
Bayern
Ein Jahr Asyl-Bezahlkarte – 70.000 Exemplare im Umlauf
Asylbewerber erhalten in ganz Bayern quasi kein Bargeld mehr – die staatlichen Leistungen gibt es auf einer Bezahlkarte. Das Konzept, das vor einem Jahr startete, ist weiterhin nicht unumstritten.
Von Christoph Trost, Marco Hadem und Michael Donhauser Mittwoch, 19.03.2025, 12:19 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 19.03.2025, 12:19 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Vor einem Jahr ging es los: Am 21. März 2024 startete in Bayern in vier Modell-Kommunen die Ausgabe von Bezahlkarten für Asylbewerber, in den Landkreisen Fürstenfeldbruck, Traunstein, Günzburg und in der Stadt Straubing. Längst ist die Karte, die aussieht wie eine EC- oder Debitkarte, bayernweit ausgerollt, mehr als 70.000 Exemplare sind aktuell im Einsatz. Die Kritik daran ebbt aber auch nach einem Jahr nicht ab. Die wichtigsten Fragen und Antworten:
Warum wurde die Bezahlkarte eingeführt?
CSU und Staatsregierung argumentierten damals, dass ein Teil der Asylbewerber das ihnen in Deutschland ausgehändigte Geld ins Ausland transferiere, entweder zur Unterstützung von Familien zu Hause oder sogar zur Bezahlung von illegalen Menschenhändlern, also Schleusern. Sachleistungen seien deshalb besser als Geldleistungen. Grundsätzlich folgte die Einführung der Annahme, dass damit ein Anreiz für Flüchtlinge wegfalle, überhaupt nach Deutschland zu kommen – solche Anreize werden auch Pull-Faktoren genannt.
Einer Studie zufolge ist die offizielle Begründung allerdings nicht stichhaltig. Experten zufolge überweisen Geflüchtete ohnehin kaum Geld ins Ausland, da die Leistungen gerade so zur Deckung des Lebensunterhalts in Deutschland reichen.
Wie viel Geld ist auf der Karte verfügbar?
Das hängt von verschiedenen Faktoren ab, etwa Alter, Familienstand oder Art der Unterbringung. Konkret bekommt ein alleinstehender Erwachsener, der in einer Gemeinschaftsunterkunft lebt, derzeit 441 Euro pro Monat auf seine Karte gespielt. Davon kann er in Bayern nur 50 Euro in bar abheben – etwa für Kleineinkäufe beim Bäcker oder in Läden ohne Kartenlesegerät. Abgesehen davon funktioniert die Karte wie eine normale EC- oder Debitkarte.
Was ist mit der Karte nicht möglich?
Online-Einkäufe sind ausgeschlossen. Die Karte ist aber in allen Geschäften und bei allen Dienstleistern einsetzbar, die Mastercard annehmen – allerdings: regional beschränkt auf den jeweils zulässigen Aufenthaltsbereich. Überweisungen an Dritte oder gar ins Ausland sind nicht machbar.
Wie viele Karten sind in Bayern aktuell im Umlauf?
Nach dem Start in den vier Pilot-Kommunen wurde die Karte Schritt für Schritt in immer mehr Regionen ausgegeben. Schon Ende Juni 2024 meldete das Innenministerium, die Karte sei nun in allen 96 Landkreisen und kreisfreien Städten eingeführt. Aktuell sind mehr als 70.000 Exemplare im Umlauf.
Wie läuft es aus Sicht der Staatsregierung?
„Unser Bezahlkartensystem funktioniert sehr gut, wir setzen die Karte konsequent und flächendeckend in ganz Bayern ein“, sagt Innenstaatssekretär Sandro Kirchner (CSU). „Die Erfahrungen zeigen, dass mit der Bezahlkarte der tägliche persönliche Bedarf gedeckt werden kann – genau hierfür sind die Leistungen gedacht. Außerdem verhindern wir mit der Karte Überweisungen ins Ausland, etwa an kriminelle und menschenverachtende Schlepperbanden.“ Zudem sei der Verwaltungsaufwand durch die digitalen Vorgänge deutlich reduziert worden, heißt es. „Unser Personal konnte spürbar entlastet werden“, berichtet etwa der Günzburger Landrat Hans Reichhart (CSU).
Was sagen Kritiker?
Verbände wie der bayerische Flüchtlingsrat halten die Bezahlkarte für Gängelei. Der Flüchtlingsrat bezeichnet sie als „Diskriminierungskarte“. Die Argumente für die Einführung – einen angeblichen Missbrauch von Sozialleistungen zu verhindern und Schleuserkriminalität zu bekämpfen – seien wissenschaftlich nicht haltbar. Hetze gegen Geflüchtete sei damit salonfähiger geworden. Abgesehen davon erschwere die Karte die Teilhabe im alltäglichen Leben. 50 Euro Bargeld pro Monat seien zu wenig. Und das Einkaufen auf Flohmärkten, in Secondhand-Läden oder über Kleinanzeigen sei nur noch begrenzt möglich.
Wie haben Gerichte entschieden?
Sozialgerichte haben in den vergangenen Monaten unterschiedlich entschieden. Teils wurden Klagen von Betroffenen verworfen. Andere Kläger bekamen dagegen – jeweils nach den Umständen des Einzelfalls – Recht.
Was hat es mit Tauschaktionen auf sich?
In einigen Städten gibt es mittlerweile Initiativen, die Tauschbörsen ins Leben gerufen haben, um das Bargeld-Limit zu umgehen. Beispielsweise können Asylbewerber mit der Bezahlkarte Gutscheine etwa in Supermärkten kaufen, die ihnen Bürger gegen Bargeld abkaufen. Der Staatsregierung passt dies gar nicht.
Das Innenministerium erklärt aber auch, es handele sich nicht um ein massenhaftes, flächendeckendes Phänomen, sondern um eine kleine, überproportional laute Minderheit. „Wir gehen nicht von einer relevanten Umgehung des Bargeld-Limits aus, denn nur wenige Menschen werden dauerhaft bereit sein, solche Gutscheine abzukaufen.“
Wie geht es weiter?
Ziel der Union ist es, das System der Bezahlkarte in ganz Deutschland zum Einsatz zu bringen. So stand es im gemeinsamen Bundestagswahlprogramm, und das haben CDU und CSU auch in den Sondierungsgesprächen mit der SPD durchgesetzt. Tauschbörsen und Ähnliches sollen ein Ende haben.
Im gemeinsamen Papier von Union und SPD, das die Grundlage für die Koalitionsverhandlungen bildet, heißt es: „Wir wollen, dass die Bezahlkarte deutschlandweit zum Einsatz kommt, und werden ihre Umgehung unterbinden.“ (dpa/mig) Aktuell Politik
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