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Gerichtsverhandlung (Symbolfoto) © de.depositphotos.com

Mehrheit für Schlussstrich

Ansprüche auf jüdisches Konto aus Nazi-Zeit wohl verjährt

Während der NS-Diktatur sind Juden systematisch enteignet worden. Ein Urenkel will nun wissen, was aus einem alten Konto seiner Vorfahren geworden ist. Doch das Gesetz macht ihm wenig Hoffnung: Verjährt. Auch die Gesellschaft ist mehrheitlich für einen Schlussstrich unter die NS-Vergangenheit.

Von Donnerstag, 27.03.2025, 12:34 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 27.03.2025, 12:34 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Ein Nachfahre von jüdischen Opfern der NS-Diktatur hat voraussichtlich keinen Anspruch, mehr über ein Konto seiner Familie in der Nazi-Zeit zu erfahren. Die Richter am Oberlandesgericht Hamm machten deutlich, dass alle Ansprüche der Erben inzwischen vermutlich längst verjährt seien.

Deshalb sei es juristisch auch unerheblich, was mit dem Geld der jüdischen Kaufmannsfamilie während der Judenverfolgung durch die Nazis passierte, argumentierte der Senat in seiner vorläufigen Einschätzung. Ein Urteil soll am 7. Mai verkündet werden.

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Der Urenkel eines jüdischen Metzgermeisters aus Hagen fordert von der Sparkasse Akteneinsicht – und letztlich die Auszahlung des vermuteten Vermögens seiner Vorfahren. Die Sparkasse an Volme und Ruhr in Hagen hält die Forderung für unbegründet.

Mitgift in Zeiten der Nazi-Herrschaft

Das Geld, um das es geht, soll eine Mitgift des Hagener Metzgermeisters Simson Cohen für seine Tochter Erna gewesen sein. Cohen ist in Hagen durchaus bekannt – eine Brücke in der Nähe der Innenstadt ist nach ihm benannt. In der Pogromnacht 1938 stürmten die Nazis sein Geschäft und verletzten ihn so schwer, dass er drei Jahre später an den Folgen starb. Seine Tochter und ihr Mann, Arthur Levy, waren zu diesem Zeitpunkt schon in die Schweiz emigriert.

Viele Jahrzehnte später stieß Cohens Urenkel Marc Benseghir durch Akten im Schweizerischen Bundesarchiv überhaupt darauf, dass es bei der Sparkasse in Hagen ein Konto gab – und dass sein Großvater damals vergeblich versuchte, aus der Schweiz an das Geld in Nazi-Deutschland heranzukommen.

Wohin flossen die 25.000 Reichsmark?

Doch über dieses Konto mit der Nummer 4409 gebe es kaum noch Unterlagen, argumentiert die Sparkasse in dem Rechtsstreit. Einige Listen, in denen es erwähnt sei, legten nahe, dass die einst stattliche Summe von rund 25.000 Reichsmark nach und nach ausgezahlt wurde, bis das Konto 1937 aufgelöst worden sei. Weitere Unterlagen zu dem Konto habe man trotz intensiver Recherche nicht finden können, versicherte der Vertreter der Sparkasse vor Gericht.

Benseghir und sein Anwalt Christoph Partsch misstrauen den Angaben der Bank und fordern vor Gericht eine vollständige Akteneinsicht. Sie wollen verstehen, wie es sein kann, dass das Guthaben von Jahr zu Jahr kleiner geworden sein soll – obwohl sich die Sparkasse doch geweigert habe, Geld an den jüdischen Kontoinhaber Arthur Levy auszuzahlen.

Richter: Anspruch wäre wohl längst verjährt

Doch mit all diesen Fragen beschäftigten sich die Richter am Oberlandesgericht erst gar nicht. Stattdessen prüfte der Zivilsenat ausführlich verschiedene Bestimmung zur Verjährung von Ansprüchen – und kam zu der vorläufigen Einschätzung: Selbst wenn Arthur Levy während der Nazi-Herrschaft zu Unrecht um sein Geld gebracht worden sein sollte, wären die Ansprüche der Familie seit Jahrzehnten verjährt.

Klägeranwalt Partsch reagierte entsetzt. „Es geht um die Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen“, sagte er. „Aufklärung und Wiedergutmachung sind doch Staatsraison dieser Republik.“ In einem solchen Fall dürfe man nicht einfach auf Verjährungsregelungen verweisen.

Sparkassen-Anwalt Martin Lange entgegnete: „Es geht natürlich um nationalsozialistische Gewaltherrschaft – das verkennen wir nicht.“ Aber im Prozess gehe es eben nicht „um eine globale politische Betrachtung von Unrecht“, sondern um einen konkreten zivilrechtlichen Anspruch.

„Niemand will die Unrechtstaten verharmlosen“

Auch der Vorsitzende Richter Elmar Lemken betonte: „Niemand hier will die nationalsozialistischen Unrechtstaten verharmlosen.“ Aber eine historische Aufarbeitung könne ein Zivilprozess nicht leisten. In dem Prozess gehe es ausschließlich darum, die individuellen Ansprüche von Kläger Benseghir zu beurteilen. Und dafür gelte auch die gesetzliche Verjährungsfrist.

Wenn am 7. Mai das endgültige Urteil verkündet wird, will Benseghir danach entscheiden, ob er in die nächste Instanz geht. Sein Anwalt Partsch glaubt, dass das Verfahren juristisch wegweisend sein könnte. Denn Historiker gingen davon aus, dass es bei zahlreichen Banken in Deutschland noch Akten über Konten von Juden gebe, die in der Nazi-Zeit enteignet wurden.

55 Prozent wollen Schlussstrich unter NS-Vergangenheit

Unabhängig von der juristischen Frage will einer Umfrage zufolge inzwischen eine deutliche Mehrheit der Deutschen einen Schlussstrich unter die Vergangenheit des Nationalsozialismus ziehen. Dieser Aussage stimmten 55 Prozent der Befragten „voll und ganz“ (26 Prozent) oder „eher“ zu (29 Prozent), heißt es in einer repräsentativen Studie im Auftrag der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“. Das Institut Policy Matters befragte den Angaben zufolge im Januar dieses Jahres insgesamt 1.049 Deutsche ab 14 Jahren.

Der Anteil derer, die einen Schlussstrich befürworten, sei damit seit 2020, als die „Zeit“ eine vergleichbare Befragung veröffentlichte, um zwei Prozentpunkte gestiegen, hieß es weiter. Auch bei anderen Aussagen habe sich das Stimmungsbild in den vergangenen fünf Jahren leicht verschoben: „Die Zeit des Nationalsozialismus wird viel zu einseitig und negativ dargestellt – sie hatte auch ihre guten Seiten“ – dieser Aussage schließen sich den Angaben zufolge insgesamt 28 Prozent der Befragten „voll und ganz“ oder „eher“ an, 2020 waren es 22 Prozent.

Wie aus der Umfrage außerdem hervorgeht, ist die Haltung der Deutschen zur NS-Vergangenheit in den politischen Lagern sehr unterschiedlich ausgeprägt: 90 Prozent der AfD-Anhänger fordern nach „Zeit“-Angaben einen Schlussstrich. Bei den Wählern der Union seien es 58 Prozent, bei denen der Grünen 20, bei denen der Linken 28. Die Anhänger des Bündnisses Sahra Wagenknecht stünden in vielen Punkten zwischen denen der Union und der AfD. Einen Schlussstrich begrüßten hier 63 Prozent „voll und ganz“ oder „eher“. (dpa/epd/mig) Aktuell Recht

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