krise.

Von Montag, 17.03.2025, 11:32 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 17.03.2025, 11:41 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Als vor fünf Jahren die Welt von der Corona-Pandemie erschüttert wurde, änderte sich das Leben in Deutschland schlagartig. Während Begriffe wie Lockdown, Homeoffice und PCR-Tests Einzug in den Alltag hielten, traten insbesondere für Menschen mit ausländischen Wurzeln und ausländische Arbeitskräfte spezifische Herausforderungen zutage – weit über die gesundheitlichen Folgen hinaus.

Die weltweiten Reisebeschränkungen trafen viele hart, doch für Menschen mit Migrationserfahrung in Deutschland waren sie besonders schmerzhaft. Plötzlich war es unmöglich, Eltern, Geschwister oder Kinder in der Heimat zu besuchen. Selbst in tragischen Momenten, wie bei Todesfällen, blieb vielen der letzte Abschied verwehrt. Während in Deutschland ein Aufschrei durch das Land ging, weil Großeltern für einige Wochen nicht besucht werden konnten, mussten Millionen von Menschen mit ausländischen Wurzeln jahrelang auf ein Wiedersehen mit ihren Liebsten verzichten. Besonders schmerzhaft war, dass der einmal jährlich stattfindende und langersehnte Sommerurlaub in der alten Heimat abgesagt werden musste.

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Für viele war dies nicht nur eine emotionale Belastung, sondern hatte existenzielle Konsequenzen: Eltern starben ohne die Möglichkeit, sich von ihren Kindern zu verabschieden, Hochzeiten und Geburten fanden ohne die engsten Angehörigen statt, und unzählige Familien wurden auseinandergerissen. Während sich für viele Deutsche das Leben nach einigen Monaten wieder normalisierte, bedeutete die Pandemie für zahlreiche Menschen mit Migrationsgeschichte eine jahrelange Zwangstrennung – mit langfristigen Folgen. In vielen Fällen bedeutete das: Kinder wuchsen ohne den physischen Kontakt zu ihren Großeltern auf.

Ehe auf Distanz funktioniert oft nicht

Hart trafen die Corona-Maßnahmen auch zahlreiche Ehen, die der Distanz nicht standhielten. Besonders dramatisch war die Situation für Familien, die kurz vor dem Zusammenzug standen. Personen, die alle erforderlichen Schritte für den Familiennachzug abgeschlossen hatten – Sprachtests bestanden, Visa erhalten –, wurden plötzlich gezwungen, weiterhin getrennt zu leben. Geschlossene Botschaften und ausgesetzte Visaverfahren führten dazu, dass der komplette Familiennachzug zum Erliegen kam. Diese Angehörigen hatten oftmals einen Anspruch auf ein Familienleben in Deutschland, doch die Pandemie machte diese Hoffnungen zunichte.

Ein besonders drastisches Beispiel war die Situation syrischer Familien, die nach jahrelanger Flucht endlich wieder vereint werden sollten. Viele von ihnen warteten in Drittstaaten wie der Türkei oder dem Libanon auf ihre Visa, doch die Bearbeitung kam durch die Pandemie vollständig zum Stillstand. Währenddessen saßen ihre Angehörigen in Deutschland in Ungewissheit fest – oft in Sammelunterkünften mit höheren Infektionsraten, isoliert von der Außenwelt. Familien fanden sich plötzlich in einem endlosen Wartestatus wieder.

Dramatisch war auch die Situation für Menschen, deren Angehörige in Krisenregionen oder Ländern mit schlechter Gesundheitsversorgung lebten. Während deutsche Staatsbürger mit Rückholaktionen aus dem Ausland nach Deutschland geflogen und versorgt wurden, standen viele Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft vor verschlossenen Konsulaten und warteten vergeblich auf eine Reise nach Deutschland. Die Pandemie verstärkte bestehende Ungleichheiten und Diskriminierungen, was die Lage vieler Betroffener weiter verschlechterte.

Fleischindustrie: Skandale offenbaren menschenunwürdige Zustände

Während der Pandemie geriet ein weiterer Bereich, der von rassistischer Ungleichbehandlung durchsetzt war, ins Rampenlicht. Besonders betroffen waren Arbeitskräfte aus Osteuropa, die in systemrelevanten Branchen wie der Fleischindustrie, der Landwirtschaft und der häuslichen Pflege beschäftigt waren. Trotz ihrer essenziellen Rolle für die Versorgung der Bevölkerung erhielten sie oft keinen angemessenen Zugang zu Gesundheitsversorgung, arbeitsrechtlichem Schutz oder staatlichen Hilfen. In vielen Fällen mussten sie unter schlechten Bedingungen weiterarbeiten, während deutsche Beschäftigte von Kurzarbeit oder Homeoffice profitieren konnten.

