Vorher-Nachher-Umfrage
Thilo Sarrazin schafft Zuversicht bei Zuwanderern ab
Die Sarrazin-Debatte hat in der Einwanderungsgesellschaft Spuren hinterlassen. Das ist das Ergebnis einer Umfrage des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration. Zuwanderer weniger optimistisch als noch vor einem Jahr.
Dienstag, 11.01.2011, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 08.01.2020, 15:45 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Zuwanderer blicken mit weniger Zuversicht auf das Zusammenleben in Deutschland als noch vor einem Jahr. Das zeigt eine vergleichende Befragung des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR), für die 2009 und 2010 über 2.000 Personen mit und ohne Migrationshintergrund befragt wurden.
In den Antworten auf die Frage, ob Mehrheits- und Zuwandererbevölkerung „ungestört miteinander“ leben, zeigt sich bei Zuwanderern ein deutlicher Unterschied zwischen Herbst 2009 und Jahresende 2010: Dieser Aussage stimmten 2009 noch 21,7 Prozent der Zuwanderer „voll und ganz“ zu. Im November und Dezember 2010, nach der Sarrazin-Debatte, bestätigten diese positive Einstellung nur noch 9,1 Prozent. Umgekehrt verdoppelte sich fast der Anteil der pessimistischen Einschätzungen unter den Zuwanderern: 2009 bewerteten nur 3,5 Prozent die Einschätzung eines ungestörten Miteinanders mit „gar nicht“. 2010 stieg ihr Anteil auf 6 Prozent. Im Mittelfeld aber überwiegen nach wie vor die verhalten positiven, gelasseneren Einstellungen zum Zusammenleben in der Einwanderungsgesellschaft.
Bei der Mehrheitsbevölkerung hingegen ist die pragmatisch-differenzierte Haltung gewachsen: Der Anteil derjenigen, die das Zusammenleben mit „teils, teils“ (teils ungestört, teils problematisch) bewerten, stieg von 20,9 auf 34,2 Prozent an. Umgekehrt sank der Anteil derer, die ein ungestörtes Miteinander eher verneinten, von 33,8 auf 25,5 Prozent zurück.
Eigentor
„Die Sarrazin-Debatte hat in der Einwanderungsgesellschaft Spuren hinterlassen“, erklärte der SVR-Vorsitzende Prof. Dr. Klaus J. Bade. „In den Meinungsspitzen beobachten wir mehr Pessimismus bei den Zuwanderern und mehr Pragmatismus bei den Deutschen. Aber das breite Mittelfeld bleibt auf beiden Seiten eher gelassen. Und das ist am wichtigsten.“ Allerdings könnte die Sarrazin-Debatte das Image des Einwanderungslandes Deutschland im Ausland beschädigt haben. Damit würden potenzielle qualifizierte Zuwanderer verprellt. Das aber, so Bade, wäre ein „Eigentor“, denn Deutschland sei längst ein „Migrationsverlierer“ geworden und müsse daraus Konsequenzen ziehen: „Deutschland muss attraktiver werden für Qualifizierte, die zögern zuzuwandern, und für solche, die erwägen, abzuwandern. Das setzt eine kritische und handlungsbereite Bestandsaufnahme voraus, die ans Eingemachte geht.“
Bei den regionalen Ergebnissen zeigte sich insbesondere in Berlin eine deutliche Polarisierung der Meinungen. Einerseits war dort die Zustimmung zu der Einschätzung, dass das Miteinander „voll und ganz“ ungestört sei, am größten: Diese Meinung teilten 10,4 Prozent der Zuwanderer- und 8,4 Prozent der Mehrheitsbevölkerung. Andererseits war aber auch der Anteil derjenigen, die „gar nicht“ von einem ungestörten Miteinander ausgingen, am höchsten (mit Migrationshintergrund: 8,7 Prozent, ohne Migrationshintergrund 8,4 Prozent). Das unterscheidet die Stimmung in Berlin von derjenigen in den Regionen Rhein-Ruhr, Rhein-Main und Stuttgart.
Über den Sachverständigenrat: Dem Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration gehören acht Stiftungen an. Der Sachverständigenrat ist ein unabhängiges und gemeinnütziges Beobachtungs-, Bewertungs- und Beratungsgremium, das zu integrations- und migrationspolitischen Themen Stellung bezieht und handlungsorientierte Politikberatung anbietet.
Die SVR-Befragung in Berlin wurde 2010 zum ersten Mal durchgeführt. Sie erfolgte in Bezirken, in denen ein hoher Anteil von Einwohnern mit Migrationshintergrund lebt: in Kreuzberg-Friedrichshain, Mitte-Wedding-Tiergarten und Neukölln. Bei Berlinern aus Bezirken mit hoher Zuwandererbevölkerung sind die Unterschiede in der Einschätzung, ob Integration gelungen oder gescheitert sei, mithin auf beiden Seiten der Einwanderungsgesellschaft deutlich schärfer ausgeprägt als in vergleichbaren innerstädtischen Gebieten anderer Regionen. (hs) Gesellschaft Studien
Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.
MiGGLIED WERDEN- Fachkräftemangel vs. Abschiebung Pflegeheim wehrt sich gegen Ausweisung seiner Pfleger
- Nach Budget-Halbierung Regierungsbeauftragter für Reform der Integrationskurse
- „Diskriminierend und rassistisch“ Thüringer Aktion will Bezahlkarte für Geflüchtete aushebeln
- „Hölle“ nach Trump-Sieg Massenabschiebungen in den USA sollen Realität werden
- Verwaltungsgerichtshof Nürnberg muss Allianz gegen rechts verlassen
- Ein Jahr Fachkräftegesetz Bundesregierung sieht Erfolg bei Einwanderung von…
„Deutschland sei längst ein „Migrationsverlierer“ geworden…“
Da muss ich Hr. Bade uneingeschränkt zustimmen, wobei ich die Betonung auf „längst“ legen würde, also seit ca. 40 Jahren und nicht etwa erst seit 4 Monaten, insofern scheidet die „Sarrazin-Debatte“ als Ursache schonmal völlig aus!
Nicht sicher bin ich mir allerdings, ob Hr. Bade unter „Migrationsverlierer“ nur das Saldo von Einwanderung/Auswanderung versteht oder i.S. einer volkswirtschaftlichen Gesamtbilanz? ich vermute mal nur Ersteres…
aber wie auch immer, die Steigerung der Attraktivität für qualifizierte Zu- und Abwanderer ist i.P. äusserst simpel: attraktive Gehälter – natürlich „Netto“, versteht sich!
Und das ist auch schon das Problem: wir konkurrieren mit Ländern, die evt. höhere Nettogehälter zahlen können, weil sie evt. niedrigere Sozialausgaben haben, was evt. damit zu tun haben könnte, dass sie in der Vergangenheit nicht soo attraktiv für weniger qualifizierte Zuwanderer waren…? Ist aber auch nur ne Vermutung.