
Hiobsbotschaft
Eindringliche Warnungen vor Auflösung des Entwicklungsministeriums
Die Zukunft des Entwicklungsministeriums ist Thema bei den laufenden Koalitionsverhandlungen. Hilfsorganisationen zeigen sich alarmiert und warnen: Eine Auflösung hätte gravierende Folgen für Armutsbekämpfung und Sicherheit. Auch frühere Unions-Politiker warnen. Aber warum ist das Ministerium überhaupt so wichtig?
Donnerstag, 27.03.2025, 11:12 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 27.03.2025, 11:34 Uhr Lesedauer: 7 Minuten |
Die von Unionsseite in den Koalitionsverhandlungen mit der SPD vorgebrachte Forderung nach Kürzung der Entwicklungshilfe stößt auf scharfe Kritik und eindringliche Warnungen von Hilfsorganisationen und früheren Unionspolitikern. Die aktuell in den Koalitionsgesprächen verhandelten Pläne kämen zur Unzeit und seien ein völlig falsches Signal angesichts der politischen Herausforderungen, erklärten Caritas International und Misereor am Mittwoch. Zuvor hatte das „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ gemeldet, dass CDU und CSU das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in das Auswärtige Amt integrieren wollen, die SPD sei dagegen.
Mit der Eingliederung ins Außenamt „würde Deutschland nicht nur leichtfertig ein wichtiges Instrument in der internationalen Zusammenarbeit aus der Hand geben, sondern verliert auch massiv an Einfluss und Bedeutung, als verlässlicher Partner in der Welt aufzutreten“, sagte Oliver Müller, Leiter von Caritas international. Darüber hinaus hätte dies gravierende Auswirkungen auf Armutsbekämpfung und Migrationsbewegungen sowie globale und nationale Sicherheitsfragen: „Die massiven Kürzungen in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit von heute sind die globalen Krisen von morgen, mit Auswirkungen bis nach Deutschland“, betonte Misereor-Geschäftsführer Bernd Bornhorst.
Hiobsbotschaft für Menschen im Globalen Süden
„Brot für die Welt“ warnte, eine Abschaffung des Entwicklungsministeriums „wäre ein fataler Fehler und eine Hiobsbotschaft für Not leidende Menschen im Globalen Süden“. Der Blick auf andere Länder mache deutlich: „Wo eigenständige Entwicklungsministerien abgeschafft wurden, ist Entwicklungspolitik zu einem vernachlässigten und untergeordneten Anhängsel geworden“, erklärte Dagmar Pruin, Präsidentin des evangelischen Hilfswerks. Auch die Entwicklungsorganisation ONE zeigte sich alarmiert: „Millionen von Menschenleben wären direkt betroffen“, erklärte Deutschland-Chefin Lisa Ditlmann. „Entwicklungszusammenarbeit braucht eine starke Stimme im Kabinett – auf Augenhöhe mit den anderen Ressorts.“
Im Papier der entsprechenden Arbeitsgruppe schreibt die Union den Medienberichten zufolge: Ziel der Integration sei es, „endlich Kohärenz in unserem gesamten Außenhandeln – zwischen Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik sowie der Außenwirtschaftsförderung – herzustellen“. Die SPD plädiere dafür, die Zusammenarbeit zwischen Entwicklungsministerium, Auswärtigem Amt und Verteidigungsministerium zu stärken.
Streit auch um die Höhe der Entwicklungshilfe
Umstritten sei in der zuständigen Arbeitsgruppe auch die Höhe der Entwicklungshilfe, berichtete das „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ weiter. Die Union wolle sie senken. Die SPD wolle hingegen mindestens 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für öffentliche Entwicklungsleistungen aufwenden. 1972 hatten die Vereinten Nationen vereinbart, dass die Richtlinie für die Industriestaaten eine solche sogenannte ODA-Quote von 0,7 Prozent sein soll. Für das Jahr 2023 meldete das BMZ für Deutschland eine ODA-Quote von 0,82 Prozent.
