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50 Jahre Einwanderung

Eine Einwanderungs- und Integrationsgeschichte – eine von vielen

„Wenn von der Stadt oder sonst irgendeiner Einrichtung Menschen zu mir gekommen wären und gesagt hätten, hier kannst du Deutsch lernen und deine Kinder werden betreut, ich hätte es gemacht. Aber es gab nichts.“ - eine Frau, die heute als „Integrationsverweigerer“ gedemütigt wird.

Von Mittwoch, 05.01.2011, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 09.01.2011, 23:15 Uhr Lesedauer: 12 Minuten  |  

Keiner weiß, warum und wann ihre Vorfahren weit aus dem Osten der Türkei in diese unwägbaren, aber landschaftlich sehr reizvollen Bergregionen der Schwarzmeerküste gezogen und sich dort niedergelassen haben. Bis Ende der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts führten nicht einmal Straßen in die Dörfer, die an den Berghängen und Hochebenen entstanden waren. Wenn Kinder geboren wurden, war es mit dem Maulesel eine Tagesreise in die Kleinstadt 20 km unten am Meer, um die Kinder anzumelden. Von daher wusste man auch nie, ob die Geburtstage richtig eingetragen waren. Denn, wenn im Winter es schon schwer war, durch den über zwei Meter hohen Schnee von Haus zu Haus Schneisen zu schlagen, kam man erst recht nicht mit dem Maulesel in die Stadt.

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Zwangsheirat kannten sie in ihren Dörfern nicht. Was sie kannten waren Gelegenheiten, die die Erwachsenen schafften, damit sich junge Menschen kennen lernen konnten.

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Ihre Dörfer lagen nicht weit voneinander entfernt. Sie lernten sich bei den großen religiösen Festen, die mit der Dorfgemeinschaft auf dem Dorfplatz bei der Moschee gefeiert wurden, kennen und lieben. Da es in ihrer Tradition aber nicht üblich war, sich offen als Liebespaar zu zeigen, versteckte er sich immer wieder in den Heuballen, den sie auf dem Feld für die Tiere im Stall zusammenlegte, um es nach Hause zu tragen. So konnte er sie jedenfalls manchmal sehen. Zwangsheirat kannten sie in ihren Dörfern nicht. Was sie kannten waren Gelegenheiten, die die Erwachsenen schafften, damit sich junge Menschen kennen lernen konnten. Sie kannten arrangierte Ehen, aber auch da wurde niemand gegen seinen Willen verheiratet. Sie entschlossen sich, ihren Lebensweg gemeinsam zu gehen. Als er dann offiziell bei dem Vater seiner zukünftigen Frau um die Hand anhielt, fragte dieser ihn, wie er den seine Tochter ernähren wolle. Denn sein Vater sei schon früh gestorben und die Mutter hätte es schwer mit fünf Töchtern, dem älteren Sohn, der schon verheiratet war, und ihm über die Runden zu kommen.

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Arbeit in der nächst größeren Stadt
So versprach er dem Schwiegervater in die nächst größere, 300 km entfernte Stadt, zu gehen um zu arbeiten. Seine junge Frau konnte er nicht mitnehmen und ließ sie zurück bei seiner Großfamilie mit Mutter. Das junge Brautpaar sah sich von da an ein bis zweimal im Jahr. Er schickte Geld an seine Frau und an seine Mutter. Wenn er öfter auf das Dorf wollte, um sie zu sehen, blieb kaum etwas von dem Verdienten über. Der erste Sohn wurde geboren, ohne dass er die Schwangerschaft seiner Frau oder die Geburt des Kindes miterlebt hätte. Bald stand auch noch seine Militärzeit bevor. Nachdem er seinen Einberufungsbescheid erhalten hatte, kam er ins Dorf, um sich zu verabschieden.

