Jahresauftaktklausur
SPD für Doppelte Staatsbürgerschaft, kommunales Wahlrecht und Chancengleichheit
Auf ihrer Jahresauftaktklausur präsentiert die SPD das „Positionspapier Integration“. Darin fordert sie mehr Chancengleichheit in Bildung und Beruf, eine konsequente Antidiskriminierungspolitik, die doppelte Staatsbürgerschaft und das kommunale Wahlrecht für Ausländer.
Montag, 17.01.2011, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 21.01.2011, 1:26 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Für die doppelte Staatsbürgerschaft und das kommunale Wahlrecht auch für Nicht-EU-Ausländer plädiert die SPD im „Positionspapier Integration“, das am Freitag auf der Jahresauftaktklausur in Magdeburg vorgestellt wurde. Der Grundsatz, doppelte Staatsangehörigkeit zu vermeiden, sei historisch überholt und schon heute von vielen Ausnahmeregelungen durchbrochen: „In rund 53 Prozent aller Fälle wird die doppelte Staatsangehörigkeit hingenommen. Das führt zu Ungleichbehandlungen“, heißt es in dem Papier.
Kommunales Wahlrecht
Integration sei ein wechselseitiger Prozess. Jeder Einzelne müsse sich einbringen, aber die Gesellschaft müsse das auch ermöglichen. Deshalb fordert die SPD das kommunale Ausländerwahlrecht. Mit dem Maastrichter Vertrag von 1992 haben EU-Bürgerinnen und -Bürger das Wahlrecht auf kommunaler Ebene bekommen. „Wir fordern dieses Recht auch für langjährig hier lebende Ausländer aus Nicht-EU-Staaten“, so die Sozialdemokraten.
Integration sei von herausragender Bedeutung für die Zukunft. Angst und Unsicherheit dürften dabei nicht ausgeblendet werden. Klar sei, dass jeder sich an die Gesetze zu halten habe. „Bei Zwangsverheiratung, Kriminalität und häuslicher Gewalt gibt es keine Toleranz. Das ist ebenso klar wie selbstverständlich. Und gilt für alle, die hier leben. Aber wir lassen nicht zu, dass solche Phänomene genutzt werden, um die Mehrheit der Migrantinnen und Migranten zu diffamieren“, so die SPD.
Chancengleichheit und Antidiskriminierung
Schwierigkeiten bei der Integration hätten „nicht nur mit der Herkunft zu tun. Zwar spielt die eine Rolle. Integrationsprobleme hätten aber auch andere Gründe“, so die Sozialdemokraten. Eine deutsche alleinerziehende Mutter ohne Schulabschluss kämpfe häufig mit ähnlichen Problemen wie ihre türkische Nachbarin, die sich ohne Ausbildung und Partner um ihre Kinder kümmern müssten. Daher müsse man über fehlende Perspektiven sprechen, über mangelnde Bildung und Ausbildung, Arbeitslosigkeit und Armut.
Daher wolle sich die SPD für bessere Bildungs- und Berufschancen von Migranten einsetzen und eine konsequente Antidiskriminierungspolitik verfolgen. Denn Integration beginne mit einem Zugehörigkeitsgefühl. „Es geht um die Identität der Menschen, die zu uns kommen, aber auch um die Identität der aufnehmenden Gesellschaft“, so die SPD. Wer in Deutschland leben möchte, solle sich einbringen. Allerdings sei die Mehrheitsgesellschaft genauso gefordert. Interkulturelle Öffnung sei gefragt und niemand dürfe sich vor dieser Verantwortung drücken.