Die Welthungerhilfe forderte die Koalitionspartner eindringlich auf, die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe nicht weiter zu kürzen. „Der Hunger in der Welt nimmt zu – gleichzeitig schrumpfen die Budgets, die genau diese Not lindern sollen“, kritisierte Vorstandsvorsitzender Mathias Mogge. „Diese Kürzungen bedrohen das Leben von Millionen Menschen.“
Frühere CDU/CSU-Spitzenpolitiker gegen Kürzungen
Die Pläne der Union stoßen auch in den eigenen Reihen auf Kritik. Frühere Spitzenpolitiker von CDU und CSU erklärten einem Medienbericht zufolge: „Wer bei der Entwicklung spart, schwächt nicht nur unsere internationalen Partnerschaften, sondern auch die Werte und Interessen, für die Deutschland steht.“ Wie das „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ berichtet, wurde ein entsprechender Aufruf zusammen mit mehreren früheren SPD-Spitzenpolitikern und Vertretern der Kirchen unter anderem von Ex-Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), vom früheren Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und dem ehemaligen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert (CDU) unterzeichnet.
Müller sagte der in Ravensburg erscheinenden „Schwäbischen Zeitung“, er könne angesichts geplanter Rekordausgaben für Rüstung und Infrastruktur nicht verstehen, dass ernsthaft darüber diskutiert werde, „die Mittel für Flüchtlingsnotversorgung, globalen Klimaschutz und Rohstoffpartnerschaften zu reduzieren“. Um die staatlichen Einnahmen zu erhöhen, sprach er sich für eine Finanztransaktionssteuer auf Spekulationsgeschäfte aus. „Mit diesem Geld könnten wir das Klima retten und eine Welt ohne Hunger schaffen“, erläuterte Müller, der seit 2021 Generaldirektor der UN-Organisation für industrielle Entwicklung (Unido) ist.
Achim Steiner, Leiter des UN-Entwicklungsprogramms UNDP, sagte am Donnerstag im Deutschlandfunk, auch die neue Bundesregierung sollte aus seiner Sicht Entwicklungshilfe nicht nur unter einer Perspektive der Solidarität betrachten. „Sondern es ist wirklich auch eine Investition in unsere gemeinsame Sicherheit, in unsere gemeinsame Zukunft“, unterstrich er.
Krisen sind teurer als Prävention
In dem Appell von Vertretern von CDU/CSU, SPD und Kirchen heißt es laut „RedaktionsNetzwerk Deutschland“, Entwicklungszusammenarbeit verhindere Krisen und schütze deutsche Interessen. Investitionen in Entwicklung, Bildung, Gesundheit und gute Regierungsführung seien entscheidend, um langfristige Stabilität zu schaffen. „Es ist um ein Vielfaches teurer, auf Krisen und Konflikte zu reagieren, als ihnen vorzubeugen“, wird gemahnt. „Deshalb braucht es nicht nur eine gut ausgestattete Bundeswehr, sondern auch eine starke Außen- und Entwicklungspolitik“, argumentieren die Unterzeichner.
Der Appell trage auch die Unterschriften des früheren Außenministers Sigmar Gabriel (SPD), des ehemaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse (SPD) und der früheren Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD). Unterschrieben hätten zudem die Präsidentin des Zentralrats der Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, und die Präses der Synode der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD), Anna-Nicole Heinrich.
Was macht das Bundesentwicklungsministerium?
Die Entwicklungszusammenarbeit hat – allgemein gesprochen – zum Ziel, die Lebensumstände von Menschen in Ländern des globalen Südens zu verbessern. Das Entwicklungsministerium, das derzeit noch geschäftsführend von der SPD-Politikerin Svenja Schulze geleitet wird, setzt entsprechende Vorhaben weltweit um, in Ländern wie Äthiopien, Kambodscha oder Bolivien. Konkret geht es um Projekte in der Landwirtschaft, zur Bekämpfung des Hungers, aber auch um Klimaschutz oder die Förderung von Menschenrechten.