In der zweijährigen Zeit des Militärdienstes konnte er selten seine junge Familie besuchen. Für ihre finanzielle Absicherung hatte er vorher gespart und hatte außerdem seinen Schwiegervater gebeten, ein Auge auf seine Familie zu haben. Denn sein eigener Bruder hatte inzwischen dafür gesorgt, dass seine Frau und das Kind in den Anbau mit einem Zimmer und einem kleinen Stall getrennt wurden, weil der Bruder aus der Stadt ihm nicht genug Geld geschickt hatte. Sie machte das Beste daraus, versorgte sich und ihre inzwischen beiden Kinder – eine Tochter war noch dazu gekommen – ohne fremde Hilfe. Von dem Geld, was ihr Mann aus der Stadt geschickt hatte, hatte sie sich eine eigene Kuh und ein paar Hühner angeschafft. Nach dem Militärdienst kehrte er wieder in die Stadt zu seiner Arbeit in einer Bäckerei zurück.

Wenn er heute seinen Kindern und Enkelkindern von dieser Untersuchung berichtet, werden seine Augen immer noch feucht. Nicht nur die Zähne wurden begutachtet, sondern sie standen nackt im Raum vor mehreren Leuten und Ärzten und der ganze Körper wurde untersucht.

Arbeitgeber aus Deutschland werben um Arbeitskräfte
Mitte der 60er Jahre kamen Arbeitgeber aus Deutschland auch in die Stadt, wo er arbeitete, um Arbeitskräfte anzuwerben. Er war Mitte 20 und in der Blüte seiner Jugend. Seine Freunde erzählten ihm, dass Arbeitskräfte für Deutschland gesucht werden und sie sich schon gemeldet hätten. Auch er ließ sich auf die Liste setzen. Erst nach einem Jahr erhielt er den Bescheid, dass er zu einer Untersuchung erscheinen soll. Wenn er heute seinen Kindern und Enkelkindern von dieser Untersuchung berichtet, werden seine Augen immer noch feucht. Nicht nur die Zähne wurden begutachtet, sondern sie standen nackt im Raum vor mehreren Leuten und Ärzten und der ganze Körper wurde untersucht. Freunde von ihm, die einen kaputten Zahn oder irgendwelche Narben hatten, wurden nicht genommen.

Er kam auf das Dorf, um sich zu verabschieden. Seine Frau und seine Mutter flehten ihn an, diesen Schritt nicht zu tun. Er bräuchte nicht in ein fremdes Land zu gehen, um mehr Geld zu verdienen. Sie würden auch mit Weniger auskommen. Inzwischen war auch das dritte Kind, ein Sohn, geboren. Aber sein Entschluss stand fest. Er wollte für seine junge Familie selbst ein Haus bauen und eine bessere Zukunft ermöglichen.

Abschied und Wiederkehr, um die Familie nachzuholen
Er ging und versprach seiner Frau nach einem halben Jahr wieder zurück zu sein. In Deutschland würde man sehr schnell sehr viel Geld verdienen. Das hätten die Arbeitgeber aus Deutschland in der Stadt so gesagt. Nach zwei Jahren kam er und holte seine Frau und die drei Kinder nach. Es war nicht möglich, die Wünsche und Träume innerhalb so kurzer Zeit zu realisieren und alleine in Männerunterkünften, „Baracken“, hatte er es nicht mehr ausgehalten.

Beim Abschied auf dem Dorf, wo inzwischen auch eine Straße gebaut wurde und Autos verkehrten, musste man seine Mutter mit mehreren Männern festhalten, weil sie sonst das Auto mit ihrem Sohn, der Schwiegertochter und den drei Enkeln darin nicht hätte fahren lassen. Dieses schmerzverzehrte Gesicht unter Tränen, das sie beim Wegfahren aus dem Auto mit dem Blick nach hinten wahrnahmen, werden weder er noch seine Familie je vergessen. Nach kurzer Zeit zog auch sein älterer Bruder mit seiner Familie aus dem Dorf in die Stadt. Die Schwestern waren inzwischen alle verheiratet und die Mutter lebte alleine in dem Haus. Als sie nach einiger Zeit ihren älteren Sohn und seine Familie in der Stadt besuchen wollte, verunglückte der große Bus. Sie kam unter die Reifen und man konnte sie nicht retten.

Er las die Namen der Toten in Deutschland in einer türkischen Zeitung und entdeckte seine eigene Mutter darunter. Sie noch einmal lebend zu sehen, ihr von dem Leben in Deutschland zu berichten, war ihm und seiner Familie nicht mehr gegönnt. Er fuhr alleine aus Deutschland auf das Dorf an die Schwarzmeerküste, um sie zu beerdigen.

