Wochenrückblick
KW 8/11 – Debatte um Bahners‘ „Die Panikmacher“
Das Thema der 8. Kalenderwoche: Monika Maron, Martin Ebel und Thilo Sarrazin contra Patrick Bahners. Mathias Rohes Gegenangriff.
Von Leo Brux Montag, 28.02.2011, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 28.02.2011, 0:53 Uhr Lesedauer: 7 Minuten |
Patrick Bahners‘ „Die Panikmacher“
hat einige heftige Reaktionen hervorgerufen. Über eine positive (Steinfeld, SZ) und eine negative (Matussek, SPON) hat der Wochenrückblick 7/11 bereits berichtet.
Bahners selbst hat der ZEIT ein Interview gegeben, das einige Teile seines Buches gut zusammenfasst. Islamkritik, so sagt er, sei legitim und notwendig. Aber:
Das Thema meines Buches ist jene Islamkritik, die meint, dass die Hilfstruppen von Ahmadineschad und al-Qaida einen verdeckten Krieg in unserem Alltag führen. Ralph Giordano oder Necla Kelek behaupten, dass derjenige, der ein frommes muslimisches Leben führen will und die Heilsbotschaft des Koran akzeptiert, früher oder später zum heiligen Krieger werden muss, weil es innerhalb der islamischen Tradition keine Möglichkeit gibt, den Islam zu entschärfen. Wahnhaft erscheint mir, dass man nun vor jedem türkischen Gemüsehändler und vor jeder Kopftuchträgerin Angst haben muss.
Was Bahners vor allem angreift, ist die Entzivilisierung des öffentlichen Diskurses:
Es gibt neuerdings einen Stil der ostentativ zur Schau gestellten Verachtung von Minderheiten. Die Freiheit zur Herabsetzung wird von Sarrazin ausdrücklich gefordert, und darin steckt eine Lektion des Karikaturenstreits. Diese Lektion lautet: Meinungsfreiheit zeigt sich gerade in der Beleidigung, in der Kränkung. Das ist ein Test: Wer dazu gehören will, muss sich eben auch beleidigen lassen. Und umgekehrt sind diejenigen, die aggressiv beleidigen, wahre Helden.
Ein Beispiel dafür liefert die Kopftuch-Debatte:
In den Landesgesetzen, die das Kopftuch verbieten, sehe ich eine bewusste Mitteilung an die Kopftuchträgerinnen, dass der islamische Glaube, auf den sie sich berufen, als hinterwäldlerisch wahrgenommen wird und keinen Respekt verdient. Die Rhetorik der Verachtung wird zum Selbstlob der Erfolgreichen, Etablierten, Angepassten.
Monika Maron
fordert in einem Beitrag in der WELT Bahners heraus, als Atheistin in Sachen Religion, als Frauenrechtlerin in Sachen Kopftuch und Rolle der Frau. Auf die Frage, was bin ich zuerst, Christ oder Staatsbürger, müsste – nach Bahners – der Christ antworten:
„Ja, ich bin zuerst Christ und dann Deutscher oder Türke. Denn als Christ bin ich um meine ewige Seligkeit besorgt, als Bürger kümmere ich mich um die vorletzten Dinge. Den Satz ‚Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen‘ kann er nicht preisgeben.“
Monika Maron sieht hier einen Unterschied zwischen Christen und Muslimen:
Nun wird ein gläubiger Christ in einer rechtsstaatlichen pluralistischen Gesellschaft kaum in essenzielle Konflikte zwischen seinem Gott und dem herrschenden Recht geraten. Sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche haben in einem schwierigen Anpassungsprozess gelernt, die politische Moderne, das heißt Demokratie und Menschenrechte, nicht nur zu akzeptieren, sondern als eigene Aufgabe anzusehen. In solcher rechtlichen Harmonie lebt ein gläubiger Muslim in einer westlichen Gesellschaft nicht. Im Zweifelsfall müsste er vielleicht nein sagen, nein, ich bin nicht zuerst Muslim, sondern Bürger. Eben das aber hält Bahners für eine Zumutung. Die Harmonisierungsleistung hätten, wenn ich ihn richtig verstehe, der Staat und die Gesellschaft zu leisten, nicht die Religion.
Wütend wird Monika Maron gegenüber Bahners‘ Verteidigung des Kopftuchs:
Sobald wir wissen, dass keine Frau und kein Mädchen das Kopftuch gegen ihren Willen trägt, werden wir das Kopftuch betrachten wie freiwillig zerrissene Jeans oder lila gefärbte Haare. Bis dahin wird, was Bahners „einem elementaren moralischen Gefühl, für das der Begriff Scham steht“, zuordnet, für die meisten bleiben, was es wohl auch sein soll: ein religiöses Symbol weiblicher Unterordnung oder ein demonstratives Zeichen der Abgrenzung.
Was, wenn nun Monika Maron durch persönliche Erfahrung entdecken würde, dass das Kopftuch keineswegs weibliche Unterordnung bedeutet, sondern eine etwas andere, für westliche Gemüter überraschende Art von weiblichem Selbstbewusstsein?
