Mo Asumang
“Deutschland kreiert sich neu.”
Was ist Integration und wo steht Deutschland? Mo Asumang im Gespräch mit Eren Güvercin über die in der Gesellschaft und Medien noch nicht vorhandene Normalität im Umgang mit der Vielfalt.
Von GastautorIn Dienstag, 11.01.2011, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 20.11.2011, 23:02 Uhr Lesedauer: 10 Minuten |
Eren Güvercin: Vor einigen Jahren wurden Sie öffentlich von einer Neonaziband bedroht. 1 In Ihrem Film Roots Germania haben Sie anschließend den Germanenkult deutscher Neonazis hinterfragt.
Mo Asumang ist mit ihrem Film Roots Germania regelmäßig auf Tour. Er wird in Schulen und Jugendeinrich- tungen vorgeführt. Im Rahmen dieser Vorführungen besteht die Möglichkeit, über rechtsextreme Gewalt, Einschüchterung, Ideologie, Rassismus und Demokratiefeindschaft, aber auch Zivilcourage, Mut, die Frage der Wurzeln (roots) Einzelner und von Gruppen und ihre demokratische Integration ins Gespräch zu kommen.
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Mo Asumang: Ich bin ja immer der Meinung, dass Deutschland ab und zu mal in den Spiegel schauen sollte, weil eine Gesellschaft natürlich immer im Wandel ist. Die Gesellschaft bleibt nicht so, wie sie ist, sonst würde ein Land erst gar nicht entstehen. In meinem Film Roots Germania habe ich mich hierzu auf Spurensuche gemacht und viel erfahren über die Geschichte Deutschlands. Es ist nicht zu fassen, wie Nazis die deutsche Geschichte missbrauchen, wie sie sich Symbole und Heldenfiguren klauen und Mythen verdrehen.
Güvercin: Kurz nach dieser Drohung haben Sie ein Fotoshooting in einem Brunhilde-Kostüm gemacht. Sie sagten, dass Sie durch diese überspitzte Form zeigen wollten, dass Sie auch deutsch sind. Woraus besteht die deutsche Identität?
Asumang: Auch eine Identität ist im Wandel. Natürlich gibt es gewisse Dinge, die man über Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg in gewissen Gebieten als Identität erarbeitet hat, aber dennoch liegt der Fokus darauf, dass wir uns verändern und dass wir ständig neu dazulernen. Eine Identität ist nicht etwas, was starr ist, sondern etwas, was sich ständig transformiert.
Sätze, wie „Geh doch dahin, wo du herkommst“, höre ich, Gott sei Dank, nicht mehr so oft. Aber es gab schon einige Leute, die mir im Laufe meines Lebens solch einen Satz an den Kopf geschmissen haben. Aber was bedeutet das eigentlich: Geh dahin, wo du herkommst? Ich kann natürlich nach Kassel gehen, da bin ich geboren, meine Migration besteht aus meinem Umzug von Kassel nach Berlin, das war 1986.
Das schlimme ist, dass man aufgrund der tiefsitzenden Unwissenheit zu Identitätsfragen in Deutschland und aufgrund der Hasspredigten der Neonazis leider sehr oft auf die Hautfarbe oder Religion reduziert wird. Ich finde es sehr wichtig, dass man solche Sätze „Woher kommst Du?“ ganz normal beantworten kann. Ich möchte einfach antworten dürfen, dass ich aus Kassel komme, ohne dass die Leute in Gelächter ausbrechen. Leider, muss ich sagen, ist das im Jahr 2010 immer noch so. Die Leute lachen, wenn ich sage, ich komme aus Kassel, weil sie einfach nicht akzeptieren wollen, dass man vielleicht auch zwei Wurzeln hat. Weil mein Vater aus Ghana kam, sagt man dann: „Aahh, Du kommst aus Ghana.“ Der Rest von mir, die deutsche Seite, dass ich hier geboren wurde, perfekt deutsch spreche, dass ich hier Abitur gemacht habe, und vielleicht sogar, dass ich gerade aus meinem Leben hier erzählt habe, all das wird einfach unterschlagen, als gäbe es das nicht. Das finde ich sehr schade.
Güvercin: Wie würden Sie sich selber bezeichnen: als schwarze Deutsche oder als Deutsche mit Migrationshintergrund?