Wenn von der Stadt oder sonst irgendeiner Einrichtung Menschen zu mir gekommen wären und gesagt hätten, hier kannst du Deutsch lernen und deine Kinder werden betreut, ich hätte es gemacht. Aber es gab nichts.

Das Leben in einer Stadt im Ruhrgebiet
In einer Stadt im Ruhrgebiet hatten sie eine kleine Wohnung bezogen und lebten das erste Mal als Familie zusammen. Die Kinder wurden eingeschult. Er arbeitete im Schichtdienst in einem großen Stahlwerk. Aber sie hatte ihre Dorfgemeinschaft, ihre Freundinnen, ihre Eltern nicht mehr um sich. Wo sie auf dem Dorf sehr selbstständig von der Nahrungsbeschaffung bis zur Kleiderherstellung und die Kinder gemanagt hatte, war sie nun in einer zweieinhalb Zimmer Wohnung auf Hilfe angewiesen. Sie konnte die Sprache nicht, konnte nicht alleine einkaufen oder ihre Kinder in schulischen Dingen unterstützen. Psychosomatische Beschwerden ohne organische Befunde mit Krankenhausaufenthalten machten sich immer stärker bemerkbar.

Trotzdem war es ihr immer wichtig, dass die Kinder einen geregelten Tagesablauf mit regelmäßigen Mahlzeiten und Zeiten für ihre Hausaufgaben hatten. Auch er sagte immer wieder, dass seine Kinder, egal ob Tochter oder Sohn, in Deutschland eine gute Ausbildung haben, wenn möglich studieren sollten. Die religiöse Erziehung der Kinder war ihnen ebenso wichtig. So schickten sie alle drei mehrere Jahre in eine nahe gelegene Hausmoschee, die von den ersten Arbeitern gegründet wurde, die selbst ein wenig religiöse Bildung mitgebracht hatten. Aber sobald die schulischen Leistungen der Kinder auf Grund der doppelten Belastung Schule und Moschee abnahmen, reduzierten sie den Unterricht in der Moschee. Wenn das Thema Kopftuch für die Tochter zur Sprache kam, sagte die Mutter, die selbst eins trug: „Wegen einem Stück Stoff kommt keiner ins Paradies.“

Mit der Zeit unterstützte ein älteres Deutsches Ehepaar aus dem Haus die Kinder bei den Hausaufgaben. „Oma und Opa“, wie sie im Laufe der Zeit von den Kindern genannt wurden, gingen mit ihnen zu Ärzten, zu den Elternabenden in der Schule oder zu den Sankt Martin Umzügen. Die Lehrkräfte in der Schule wohnten zum Teil selbst in dem Stadtteil und kümmerten sich um diese Kinder der „Gastarbeiter“ sehr engagiert und intensiv. Jahre später sagte die Grundschullehrerin zu der erwachsenen Tochter der Familie: „Wir waren als Lehrkräfte völlig unvorbereitet darauf, dass Familien nachkommen und wie wir diese Kinder, die kein Deutsch sprachen, einschulen sollen. Wir haben selbst versucht, das Beste daraus zu machen.“

Insbesondere für die junge Mutter der Familie, haben Angebote gefehlt, um in Deutschland anzukommen. Nach Jahren hat sie irgendwann gesagt: „Wenn von der Stadt oder sonst irgendeiner Einrichtung Menschen zu mir gekommen wären und gesagt hätten, hier kannst du Deutsch lernen und deine Kinder werden betreut, ich hätte es gemacht. Aber es gab nichts.“ Sie hat im Laufe der Zeit von ihren Kindern das alltägliche gelernt.

Erst nach seiner Pensionierung erzählte er seinen Kindern, wie sehr ihn das verletzt hatte, dass seine Deutschen Arbeitskollegen ihn Jahrzehntelang ‚Fritz‘ gerufen haben, weil sie seinen Namen ‚Şükrü‘ nicht aussprechen konnten. So lange hatte er dazu geschwiegen.