Martin Ebel
wirft im Tagesanzeiger Bahners vor, selbst alarmistisch zu argumentieren. Es würde reichen, dem Generalverdacht gegen Muslime
ruhig folgende Fakten entgegenzuhalten: dass sich Millionen Muslime in zahlreichen europäischen Ländern durchaus an die Gesetze dieser Länder halten, ohne ihren Glauben zu verraten; dass die Türkei mit überwiegend muslimischer Bevölkerung nach säkularen Prinzipien funktioniert. Aber Bahners geht es gar nicht darum, die Ängstlichen zu ermutigen, die Gegner zu widerlegen. Er braucht einen grossen, starken Gegner, um selbst Angst erzeugen zu können: die Angst vor dem «Weltbürgerkrieg». Auf den legten es die «Islamkritiker», dieses von Bahners erfundene Kollektiv, nämlich an – zumindest in der Konsequenz ihrer hartnäckigen Diffamierung des Islam und seiner Gläubigen.
Thilo Sarrazin
hat das Buch in der Frankfurter Allgemeinen ausführlich rezensiert. Wie Ebel meint er, Bahners gehe zu weit:
Durch den Bezug auf den Antisemitismus und auf Auschwitz als dessen Folgen greift Bahners zum maximalen Vergeltungsmittel, quasi zur Kernwaffe des deutschen politischen Diskurses. Wer so argumentiert, möchte seine Gegner ein für alle Mal erledigen. Wer Kernwaffen einsetzt, der ist entweder bedenkenlos, oder es mangelt ihm an Mitteln konventioneller Kriegsführung. Bahners äußert auch einige kluge Gedanken, und es hätte seinem Buch besser getan, wenn er argumentativ etwas abgerüstet hätte. So erweckt er den Eindruck, dass ihn Emotionen treiben, die mehr ihn beherrschen, als dass er sie beherrscht.
Dann kommt Sarrazin auf einen Punkt, den auch schon Monika Maron angesprochen hat:
Im Zentrum seines Buches steht ein objektives Problem. Viele Kritiker des Islam sehen dieses Problem genauso, nur geben sie eine andere Antwort: Der säkulare, freiheitliche Rechtsstaat hat zur Voraussetzung, dass alle Bürger, Rechtssubjekte und gesellschaftlichen Organisationen sich an seine Regeln halten, sie in gewissem Umfang auch verinnerlichen und den Regeln des staatlichen Rechts im Zweifel den Vorrang geben vor abweichenden religiösen Geboten.
Bahners
wird seinen Kritikern auf diesen Punkt vermutlich bald antworten. Was er auf jeden Fall geschafft hat, ist, die Debatte auf ein hohes Niveau zu heben.
Die hier diskutierenden Intellektuellen sollten aber bitte nicht vergessen, dass die Debatte weiter unten, unter Bürgern, etwa in den Internetforen und Kommentarsektionen der online-Ausgaben unserer Zeitungen, anders läuft – nämlich auf eine Weise, die Bahners recht gibt: Da will man den offenen Krieg mit dem Islam überhaupt, da will man die Entfernung des Islam aus unserer Gesellschaft. Für die Kreuzzügler sind die bedenkenswerten Einlassungen von Maron, Ebel oder Sarrazin nur Stoff, der sie in paranoider Angst, in Hass und Hetze bestätigt.
Patrick Bahners hat diese Woche, ohne dass sich der Artikel auf sein Buch bezieht, Argumentationshilfe erhalten von
Mathias Rohe,
Jurist und Islamwissenschaftler an der Uni Erlangen. In der Frankfurter Allgemeinen antwortet Rohe auf die Frage: Wie ist das mit dem Verhältnis von Staat und Religion gemäß unserer Verfassung?
„Dieses Land braucht kulturelle Vielfalt, es schätzt sie. Aber das Recht als solches ist nicht multikulturell in dem Sinne, dass wir einen rechtlichen Pluralismus hätten. Nein – es ist die Rechts- und Verfassungsordnung dieses Landes, die freiheitlich demokratische Grundordnung, die alleine den Maßstab abzugeben hat. Das heißt aber gerade nicht Uniformität in allen Bereichen des Rechts. Es gibt einen weitreichenden Schutz der Religionsfreiheit. Religion wird nach der Konzeption unserer Verfassung als prinzipiell positive mögliche Ressource angesehen. Das beschränkt sich nicht nur auf die Mehrheitsreligion. Und deswegen muss es auch für Muslime möglich sein in diesem Land, ihre Religion zu leben, im Rahmen des geltenden Rechts.“
Es gilt das deutsche Recht, kein anderes. Aber eben deshalb und genau in diesem Rahmen genießen Religionen eine kulturelle Freiheit, die sich auch auf das ominöse Kopftuch erstreckt
Es wäre geradezu verantwortungslos, wenn wir Menschen, die sich rechtstreu verhalten, aber auch an ihren religiösen oder kulturellen Vorstellungen festhalten möchten, aus dem demokratisch-rechtsstaatlichen Grundkonsens hinausdefinieren würden.
.. wer sich an das Recht hält, darf seine Religion und Kultur pflegen.
Mathias Rohe resümiert:
Die Aufklärerinnen und Aufklärer, die unsere Verfassung vor rechtstreuen Muslimen retten wollen, sollten ein wenig über den aufklärerischen Grundsatz meditieren, dass auch das Recht des anderen auf eine abweichende Meinung verteidigenswert ist, solange dieser andere sich friedlich artikuliert. Säkularistischer Tugendterror ist keine wünschenswerte Alternative zur Religionsdiktatur – und schon gar nicht zum säkularen demokratischen Rechtsstaat. Wochenschau
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