
Schlimme Erfahrungen
Medizinische Not bei Flüchtlingen in Griechenland
In Athen setzen sich die Medical Volunteers International für eine medizinische Versorgung von Geflüchteten ein. Trotz sinkender Flüchtlingszahlen stehen sie vor neuen Herausforderungen durch Abschiebungen aus Deutschland und Österreich.
Von Paul-Philipp Braun Mittwoch, 23.04.2025, 10:12 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 22.04.2025, 17:08 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
„Gesundheitsversorgung ist ein Menschenrecht.“ Dieser Satz prangt auf jedem Laptop der deutschen Hilfsorganisation Medical Volunteers International (MVI). Die Laptops stehen aufgeklappt im kleinen Teamraum der Klinik im Victoria Community Center im Athener Stadtteil Victoria. Seit 2021 betreibt die Organisation hier ihr Behandlungszentrum und arbeitet mit Freiwilligen aus aller Welt.
Moritz, dessen Nachname aus Sicherheitsgründen ungenannt bleibt, koordiniert die Teams. „Zurzeit sind wir sechs Leute hier, manchmal acht, manchmal nur fünf. Das hängt davon ab, wie viele Ehrenamtliche uns unterstützen können“, erklärt er. Die Anforderungen sind hoch: Medizinische Ausbildung, Fachpraxis oder ein fast abgeschlossenes Medizinstudium sind nötig, um mitzumachen. „Genau das ist unser Anspruch, wir wollen die Menschen gut und fundiert versorgen.“
Sexuelle Übergriffe und Krankheitsausbrüche
Moritz arbeitet seit zwei Jahren hauptamtlich in der Athener Klinik, die eher einer großen Hausarztpraxis gleicht. Zuvor versorgte er Geflüchtete, die auf Samos gestrandet waren. Die Zustände der Geflüchteten in Griechenland kennt er gut. Auch wenn sich diese seit der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 verbessert haben, sind sie noch lange nicht gut: „Wir treffen immer wieder auf Geflüchtete mit Mangelerscheinungen durch schlechte Ernährung, unzureichende Hygiene in den Camps und unbehandelte Wunden. Besonders Kinder und Schwangere leiden darunter. Wir erfahren auch von sexuellen Übergriffen in den Camps und haben Ausbrüche von Tuberkulose erlebt.“ Diese Aussagen stützt unter anderem die Organisation Ärzte ohne Grenzen, die kürzlich von gravierender Mangelernährung bei Kindern in griechischen Camps berichtete.
Fast täglich besucht ein Team der Organisation die Flüchtlingslager rund um Athen, um die Menschen zu behandeln. Sie bringen Medikamente, messen Blutdruck und behandeln gynäkologische Probleme. Doch nicht nur Geflüchtete in den Camps benötigen Hilfe, berichtet Moritz. Das griechische Sozialsystem weist große Lücken auf, die nicht nur Obdachlose und Sexarbeiterinnen betreffen, sondern auch viele Asylberechtigte.
Schlimme Erfahrungen mit Krankenhäusern
„Wer in Griechenland Asyl erhält, muss das Camp innerhalb von 30 Tagen verlassen und sich selbst eine Unterkunft suchen. Mit dieser Frist endet auch die Sozialversicherung und damit der Anspruch auf medizinische Versorgung. Leider brauchen die Behörden oft länger, um die nötigen Papiere auszustellen. Dann fallen die Menschen durchs Raster der öffentlichen Gesundheitsversorgung“, sagt Moritz. Zusammen mit der Heilsarmee und anderen privaten NGOs bieten die Medical Volunteers International auch für griechische Obdachlose und Sexarbeiterinnen regelmäßige medizinische Angebote. Auch für diese Gruppe gebe es zu wenig Unterstützung im öffentlichen System, sagt Moritz.
Es sind jedoch nicht nur Formalitäten, die eine optimale medizinische Versorgung behindern. Auch die Sprachbarriere stellt eine immense Hürde dar. Die medizinische Koordinatorin Eiden hat in verschiedenen Projekten gearbeitet und immer wieder mit notleidenden Menschen zu tun gehabt. In ihrer kanadischen Heimat arbeitet sie als Notfallsanitäterin, für ein halbes Jahr ist sie ehrenamtlich bei MVI in Athen. „Wir haben hier teils schlimme Erfahrungen mit öffentlichen Krankenhäusern gemacht. Die Versorgung ist nicht überall gut, das Gesundheitssystem ist seit Jahren unterfinanziert und schlecht ausgestattet. Umso wichtiger ist es, dass wir eine unabhängige Anlaufstelle schaffen, um zumindest eine Erstbehandlung durchführen zu können.“
Flüchtlingswohnung in Athen besser als Gazastreifen
Bilal ist einer der Patienten, die diese Erstbehandlung in Anspruch nahmen. Der junge Mann kam vor sechs Jahren aus dem Gazastreifen über den Seeweg nach Athen. Kürzlich verletzte er sich bei einem Motorradunfall am Fuß, das Team von MVI übernahm die Wundversorgung. Es seien keine guten Umstände, unter denen er in Athen lebt, sagt Bilal. Trotzdem sei eine illegale Flüchtlingswohnung in Athen besser als ein Überlebensversuch im Gazastreifen.
Es sind Schicksale wie dieses, mit denen die Freiwilligen von MVI in Athen umgehen. Inzwischen habe sich die Lage jedoch geändert, sagt Koordinator Moritz. Die großen Zahlen an Geflüchteten, die über das Meer oder die Türkei kamen, sind zurückgegangen. Stattdessen werden immer mehr Menschen über die Dublin-III-Verordnung der EU aus Deutschland oder Österreich nach Griechenland abgeschoben. „Jede Woche kommen Menschen zu uns, die in Deutschland kein Asyl bekommen haben“, sagt Moritz: „Viele von ihnen sprechen fließend Deutsch, waren gut integriert und wollten eigentlich nur arbeiten.“ (epd/mig) Aktuell Ausland
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