Deutschland ist Lebensmittelpunkt
Die drei Kinder sind inzwischen Erwachsen und haben selber Kinder, die zum größten Teil studieren. Sie sind alle deutsche Staatsbürger geworden und haben ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland. Sie haben hier Wurzeln geschlagen, aber die Wurzeln der Herkunft gehören auch dazu. Die beiden Söhne sind Handwerksmeister; der Ältere mit einem eigenen Betrieb und der Jüngere in dem großen Stahlbetrieb, wo sein Vater gearbeitet hat. Er ist verantwortlicher Meister für über dreißig Menschen im Betrieb. Die Tochter hat nach einer kaufmännischen Ausbildung einen Deutschen Mann geheiratet. Nach anfänglichen Schwierigkeiten haben die Eltern gelernt, ihn zu lieben und zu achten. Sie hat dann, nachdem ihre eigenen Kinder aus dem Gröbsten raus waren, noch einmal studiert und ihr Diplom gemacht.

Der Vater ging vor einigen Jahren in Ruhestand. Erst nach seiner Pensionierung erzählte er seinen Kindern, wie sehr ihn das verletzt hatte, dass seine Deutschen Arbeitskollegen ihn Jahrzehntelang „Fritz“ gerufen haben, weil sie seinen Namen „Şükrü“ nicht aussprechen konnten. So lange hatte er dazu geschwiegen. Die Mutter beantragte nach ständigen befristeten Aufenthaltserlaubnissen eine Aufenthaltsberechtigung. Beim ersten Versuch in der Ausländerbehörde war sie so eingeschüchtert worden, dass sie nicht einmal auf die einfachsten Fragen antworten konnte. Der begehrte Stempel wurde verweigert. Beim zweiten Mal nahm sie ihren Deutschen Schwiegersohn einfach als Vertrauensperson an ihrer Seite mit. Er brauchte gar nichts sagen oder tun, plötzlich war die Sachbearbeiterin freundlich, gab ihr sogar Hilfestellung, um die gestellten Fragen auf Deutsch beantworten zu können. Sie fühlte sich sicher und bekam die Aufenthaltsberechtigung.

Inzwischen sind sie Wanderer zwischen zwei Welten geworden. Leben mehr als ein halbes Jahr in der Türkei und den Rest der Zeit in Deutschland bei den Kindern und Enkelkindern, die nicht mehr mit Ihnen für immer zurückkehren werden. Mit fast 70 Jahren erfüllen sie sich nun einen lang ersehnten Traum und bauen ein Haus auf dem Dorf an der Stelle, wo mal das Haus seiner Eltern stand und wo seine Frau ohne ihn gelebt hat.

Das neueste Wort, womit sie nun gedemütigt werden ist ‚Integrations- verweigerer‘.

Populistische Integrationsdebatte zerstört das Zusammenleben
Ihre Geschichte steht exemplarisch für die meisten Zuwanderer türkischer Herkunft in Deutschland, die sich trotz schwieriger Rahmenbedingungen in diese Gesellschaft eingefügt haben. Aber sie haben viele Phasen in Deutschland durchlebt: Sie waren Gastarbeiter – Mitbürger ausländischer Herkunft – Menschen mit Migrationshintergrund oder Zuwanderungsgeschichte. Auf ihrem Rücken wurden Wahlkämpfe ausgetragen. Bis vor ein paar Jahren hat man sich kaum für ihre Kultur oder ihre Sprache interessiert. Ihre Einwanderungsgeschichte oder die Geschichte ihres Herkunftslandes kommt weder im Schulunterricht noch sonst in irgendeinem Bereich diese Gesellschaft vor. Kaum jemand hat ihre Leistung gewürdigt. Rahmenbedingungen, wie sie sich in diese Gesellschaft einfügen können, haben Jahrzehnte gefehlt.

Das neueste Wort, womit sie nun gedemütigt werden ist „Integrationsverweigerer“. Über 38 % der hoch qualifizierten Kinder dieser „Integrationsverweigerer“ kehren inzwischen Deutschland den Rücken und gehen in ihr Herkunftsland zurück, weil sie hier keine Perspektive für sich sehen, weil sie sich ausgegrenzt fühlen. Wer hat ihnen die Integration verweigert; wer hat es versäumt, über Jahrzehnte eine aktive Politik der gleichberechtigten Chancen zu betreiben; wer hat ihnen nie wirklich aufrichtig zu verstehen gegeben, dass sie Teil dieser Gesellschaft sind, dass wir ein „Wir“ sind, sollten sich die Sarrazins, Keleks, Schwarzers, Seehofers, und wie sie alle noch heißen mögen, die sie einseitig pauschal verurteilen, mal genauer fragen und differenzierter urteilen.