Asumang: Ich bin in der Initiative „Schwarze Deutsche“, und dort gibt es ständig die Diskussion, wie man sich bezeichnen sollte. Afro-Deutsche oder schwarze Deutsche ist dann das, worauf man sich in dieser Gruppe geeinigt hat. Ich persönlich gehe damit etwas lockerer um. Wenn ich mit meinen Freunden rede, dann sag ich auch schon einmal, dass ich Brownie bin. Ich habe damit gar kein Problem und nach meiner Filmarbeit mit Roots Germania erst recht nicht. Man könnte auch sagen, man ist Weltbürger, aber ein wenig Zugehörigkeit brauche ich dann doch.
Güvercin: Wann gehört man denn dazu? Was bringt die Menschen dazu, an der Gesellschaft teilzunehmen, und welche Rolle spielen soziale Unterschiede?
“Ich frage mich, wie passt es zusammen, dass alle zu Recht stolz waren auf die deutsche Nationalmannschaft während der Fußball-Weltmeisterschaft …, aber man gleichzeitig in Fernsehbeiträgen über Muslime noch immer hauptsächlich ‚Frauen mit Kopftuch und fünf Lidl-Einkaufstüten‘ sieht. Das geht einfach nicht.”
Asumang: Integration fängt für mich in erster Linie damit an, dass ich als „Migrantin“ irgendwo im Abbild der Deutschen auch sichtbar bin. Erstmal muss ich überhaupt wissen, dass ich existiere, und so was sieht man in erster Linie in den Medien. Dieses Abbild ist für mich der Anfang von Integration. Wenn dieses Abbild in einem großen Ungleichgewicht ist, wie es derzeit bei uns immer noch der Fall ist, dann kann man nicht von Integration sprechen. Wir leben in einer Gesellschaft, in der 19 Prozent der Menschen einen Migrationshintergrund haben. Aber das Abbild in den Medien liegt bei vielleicht zwei Prozent.
Als Beispiel können wir meine Person nehmen. Ich bin in Kassel aufgewachsen und habe eigentlich nie etwas gesehen, womit ich mich identifizieren konnte. Das Abbild von mir gab es höchstens mal in US-amerikanischen Serien oder Filmen. Wenn ich mir anschaue, was heutzutage in den Medien zu sehen ist, sieht es ziemlich mau aus. Für mich bedeutet Integration, dass ich Menschen mit Migrationshintergrund sehen kann, und dass sie auch „normal“ abgebildet werden und nicht in irgendwelchen Klischees. Gerade im Bereich Medien muss man sich da noch mehr Mühe geben. Ich frage mich, wie passt es zusammen, dass alle zu Recht stolz waren auf die deutsche Nationalmannschaft während der Fußball-Weltmeisterschaft – das so genannte Rainbow-Team -, aber man gleichzeitig in Fernsehbeiträgen über Muslime noch immer hauptsächlich „Frauen mit Kopftuch und fünf Lidl-Einkaufstüten“ sieht. Das geht einfach nicht.
Soziale Unterschiede sind das, worum es eigentlich geht. Man gehört natürlich verschiedenen Kulturkreisen an, aber letztendlich geht es einfach darum, wer sich ein angenehmes Leben leisten kann und wer nicht. Wer wenig Geld hat, wird es schwerer haben. Das Wort „Parallelgesellschaft“ ist schon fraglich, da jeder irgendwie in einer Parallelgesellschaft lebt, weil er sein eigenes Universum hat und seine persönliche Identität schützt. Wenn Leute das in einer größeren Gruppe machen, dann könnte das vielleicht einen Grund haben?! Niemand würde das aus einem natürlichen Bedürfnis heraus machen. Jeder möchte mit seinem Nachbarn normal kommunizieren, seine Schulkameraden besuchen, jeder möchte zu einer großen Gruppe dazugehören, jeder möchte auch Teil des Landes, der Gesellschaft sein, in der er lebt.
Güvercin: Die Rhetorik hat sich in den vergangenen Jahren verschärft, insbesondere wenn es um in Deutschland lebende Muslime geht. Einige Stimmen befürchten, dass rechtsextreme Parolen wieder salonfähig werden. Wieviel kulturelle Differenz verträgt überhaupt eine Gesellschaft?
