Die Zeit ist reif
Aufbruch in die leere Mitte
Die Mehrheit der Muslime erlebt alltäglich einen Kulturkampf unter dem Deckmantel „aufgeklärter“ Religionskritik. Die Zeit ist aber reif, sich aus der eigenen Passivität zu befreien und zum Beteiligten der Debatten zu werden.
Von GastautorIn Montag, 10.01.2011, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 20.01.2011, 12:58 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Die Mehrheit der Muslime in Deutschland tritt in den Debatten um Integration und Migration selten aktiv in Erscheinung. Für einige Mitglieder dieser heterogenen Mehrheit stellen sich die in den Debatten aufgeworfenen spirituell-religiösen Fragen nicht. Viele sind nicht einmal praktizierende Muslime. Andere hingegen praktizieren den Islam und bringen ihre Religiosität beispielsweise durch das Kopftuch zum Ausdruck. Schon werden sie argwöhnisch betrachtet und einem Klima des Verdachts ausgesetzt.
Die Frage, ob Muslime die freiheitlich-demokratische Grundordnung auch aus ihrem Glauben heraus bejahen können, erscheint für diese Menschen müßig. Denn sie leben und beweisen es jeden Tag. Aus diesem Grund betrachten sie die geforderten Bekenntnisse und Loyalitätsbeweise als überflüssig. Viel mehr interessiert sie die Frage, ob es der Mehrheitsgesellschaft möglich ist, die „Öffnung des Gemeinwesens“ für die gleichberechtigte Einbeziehung der Muslime zu vollziehen, ohne dass sie als Muslime einen Teil ihrer identitätsstiftenden Eigenschaften aufgeben müssen.
Es ist derzeit für diese Mehrheit ein ungewöhnliches Gefühl, in ihrer (neuen) Heimat Deutschland zu leben. Denn alltäglich erleben sie einen Kulturkampf unter dem Deckmantel „aufgeklärter“ Religionskritik: Bei jedem Anlass werden Debatten bar jeglicher Differenzierung über islamischen Terror, Unterdrückung von Frauen und Homosexuellen, Ehrenmorde, Zwangsverheiratungen, Demokratie-Inkompatibilität, Antisemitismus, fanatische Hassprediger und über die Aufklärungsresistenz des Islams ausgelöst. Begleitet wird diese Wort- und Bilderflut durch asymmetrische Argumentationen, Reziprozität der Religionsfreiheit und durch faktische Sippenhaft.
„Die Zeit ist längst reif, sich aus der eigenen Passivität zu befreien und aus der Mitte der Gesellschaft heraus vom Betroffenen zum Beteiligten der Debatten zu werden.“
In einem solchen tobenden Orkan zeigen sich erste Bruchstellen in sozialen Bändern. Denn Muslime sind es satt, dass strafrechtlich relevante Handlungen, Kämpfe um Ehre und extreme kulturell-bedingte Handlungsweisen zu essenzialistischen Komponenten ihrer Religion erklärt werden. Sie können es auch nicht mehr hören, dass eben dort, wo ihre Religion „harmlos anmutet“, ihnen eine in ihrer Religiosität verankerte prinzipielle Unaufrichtigkeit vorgeworfen wird. Nicht zuletzt sind sie es überdrüssig, dass von der ominösen „Leitkultur“ gesprochen wird, aber oft Forderungen jenseits der freiheitlich-demokratischen Grundordnung aufgestellt werden.
Über diese Mehrheit und in ihrem Namen wird gesprochen – mal durch „Islamkritiker“, das andere Mal durch vermeintlich religiös-inspirierte Fanatiker. Sie hingegen betrachten dieses Schauspiel mit viel Irritation, oft aber auch mit Frustration; aber sie schweigen und sie sind passiv.
Die Zeit ist längst reif, sich aus der eigenen Passivität zu befreien und aus der Mitte der Gesellschaft heraus vom Betroffenen zum Beteiligten der Debatten zu werden. Die freiheitlich-demokratische Grundordnung bietet zahlreiche Möglichkeiten zur politischen Partizipation, um in die leere Mitte zu stoßen und an der Meinungsbildung aktiv teilzuhaben. Ein solches Engagement muss sich nicht zwangsläufig auf das Mitwirken in politischen Parteien oder Verbänden erstrecken. Denn die Facetten politischer Partizipation sind vielfältig: Meinungen können in Worte gegossen werden oder künstlerisch bunt ausfallen, Meinungen können öffentlich gemeinsam mit anderen oder im unmittelbaren intersubjektiven Dialog geäußert werden. Wichtig ist nur, dass sowohl in öffentlichen Diskursen als auch an der Wahlurne die bislang stille und passive Mehrheit der Muslime als Korrektiv auftritt, und somit die politische und gesellschaftliche Kultur aktiv erweitert.
Dieser Aufbruch in die leere Mitte ist zur Entfaltung der erforderlichen gesellschaftlichen Lernprozesse zwingend erforderlich: Erst durch eine stimmgewaltige muslimische Polyphonie auch aus der Mitte der Gesellschaft heraus kann der Druck zur gesellschaftliche Inklusion trotz religiöser Differenz erhöht werden. Hierzu ist aber ein verstärktes Engagement der Muslime selbst erforderlich. Denn die Sache der hiesigen Muslime liegt in ihren eigenen Händen.
Letztlich bleibt ihnen nichts anderes übrig, als diesen Schritt zu gehen. Die Alternative dazu besteht darin, weiterhin wegen ihrer Religionszugehörigkeit als „Sodomist“ (Necla Kelek) beschimpft zu werden, künftig andere zweifelhafte Preisverleihungen im Namen der Freiheit zu ertragen (Freiheitspreis der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung an Necla Kelek) und tiefere Risse in den sozialen Bändern mitzuerleben. Aktuell Meinung
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Immer wieder die gleichen Pseudo-klugen Artikel, wo man am ende glaubt: ja genau! Aber dann, wenn man mal drüber nachdenkt was da genau steht, dann waren es doch nur schöne Worte, aber ändern wird es nichts.
@Taylan Kaya
„Erst durch eine stimmgewaltige muslimische Polyfonie auch aus der Mitte der Gesellschaft heraus…“
Da Sie sich hier gerade der Sprache der Musik bedienen, und im Migazin zufällig ein aktueller Artikel über den überaus begnadeten Pianisten & Komponisten Fazil Say zu lesen ist:
http://www.migazin.de/2011/01/14/zauberhafter-orient/
fragen Sie bitte doch mal diesen grossartigen Virtuosen, was man unter „Polyphonie“ überhaupt versteht?
soviel kann ich Ihnen schon vorab verraten: sicherlich NICHT, dass alle ins selbe Horn blasen und/oder andauernd die gleiche Melodie spielen! …aber Fazil Say kann Ihnen das bestimmt noch näher & kompetenter erklären. ;-)