Man hat nicht Intellektuelle aus den Großstädten der Türkei geholt, um hier zu arbeiten. Die hätten die Arbeit auch nicht gemacht. Man hat einfache Arbeiter geholt, die mit ihren Familien Unterstützung gebraucht hätten. Nun wächst aus ihren Reihen eine gut ausgebildete Schicht heran, aber diese haben keine Lust auf diese Integrationsdebatten. Sie verstehen sie zum Teil auch nicht, weil sie nie ein anderes Land als Deutschland als ihre Heimat kennen gelernt haben. Probleme sollen aufrichtig und in gegenseitigem Respekt benannt werden, aber die mangelnde Sachlichkeit in der Integrationsdebatte, mit oft nicht einmal im Ansatz empirisch gesicherter Datenbasis, führt zu diskriminierenden Behauptungen und Unterstellungen, die nicht nur das Zusammenleben zerstören und Anfeindungen gegenüber Zuwanderern und Muslimen auslösen, sondern auch die politische Kultur in unserem Land untergraben. Aktuell Meinung

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  1. Hop Singh sagt:

    Populistische Integrationsdebatte zerstört das Zusammenleben, nein hat es schon lange zerstört, gut so. Denn, nun, wo 38% der türkischen Integrationsverweigerer zuhause die Türkei aufbauen, wie sie es nach dem Kriege schon in Deutschland taten, verbleiben die restliche 3/4(Quelle Fourotan) hier und übernehmen in 20 Jahren(Quelle Fourotan) Deutschland. Und dann werden die Sarrazins, Keleks, Schwarzers, Seehofers und alle anderen islamophoben Deutschen, die jahrzehntelang „Fritz“ gerufen haben, bestraft und arm.

  2. Karl Willemsen sagt:

    Ein gutsituiertes Rentnerehepaar, welches sich von ganz unten nach oben gearbeitet hat, mit zwei Wohnsitzen (der im Süden vermutlich mit Meerblick) welches es sich leisten kann von Sommer zu Sommer zu jetten, die Kinder allesamt bestens in D ausgebildet und in hochqualifizierter Arbeit, die Tochter noch mit einem Deutschen verheiratet (welch seltenes Alleinstellungs- und Integrationsmerkmal! Es wird doch nicht etwa die Geschichte der Eltern von Nazan E. oder Gülcan K. sein?), die Enkelkinder noch besser ausgebildet und mit der Perspektive ausgestattet, sich weltweit die besten Jobs rauspicken zu können… was will man mehr? Eine Erfolgsstory sondersgleichen incl. HappyEnd!

    Alle „Sarrazins, Keleks, etc.“ hätten keinen, aber auch nicht den geringsten Anlass zu meckern, wenn es sich hier tatsächlich um eine Geschichte handeln würde, die „exemplarisch für die meisten Zuwanderer türkischer Herkunft in Deutschland“ steht.

    Aber das ist offenkundig auch schon der Witz an der Story…

  3. Yilmaz sagt:

    ich kenne allein in meinem bekanntenkreis sehr viele leute, die ähnliche erfahrung gemacht haben. wird zeit, dass darüber auch bücher geschrieben werden.
    warum spricht man bei positiven dingen, die mit türken zu tun haben , immer von einzelfällen?
    es macht kein spaß ein einzelfall zu sein.

  4. Sinan A. sagt:

    Wenn man es genau betrachtet, ist die Generation der Gastarbeiter eine Elite: Wagemutig, strebsam, anständig. Und vor allem: Robust, belastbar und gesund.

    Eigenschaften, die nicht jeder hat und die man nicht erlernen kann. Bildung dagegen ist sekundär. Bildung ist nur ein Kopfwerk, erreichbar, übertragbar.