Asumang: Eine Gesellschaft verträgt ganz viel kulturelle Differenz. Mit der kulturellen Vielfalt kommen natürlich auch Fragen hoch, wie man miteinander umgeht. Aber das ist auch ganz wichtig. Wenn wir keine Fragen haben, sei es in der Familie oder in der Gesellschaft, wie wollen wir uns dann weiterentwickeln? Wie man zusammenkommt, wie man etwas verändern kann, wie man wachsen kann, all diese Fragen sind essentiell dafür, dass eine Gesellschaft lebendig bleibt. Ich glaube auch, dass eine Gesellschaft durch kulturelle Vielfalt stärker wird. Es gibt natürlich Menschen, denen das zu viel ist. Sie können damit nicht umgehen, weil sie in ihren Denkstrukturen festgefahren sind. Die kommen aber auch nicht wirklich weit damit.
Güvercin: Kritiker meinen, nur wer alles bis auf seinen Namen aufgebe, habe in Deutschland eine Chance. In Deutschland spiele es immer noch eine sehr große Rolle, ob man „Stallgeruch“ habe. Teilen Sie diese Sichtweise?
Ein aktuelles Projekt, an dem Mo Asumang mitwirkt, ist das HomeBase-Projekt. Es ist ein ortsspezifisches Projekt für öffentliche Kunst, das sich zur Aufgabe gemacht hat, eine interdisziplinäre und kontext- bezogene Untersuchung des Archetypus von Heim/Zuhause (Home) anzuregen. Das bisher jährlich in New York statt- findende Projekt hat bereits internationale Anerkennung gefunden. HomeBase integriert zeitgenössische Kunst im städtischen Alltag und macht sie für die Öffentlichkeit erfahrbar. Es hinterfragt die Rolle von Kunst als Mittel der Kommunikation im interkultur- ellen, nachbarschaftsbildenden und sozialen Dialog. Dabei untersucht es in vielschichtiger Weise Aspekte von Heim/ Zuhause durch interaktive, nachbarschaftsbezogene Kunstprojekte im urbanen Raum.
Asumang: Stallgeruch, dazu fällt mir eine Geschichte ein: Neulich hat mir ein junger Deutschtürke erzählt, dass er auf Wohnungssuche mit seinem Namen Öztürk kaum Angebote bekam. Dann hat er sich aus Spaß mit dem Namen Müller am Telefon gemeldet, plötzlich kamen jede Menge Wohnungsbesichtigungs- angebote. Mit solchen Ungerechtigkeiten und diesem Rassismus geht jede Migrationsgruppe anders um. Bei kleinen Migrationsgruppen herrschen ganz andere Gesetzmäßigkeiten als bei großen Gruppen. Muslime oder türkeistämmige Einwanderer bauen schon für ihre Kinder in jungen Jahren einen Schutzmantel auf. Wenn ich als kleines türkisches Mädchen zum Beispiel Rassismus ausgesetzt bin, habe ich natürlich eine große Community um mich herum, die mich schützen und in die ich mich zurückziehen kann, wenn ich will. Ich habe sehr viele deutsch-türkische Freunde, von denen einige irgendwann sagten, sie seien Türke und eben kein Deutscher. Das ist aber eher eine Reaktion auf Rassismus und Ungerechtigkeit, man würde von alleine nicht auf so etwas kommen. Man würde dann eher sagen, ich bin Deutsch-Türke, oder einfach, ich bin deutsch. Solch einen Schutzmantel hat man in den afrikanischen Communities nicht, weil sie zu klein sind. Es ist aber in jedem Fall ein Schutzmantel, eine Reaktion auf eine Gesellschaft, die einen eben nicht als normal annimmt, wie es eigentlich sein müsste.
Güvercin: „Deutschland schafft sich ab“ war und ist eine kontrovers diskutierte These. Was für Auswirkungen werden die teils rassistischen Äußerungen der vergangenen Wochen wie beispielsweise, dass bestimmte Menschengruppen an sich fauler und dümmer seien, auf die Integrationsdebatten insgesamt haben?
Asumang: Einige Migranten werden sich sicherlich zurückziehen und abkapseln. Andere wiederum werden auch wütend sein. Die meisten jedoch sind längst dabei, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, wie in jeder anderen Generation seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland und auch lange davor. Ich kann dazu nur sagen: Deutschland kreiert sich neu. Ich persönlich werde mich nicht abkapseln, ich sehe keine Veranlassung dazu, da ich hier geboren, aufgewachsen und ein Teil Deutschlands bin, mit etwas mehr Farbe. Ich glaube auch, dass man sich nur dann abkapselt, wenn Kommunikation einschläft und keine Veränderungen in Sicht sind, aber genau das Gegenteil ist gerade der Fall.
