Ausstellung
Papas Weg, Mamas Weg und der gemeinsame dritte Weg
Swahili oder deutsch? Tragetuch oder Kinderwagen? Ramadan oder Weihnachtsmann? In vielen interkulturellen Familien ist die einfache Antwort auf diese Fragen: im besten Fall beides! - Ausstellung portraitiert den Alltag binationaler Familien in Leipzig
Von Madeleine Rau Donnerstag, 07.04.2011, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 11.04.2011, 1:23 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Ein gelungenes Familienleben setzt konstante Aushandlungsbereitschaft und das Bewusstsein der Gleichheit aller Menschen voraus, aber auch Geduld und Verständnis füreinander, genaues Zuhören, gegenseitige Einfühlung und nicht zuletzt das Erkennen und Benennen der eigenen Grenzen. Julia aus Apolda und Frank aus Mwanza (Tansania) leben und teilen dies mit ihren beiden Töchtern in Leipzig. Zuhause wird Deutsch, Swahili und Englisch gesprochen.
In einer anderen Leipziger Familie hängt am Hochbett der fünfjährigen Kalia eine haitianische Flagge, die das Mädchen an das Heimatland ihres Papas erinnert. Sie ist stolz darauf, dass sie auch im Winter braun ist und die anderen Kinder nur im Sommer. Der achtjährige Tarik wiederum freut sich öfter über Geschenke, denn in der Familie werden sowohl islamische als auch christliche Feste gefeiert.
„Denn sowohl die Partner aus verschiedenen Kulturen als auch ihre gemeinsamen Kinder lernen unterschiedliche Wertesysteme kennen und erfahren, dass es immer mehrere Alternativen gibt.“ – Anja Treichel.
Die Ausstellung „Abu, Mama und bébé“, die heute in Leipzig beginnt, gibt diesen Geschichten und Lebensentwürfen ein authentisches, ehrliches und ungeschminktes Gesicht: rund 30 Familien wurden portraitiert – in Fotos, Texten und Audio-Aufnahmen. Die Geschichten, die hinter den Familien stehen, sind besonders und normal zugleich. „Zwei Seiten wollen wir in der Ausstellung sichtbar machen“, erklärt Anja Treichel, Geschäftsführerin des Verbandes binationaler Familien und Partnerschaften Leipzig. „Einerseits die Normalität im Sinne von Familienleben wie bei Paaren gleicher Herkunft auch. Andererseits den Fakt, dass interkulturelle Familien um die Anerkennung ihrer Normalität kämpfen müssen, da diese heute immer noch nicht gesellschaftlich akzeptiert wird: Menschen werden in „Wir“ und die „Anderen“ eingeteilt. Das Nebeneinander von Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Wurzeln wird gesellschaftlich kaum wahrgenommen – höchstens unter der Prämisse ‚Das kann ja nicht gut gehen…`“.
Binationalität bewusst wahrnehmen und sensibel reflektieren
Woher kommst Du? Darf ich mal Deine Haare anfassen? Wann gehst Du zurück in Dein Land? Woher kommst du WIRKLICH? Diese Fragen gehören nicht selten zum Alltag binationaler Kinder, die in Leipzig geboren sind. Eltern müssen daher nicht nur untereinander verschiedene Vorstellungen von Erziehung, Religion oder Wertesystemen miteinander aushandeln, sondern auch mit ihren Kindern: Eltern sollten die Bikulturalität der Kinder bewusst wahrnehmen und sensibel reflektieren.
Wenn Kinder fragen „Papa, bin ich nun spanisch oder deutsch?“ oder „Mama, muss ich nicht weiß und blond sein, wenn ich zum Fasching als Sterntaler gehen möchte?“ werden Eltern vor Herausforderungen gestellt, die eine Beschäftigung mit der eigenen Identität voraussetzen. Die Kinder stark zu machen, damit sie kreativ und selbstbewusst mit Diskriminierungen, aber auch positiven Zuschreibungen wie „Diese ´gemischten´ Kinder sind doch besonders hübsch“ umgehen lernen, ist ein wichtiges Erziehungsziel. Das umzusetzen fällt oftmals „monokulturellen“ Eltern bikultureller Kinder nicht immer leicht, da sie selbst Vorurteile haben und nicht immer über ihren Schatten springen können.
Diskriminierung im Alltag bestimmt Wahl des Wohnortes
„Nicht selten leben binationale Familien bewusst in Stadtteilen, die sie als multikulturell, aufgeschlossen und alternativ einschätzen und erleben – beispielsweise Connewitz, Plagwitz oder Schleußig“, weiß Treichel. Denn Diskriminierung haben fast alle Portraitierten bereits erleben müssen. Sei es der Friseurbesuch, bei dem eine Chilenin Klagen über ihre „zu dicken Haare“ hört. Der Vermieter, der die versprochene Wohnung doch nicht mehr vermietet, wenn der „ausländisch aussehende“ Ehepartner mit zur Besichtigung kommt. Eltern, die im Kindergarten hören, dass sie mit ihren Kindern auf jeden Fall deutsch sprechen sollen. Bis hin zu rassistischen Beleidigungen und Angriffen in der Öffentlichkeit.
Info: Ausstellungseröffnung: 08. April 2011; 14.00 Uhr; Neues Rathaus. Die Ausstellung wird vom 8. April bis zum 30. April 2011 zum vorläufig letzten Mal in Leipzig zu sehen sein. Weitere Informationen zum Ablauf der Eröffnung und zum Verband binationaler Familien und Partnerschaften.
So individuell und auch streitbar die Geschichten sind, die in der Ausstellung erzählt werden, eines haben die Familien gemeinsam: Den Wunsch, dass ihre Kinder glücklich aufwachsen. Dass sie nicht als „Exoten“ oder „Ausländerkinder“, sondern einfach als Kinder wahrgenommen werden. Sie sind nicht entweder deutsch oder türkisch, deutsch oder kenianisch, deutsch oder arabisch. Sie sind beides. Marta, zweifache Mutter aus Chile: „Der Vorteil der Binationalität unserer Kinder ist, dass sie erfahren, auf der Welt gibt es Millionen verschiedener Wege, Lebensweisen, Lösungen und Realitäten.“ Eine Erfahrung, die in der Ausstellung auf vielfältige Weise transportiert wird. Im besten Fall über die Grenzen Leipzigs hinaus. Aktuell Feuilleton
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