Bei der Umsetzung vertraut die Bundesregierung maßgeblich auf die bundeseigene Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Allerdings fördert das Entwicklungsministerium auch nicht staatliche Akteure wie kirchliche Hilfswerke. Zudem beteiligt sich Deutschland an multilateralen Vorhaben, etwa von der Weltbank oder den Vereinten Nationen.
Seit wann gibt es das Ministerium?
Gegründet wurde es im November 1961, damals noch als Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung. Die Aufgaben der Entwicklungspolitik, die zuvor auf verschiedene Ministerien verteilt waren, wurden so gebündelt. Erster Bundesminister wurde Walter Scheel (FDP). Der damalige Kanzler Konrad Adenauer (CDU) betrachtete den Aufbau der Entwicklungspolitik vor dem Hintergrund des Kalten Krieges sowie des Endes der Kolonialherrschaft als Möglichkeit, die junge Bundesrepublik als verlässlichen Partner in der Weltpolitik zu etablieren.
Anfangs hatte das Haus nur eine koordinierende Rolle inne. Technische Unterstützung, Beratung und Kapitalhilfe verblieben zunächst beim Auswärtigen Amt sowie den Wirtschafts- und Finanzministerien. 1993 wurde das Haus umbenannt und trägt seitdem seinen heutigen Namen.
Warum steht die Zukunft des Hauses zur Debatte?
Die Diskussion ist nicht neu. Die FDP hatte – damals noch als Teil der Ampel-Koalition – bereits vergangenes Jahr vorgeschlagen, das Ministerium ins Auswärtige Amt einzugliedern. Dies wollen nun offenbar auch CDU und CSU in den laufenden Koalitionsverhandlungen durchsetzen. Laut einem Bericht des „RedaktionsNetzwerks Deutschland“ (RND) soll dadurch für mehr Kohärenz in der deutschen Außenpolitik gesorgt werden. Die SPD ist demnach dagegen.
Was sagen Fachleute zu einer möglichen Zusammenlegung?
Tatsächlich gibt es Koordinationsbedarf vor allem mit dem Auswärtigen Amt, das etwa maßgeblich die Nothilfe in Krisensituationen umsetzt. Zugleich fällt die Debatte in eine Zeit, in der die weltweite Auslandshilfe durch die Zerschlagung der US-Hilfsagentur USAID durch Präsident Donald Trump ohnehin bereits unter Druck steht.
Der Direktor des „Centre for Humanitarian Action“ (CHA), Ralf Südhoff, warnt auch vor diesem Hintergrund eindringlich vor einer Abschaffung des Entwicklungsministeriums. Dies würde „eine fundamentale Neuordnung der deutschen internationalen Hilfe bedeuten“, sagte der Leiter der Denkfabrik dem Evangelischen Pressedienst. Deutschland wäre „für Jahre mit internen Prozessen statt den Krisen der Welt beschäftigt“. Der Experte fürchtet zudem, dass die Entwicklungszusammenarbeit mit einer Integration ins Auswärtige Amt „nicht mehr finanziell stabil ausgestattet wäre“.
Für eine Zusammenlegung plädiert hingegen der ehemalige Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen. Die Außenpolitik könnte dann „aus einem Guss“ gestaltet werden, sagte er vor wenigen Tagen der „Rheinischen Post“. Zugleich warnte der Diplomat jedoch vor einer Kürzung der Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit.
Was kostet die deutsche Entwicklungszusammenarbeit?
Die jüngsten Zahlen dazu liegen für 2023 vor. Damals ließ sich Deutschland rund 35 Milliarden Euro als öffentliche Entwicklungshilfe anrechnen. Darunter fallen jedoch auch Mittel aus anderen Ministerien, den Bundesländern sowie den Kommunen. Ausgaben für die Flüchtlingshilfe im Inland werden dabei ebenfalls berücksichtigt. Der eigentliche Etat des BMZ ist zuletzt geschrumpft. Für das laufende Jahr stehen rund 10,3 Milliarden Euro zur Verfügung. (epd/mig) Aktuell Politik
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