Sicher gibt es fremdenfeindliche Ressentiments in der Bevölkerung, vor allem als Auswirkung der mangelnden Aufklärungspolitik, nicht, weil die Leute nicht in der Lage wären, Integration zu leben. Ich glaube das Miteinander von Menschen ist etwas menschliches, weil Menschen in der Gemeinschaft lernen. Im Normalfall macht einen „das Andere“ neugierig, ein Instinkt, der zum Wachstum beiträgt. Es darf nicht sein, dass wir uns diese Neugier nehmen lassen, durch Bücher, die spalten wollen, statt zu fördern. Die Medien sollten aufzeigen, was an Meinungen zum Thema Integration da ist, und dann schauen, was der Ursprung dieser Gedanken ist. Nur wenn man etwas kennt, kann man auch etwas ändern. Vielleicht kommen erst einmal Ängste hoch, aber das ist gut, solange man darüber spricht. Die Medien sollten die Ängste der Menschen ernst nehmen und mit Diskussionsrunden, Filmen und Beiträgen zeigen, wie man diese Ängste auflösen kann. Die Zeiten sind für alle schwer.
- Die Neonaziband White Aryan Rebelsrief in einem Lied mit „Diese Kugel ist für dich, Mo Asumang“ zum Mord an der Schauspielerin auf. Eine andere Textzeile des Songs lautete: „Völkerbrei wirds hier nicht geben. Ihr müsst sterben und wir leben.“
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Zitat:
„Afro-Deutsche oder schwarze Deutsche ist dann das, worauf man sich in dieser Gruppe geeinigt hat.“
Wie wäre es denn mit „maximalpigmentiert“.
Versteht ohnehin kaum einer und ist neutral.
Ob ein Mensch Afro-Deutscher oder schwarzer Deutscher, maximalpigmentiert oder weniger maximalpigmentiert ;-)) , ist für mich vollkommen irelevant. Welcher Glaubensgemeinschaft dieser Mensch auch angehört, ist für mich ebenso Jacke wie Hose.
Ich sehe ihn zunächst als Mensch und gleichwertigen Partner. Und wenn er der deutschen Sprache nicht mächtig ist, versuche ich eine Kommunikation in Englisch oder Französisch. Funktioniert immer zu 90%.
Man ist ja flexibel. In der schwarzen Bevölkerung gibt es Intelligenz und Bildungsbefremdlichkeit, wie bei allen anderen Völkern der Erde.
Beispiel USA: Da gibt es unter der schwarzen Bevölkerung Tagelöhner und Arbeitslose. Aber auch Facharbeiter und Spezialisten. Rechtsanwälte, Ärzte und Wissenschaftler. Und ganz nebenbei, den Staatspräsidenten im weißen Haus.
Ghostrider
„Maximalpigmentiert“ würde ich allein deshalb nicht benutzen, weil es i.d.R. von „Minimalpigmentierten“ benutzt wird, um sich über die Namensgebung von Schwarzen lustig zu machen. Da aber Schwarze potentiell eher rassistisch beleidigt werden als andere Menschen, sollte man hier besonders vorsichtig sein und einfach nach der klugen Regel von Noah Sow aus „Deutschland Schwarz Weiß“ gehen, die sinngemäß lautet:
„Jede Gruppe soll so genannt werden, wie sie selbst gerne genannt würde, außer es ist Herrenrasse/Übermensch.“
Wenn also die Mehrheit der Schwarzen „Schwarze“ genannt werden möchte – wenn es denn mal nötig ist, sie als „Gruppe“ zu definieren, wie Ghostrider ja schon gezeigt hat ist natürlich das Konzept Rasse albern – dann sollte man es doch auch tun.
danke mo
Eine sehr kluge Frau!
Ich hoffe, dass wir in Deutschland wieder stärker in einen Dialog kommen und nicht immer auf die Ethnien starren. Es ist doch wichtig, wie wir im hier und jetzt zusammen auskommen. In der Vergangenheit waren Kultur und Gesellschaft in Deutschland immer elastisch. Schlimm wurde es nur, wenn man diese Elastizität verunglimpft hat.