Maximal 1,5 Prozent verweigern Integration
Dem Vorwurf der Bundesregierung, es gebe zehn bis 15 Prozent Integrationsverweigerer erteilte die SPD bereits in ihrem „Entwurf für ein SPD-Fortschrittsprogramm“ im Vorfeld der Klausurtagung eine Absage. „Das Migrationsbundesamt und eine Umfrage unter den Bundesländern hat die Mär vom integrationsunwilligen Ausländer widerlegt. Die Zahl der Integrationsverweigerer liegt nicht bei 10 bis 15 Prozent, wie vom Bundesinnenminister behauptet, sondern bei höchstens einem bis eineinhalb Prozent, in manchen Regionen liegt sie sogar im Promillebereich“, heißt es in dem Papier. (bk)
Politik
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Deutschland macht sich mit immer neuen ambivalenten Botschaften selbst abschreckend. Nach der Staatsbürgerschaftsreform hat es gleich neue Gesetzeshürden um den Pass getürmt.
Wichtiger aber noch: Staatsangehörigkeit hat mit sich zugehörig fühlen zu tun. Wer seine Migranten aber meist als bedrohliche Fremde behandelt, muss sich nicht wundern, wenn deren Herz weiter an anderem Fleck schlägt. Um Loyalität zu werben, anstatt sie durch Abgabe des alten Passes zu erzwingen, hat Deutschland bisher nicht verstanden. Eine Einbürgerungszeremonie mit Kanzlerin allein schafft noch keine Willkommenskultur für ein Wir-Gefühl.
„Maximal 1,5 Prozent verweigern Integration“
Wir können uns die Umfrage, die dieses Ergebnis hervorbrachte aber auch unschwer vorstelllen, die Frage dürfte wohl gelautet haben:
“Halten Sie sich für einen Integrationsverweigerer?”
Ich hoffe die Frage wurde wenigstens auch auf türkisch gestellt, anderfalls wäre sie für einen Grossteil der relevanten Befragten noch nicht mal theoretisch beantwortbar… ;-)
@ karl willemsen
was ist denn das für ein quatsch? die umfrage wurde in den bundesländern bei den zuständigen behörden durchgeführt. erst informieren, dann schreiben!
aber woher sollen sie denn auch wissen, was sie schreiben, bevor sie es gelesen haben, gelle?
Ic h bin der Meinung, dass die SPD mit diesem – undurchdachten – Vorhaben „fishing for Voter“ (bei den Neu-Deutschen) machen will, ohne zu bedenken, dass das auch nach „hinten“ losgehen kann und sie (die SPD) dann wahrscheinlich der FDP Konkurrenz machen wird (unter 5 % kommen wird).
Die SPD wird in dieser Beziehung wahrscheinlich genauso unentschlossen sein, wie bei dem Vorhaben, Dr. Thilo Sarrazin aus der Partei auszuschliessen. Zuviele SPD-Anhänger würden aus der Partei dann wohl austreten oder sie nicht mehr wählen.
Pragmatikerin
@BiKer
Dieser Migazinartikel verweist lediglich auf ein „SPD-Fortschrittsprogramm“, dem wiederum auch nicht zu entnehmen ist auf welche Umfrage es sich bezieht!
Können Sie sachdienliche Hinweise zu dieser dubiosen „Umfrage“ machen? Es ist doch schliesslich ein empörender, völlig haltloser Vorwurf dieser ausländerfeindlichen SPD von 1,5% integrationsunwilligen Migranten zu sprechen! Das wären ja fast 1/4 Mio. von 15 Mio. Migranten in D…
@ Arabeska
„Staatsangehörigkeit hat mit sich zugehörig fühlen zu tun.“
Das ist ein Satz, der mir zu „Herzen“ geht. Er wäre, wenn es denn so wäre auch Anlass für mich, hier mit dem Posten aufzuhören, weil ich dann zufrieden wäre mit dem Zusammenleben hier in Deutschland. Aber sorry, Arabeske, wie ich immer wieder zu meinem Leidweisen feststellen muss, gibt es – auch hier – fast nur Passdeutsche bei den türkisch/muslimischen Migranten. Denn ein Neu-Deutscher, der hier in Deutschland mit Herz und Hirn lebt, schreibt anders.