Massenhafte Corona-Ausbrüche in Schlachthöfen und Fleischbetrieben deckten die prekären Arbeits- und Lebensbedingungen der meist ausländischen Beschäftigten – zumeist aus Rumänien, Bulgarien oder Polen – auf. Überbelegte Unterkünfte, mangelnder Arbeitsschutz und Ausbeutung durch Werkverträge waren an der Tagesordnung. Die Corona-Ausbrüche in großen deutschen Fleischbetrieben machten die prekären Wohn- und Arbeitsbedingungen in der Branche sichtbar.

Trotz politischer Versprechen und gesetzlicher Initiativen wie dem Arbeitsschutzkontrollgesetz blieben tiefgreifende Verbesserungen oft aus. Arbeitsverträge über Subunternehmer erschwerten es den Betroffenen, sich rechtlich zu wehren, da ihre Arbeitgeber oft gar nicht direkt die deutschen Fleischbetriebe waren, sondern zwischengeschaltete Vermittlungsfirmen. Erst nach massivem öffentlichem Druck wurden einige Änderungen beschlossen, doch an den Grundstrukturen der Ausbeutung änderte sich wenig. Die Ausbeutung von Arbeitsmigranten setzt sich vielerorts bis heute fort.

Visastopp: Studierende und Fachkräfte im Wartestand

Das Erliegen des Visaprozesses traf auch internationale Studierende und Fachkräfte, die bereits ein Visum für Deutschland erhalten hatten, aber nicht einreisen konnten. Ihre Anträge blieben unbearbeitet, und sie saßen oft monatelang im Ausland fest. Gerade für Studierende aus dem globalen Süden, die an deutschen Universitäten angenommen waren und bereits Mieten oder Studiengebühren gezahlt hatten, war dies ein existenzielles Problem. Sie saßen praktisch fest, konnten ihr Studium nicht beginnen. Problematisch war dies auch für Stipendiaten, die ihre finanzielle Unterstützung durch den verspäteten Studienbeginn in Gefahr sahen.

Ausländische Studierende, die bereits in Deutschland waren, traf der Lockdown ebenfalls hart. Viele von ihnen sind auf Einkünfte aus Nebenjobs angewiesen, die in der Pandemie oft wegfielen, was ihre finanzielle Lage weiter verschärfte. Die Bundesregierung stellte zwar einen Nothilfefonds für Studierende in finanzieller Not bereit, doch dieser war oft nicht ausreichend und schloss internationale Studierende teilweise aus.

Ein Lichtblick: Solidarität und Reformen

Trotz aller Herausforderungen zeigte die Pandemie auch Momente der Solidarität. Viele Initiativen setzten sich für die Rechte von Menschen mit ausländischen Wurzeln und Arbeitskräften ein. Die Krise machte deutlich, dass tiefgreifende Reformen notwendig sind, um die Arbeits- und Lebensbedingungen dieser Menschen nachhaltig zu verbessern.

Zahlreiche Organisationen wie Pro Asyl oder Flüchtlingsräte forderten während der Pandemie pragmatische Lösungen für die Betroffenen. In einigen Fällen wurde es durch politischen Druck ermöglicht, dass humanitäre Härtefälle schneller bearbeitet wurden. Dennoch bleibt der Nachholbedarf immens.

Aufarbeitung der Pandemie: Ein unvollendetes Kapitel

In Summe wirkte die Corona-Pandemie wie ein Brennglas und legte bestehende Missstände schonungslos offen. Während Deutschland sich mit wirtschaftlichen Einbußen und eingeschränkten Freiheiten auseinandersetzte, bedeuteten die Maßnahmen für viele Menschen mit Migrationserfahrung den Verlust grundlegender Rechte, die Zerschlagung von Familien, finanzielle Notlagen, massive Ungleichbehandlung bis hin zu fortlaufender Ausbeutung.

Auf eine Aufarbeitung dieser Corona-Politik warten die Betroffenen bis heute. Zwar gibt es entsprechende Forderungen, allerdings beschränken sie sich auf die Untersuchung von wirtschaftlichen Schäden und auf die allgemeinen gesellschaftlichen Einschränkungen. Die tiefgreifenden Auswirkungen der Maßnahmen auf Menschen mit Migrationserfahrung sind kein Thema. Eine ehrliche Bilanz der Pandemiepolitik sollte jedoch sicherstellen, dass künftige Krisenmaßnahmen gerechter werden. (mig) Leitartikel Panorama

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