    Insofern ist es kein Wunder, dass soviele Nachkommen der Gastarbeiter quasi aus dem Stand erfolgreich sind, obwohl sie in einem Land leben, das sie nicht haben will.

  5. Bierbaron sagt:

    Ein schöner und gefühlvoller Artikel, der weder repräsentativ sein will noch irgendwas zwanghaft be- oder widerlegen will. Schlicht eine ehrliche Biographie.

    Was mir fehlt ist eines: Dankbarkeit. Für Frau Dreessen scheint eine weitgehend kostenfreie Ausbildung selbstverständlich zu sein, dass „Oma und Opa“ und Lehrkräfte außerhalb der Schule der Familie halfen wird als Teil der Biographie schlicht erwähnt, gewertet wird im vorliegenden Artikel nur, wenn es gegen die böse rassistische Mehrheitsgesellschaft geht, mithin um „die Türken“ als Opfer. Ich verstehe folgendes nicht: Warum ziehen sich den „Integrationsverweigerer-Schuh“ überhaupt an? Ohne Sarrazins Machwerk gelesen zu haben, kann ich doch trotzdem sagen: Sie und ihre Familie sind keine Integrationsverweigerer, sie sind nicht die Adressaten der gesellschaftlichen Diskussion des letzten Jahres! Hier machen sie leider den gleichen Fehler wie viele andere gut integrierte Muslime auch: Ohne Not begeben sie sich in die „Opferecke“, so dass das Wichtigste leicht übersehen werden kann. Sie sind kein Opfer, sie eine Gewinnerin der Integration!

    Daher ist die vorliegende Biographie ehrlich, in ihren Wertungen in meinen Augen jedoch wenig vorbildlich.

    Grüße
    Bierbaron

  6. konradi sagt:

    @ Bierbaron

    sehr guter Kommentar, dem ich mich voll anschließen kann !

  7. Dr. Maksut SARI sagt:

    Wie die Eltern der Autorin dieser Geschichte sind fast 99 % der Türken als Hilfsarbeiter nach Deutschland gekommen. Als ich im Jahr 1979 als Türkischlehrer nach Deutschland kam, gab es im Krankenhaus in der Stadt, in der ich lebte, keinen einzigen türkischstämmigen Arzt, dessen Eltern hierhin als Hilfsarbeiter gekommen waren. Heute kann man in jeder Station dieses Krankenhauses mehr als einen Arzt mit Migrationshintergrund treffen, viele von ihnen türkischstämmig sind. Türkischstämmige Ärzte, Rechtsanwälte, Richter, Manager großer Konzerne [u.ä.] kann man fast in jeder Stadt treffen. Man hat sie dorthin nicht katapultiert. Ich bin ein lebender Zeuge, der jahrelang in allen Bereichen der Gesellschaft beobachtet hat, welche Hürden sie bewältigen mussten, um nach oben zu klettern. Ich glaube nicht, dass Menschen wie Sarrazin, Seehofer unter solchen Bedingungen das hätten schaffen können. Wie die Deutschen gibt auch Türken, die in Gefängnissen, im Rotlichtmilieu usw. „Ganz unten“(1) zu treffen sind. Dies zeigt uns, dass es nicht um eine bestimmte Rasse geht, es geht vielmehr um Menschen. Ich bin Moslem aber hier möchte ich einen Teil aus dem neuen Testament zitieren:
    „Hört! Ein Sämann ging aufs Feld, um zu säen. Als er säte, fiel ein Teil der Körner auf den Weg, und die Vögel kamen und fraßen sie. Ein anderer Teil fiel auf felsigen Boden, wo es nur wenig Erde gab, und ging sofort auf, weil das Erdreich nicht tief war; als aber die Sonne hochstieg, wurde die Saat versengt und verdorrte, weil sie keine Wurzeln hatte. Wieder ein anderer Teil fiel in die Dornen, und die Dornen wuchsen und erstickten die Saat, und sie brachte keine Frucht. Ein anderer Teil schließlich fiel auf guten Boden und brachte Frucht; die Saat ging auf und wuchs empor und trug dreißigfach, ja sechzigfach und hundertfach. Und Jesus sprach: Wer Ohren hat zum Hören, der höre! (Markus 4/3-9)“
    Die Türken und Araber in Deutschland sind auch wie die Körner in der Bibel. Ihre Umgebung hat sie so gemacht, wie sie jetzt sind. Wenn Sarrazin, Seehofer und seine Trittbrettfahrer Ohren haben, sollen sie hören!