Artikel, die hier für manche „Schreiberlinge“ wichtig sind, sind für mich zum Beispiel völlig belanglos, denn was interessiert es mich zum Beispiel, ob die SPD ihr (Regierungs)-Konzept ändert oder nicht. Für mich ist es auch nicht wichtig zu wissen, wie die wirtschaftliche oder soziale Situation in der Türkei oder in anderen muslimischen Ländern ist.
Ein Migrant ist für meine Begriffe vollständig integriert wenn er Deutsch lebt, Deutsch denkt und seine frühere Heimat in dankbarer Erinnerung behält.
Pragmatikerin
Es ist immer wieder schön solche Ideen zu lesen.Schade nur, dass das was versprochen wird, nicht erfüllt wird. Ich als Magister an der Humboldt Universität zu Berlin habe mich gestern wieder in der Ausländerbehörde in Berlin aufgeregt…Nach 13 Jahren in Deutschland, verheiratet und mit einem einjährigen Kind, das die deutsche Staatsangehrigkeit hat, bekomme ich gestern zu hören: „Dank ihres Kindes, weil es DEUTSCH ist, werden wir Ihnen den Aufenthaltstitel auf drei verlängern. Da sie nicht arbeiten bekommen sie keine Niederlassungserlaubnis! und ich hatte schon mit dem Gedanken gespielt die deutsche Staatsangehörigkeit zu beantragen. Ich fühle mich integriert, leider werde ich aber von solchen Institutionen in Deutschland gebremst und mir wird klar gemacht, dass ich trotzdem nicht dazugehöre!
@Pragmatikerin: „Ein Migrant ist für meine Begriffe vollständig integriert wenn er Deutsch lebt, Deutsch denkt und seine frühere Heimat in dankbarer Erinnerung behält.“
Ihr letzter Kommentar hört sich sehr schön an! Ich als Migrant, der hier schon über 36 Jahre lebt (ohne deutsche Staatsangehörigkeit) würde von Ihnen gerne folgendes wissen:
1. Wann lebt man Deutsch?
2. Wann denkt man Deutsch?
3. Was meinen Sie mit „frühere Heimat in dankbarer Erinnerung behalten“?
(Bei der letzten Frage übersehen Sie wahrscheinlich, dass die meisten Migranten (bspw. Ex-YU, Türkei, etc.) wegen der geringen Distanz zur früheren Heimat noch starke Verbindungen dorthin haben. Der Rest der Familie lebt dort, man hat evtl. die Hälfte seines Lebens dort gelebt, so dass sich die meisten „zweiheimisch“ fühlen (was für deutsche Einheimische viell. schwer nachvollziehbar ist).
Ich befürchte, dass Ihnen die Beantwortung dieser Fragen nicht sehr leicht fallen wird. Es ist leicht eine Behauptung oder Parole aufzustellen, aber die dazugehörige Definition (und das merke ich auch bei vielen von meinen Behauptungen) ist allerdings oftmals sehr schwer zu formulieren.
@ arabeska
Ihren Kommentar könnte ich so unterschreiben… weil er trifft genau meine Meinung!
„Ein Migrant ist für meine Begriffe vollständig integriert wenn er Deutsch lebt, Deutsch denkt und seine frühere Heimat in dankbarer Erinnerung behält.“
Hierzu müsste erst einmal geklärt sein, was Deutsch leben und Deutsch denken überhaupt ist! Denkt ein Nazi-Skinhead aus der sächsischen Schweitz „Deutsch“? Ist eine deutsche Staatsangehörige mit Kopftuch deren Großeltern aus Anatolien kommen und die sich an die Gesetze hält und Goethe gelesen hat etwa weniger Deutsch? Sind Sinti, die seit 700 Jahren in Deutschland leben, aber oft keine Schulbildung haben und zuhause Romani sprechen auch nur „Passdeutsche“?
Ich habe mich die letzten Tage noch einmal ausführlich mit gewissen Rethorikmustern beschäftigt und bin zu der Erkenntnis gekommen, dass „Passdeutsch“ ein rassistischer Begriff ist.