    (1) Wallraf, Günter (1985): Ganz Unten

    Frohes Neues Jahr!

  8. Pragmatikerin sagt:

    @ Dr. Maksut SARI

    Ich habe eine (türkische) Auswanderungsgeschichte vor ein paar Monaten im TV gesehen. In diesem Film – ich weiss leider den Titel nicht mehr – ging es um eine ganze türkische Sippe, welche wieder in die Türkei (Istanbul) zurückgekehrt ist.

    Die Reaktionen einiger hiesiger Kommentatoren/innen lassen mir es jetzt noch „kalt über den Rücken laufen“. Die von mir positiv bewertete Familie wurde fast nicht gwürdigt; was mir aber um „die Ohren geschlagen wurde“ war nur Unverständnis über meine Schilderungen – am Schluss habe ich resigniert!!!!!!

    Meine Erfahrung über Zuwanderung ist vielfältig. Positive Erfahrungen im Bereich ausländische Ärzte habe ich einige gemacht, ein Arzt – Jugoslawe – hat mir ganz sicher das Leben gerettet, denn er hat mit seiner rechtzeitigen Behandlung bei mir einen Herzinfarkt verhindert.

    Aber wie es bei den Alt-Deutschen nicht nur studierte geben kann, so erwarte ich auch von den Neu-Deutschen n u r etwas mehr Anpassung. Manchmal hat man den Eindruck w i r sollen uns umgewöhnen und s i e machen – wie zu hause – weiter wie bisher!!!!!! Ist das richtig?

    Ihre biblische Geschichte fand ich als Parabel gut, türkische und arabische Migranten sind nicht immer ein Produkt Ihrer Umwelt (Arbeitslosigkeit usw.) sondern auch oft ihres Umganges. Wenn ich nur mit meinesgleichen verkehre, lerne ich nicht, über den „Tellerrand zu blicken“ und damit entziehe ich mich selbst einer gesunden Entwicklung.

    Ich streite es sicher nicht ab, dass es auch gelungene Vitas bei Muslimen gibt, aber es sind Einzelfälle, leider.

    Pragmatikerin

    P,S. In der Zeit, als Günter Wallraf als Ali schlechte Erfahrungen machte in der Berufswelt haben sich die Bedingungen – auch für Deutsche – nicht verändert; Heute würde er sicher andere Erfahrungen machen wollen – keinesfalls aber mehr als Ali

  9. Dr. Maksut Sari sagt:

    @bierbaron und @konradi

    ich empfehle Ihnen den Artikel „Die polnische Parallelgesellschaft“ v. Christoph Klessmann (Die Zeit, 9. Dez. 2010, S. 22) zu lesen, damit Sie Ihre Vorurteile über Ausländer (besonders Ihre Erwartung, dass die Ausländer hier Deutschland dankbar sein sollen) einbisschen dämpfen können. Wir sind genauso wie Sie deutsche Staatsbürger. Wenn jemand unbedingt seine Dankbarkeit erweisen soll, dann sollen Sie und solche Leute wie Sie endlich anfangen, die erwünschte Dankbarkeit uns, den Menschen mit Migrantenhintergrund, zu zeigen, anstatt uns vom siebten Himmel runterzuschauen. Wie wäre es? MfG

  10. Bierbaron sagt:

    @ Dr. Maksut Sari

    Ihre emotionale Überreaktion verwirrt mich. Den von ihnen empfohlenen Artikel kenne ich bereits, nur was hat mit der hier thematisierten Biographie zu tun? Die Migrationsgeschichte der Polen in Westfalen/Ruhrgebiet und die Migrationsgeschichte der Region allgemein ist derart komplex, dass ein Vergleich mit der vorliegenden Biographie wenig statthaft ist.
    Ihr frecher Vorwurf geht auch aus einem anderen Grunde an den Falschen: Ich habe keine deutsche Staatsbürgerschaft. Gehöre ich jetzt zu den Guten?

    Grüße
    Bierbaron