Migrationspolitik
Familien im Feindbild der Migrationspolitik: der Streit um den Familiennachzug
Der Familiennachzug wird oft unterschätzt. Er stellt die quantitativ bedeutendste Form dauerhafter Zuwanderung dar. So kamen 2009 knapp 50.000 Zuwanderer aus Ländern außerhalb der EU im Rahmen des Familiennachzugs nach Deutschland.
Von Prof. Dr. Klaus J. Bade Dienstag, 19.04.2011, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 21.04.2011, 3:31 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Es ist eine verbreitete Illusion, der Familiennachzug könne ähnlich gesteuert werden wie die Zuwanderung von Arbeitskräften. Familiennachzug findet statt und die gesetzlichen Handlungsspielräume zu seiner Steuerung sind mehr als eng, auch wenn dies politisch eher zähneknirschend zur Kenntnis genommen wird.
In diesem Zusammenhang gehört der Kampf um die 2007 eingeführte gesetzliche Erschwerung des Familiennachzugs durch die Pflicht zum bereits im Herkunftsland zu leistenden Nachweis von Mindestkenntnissen in der deutschen Sprache, der die bereits bekannten Kriterien des Nachweises von ausreichendem Einkommen und Wohnraum ergänzte. Diese Mischung aus Prävention und Restriktion wurde in der öffentlichen Diskussion vielfach als Widerspruch zum grundgesetzlich garantierten Schutz der Familie angegriffen.
„Die Intervention von 2007 war, bei Licht besehen, die konsequente Kehrseite eines stärker auf qualifizierte Zuwanderer ausgerichteten Migrationsmanagements. Problematisch und streitfördernd war, daß das, was viele wußten oder doch ahnten, amtlich nirgends so begründet wurde.“
Nach einem Verfahren, bei dem es um die besonderen Sprachprobleme einer türkischen Analphabetin ging, hat nun abschließend das Bundesverfassungsgericht entschieden: Der für die Nachzugsgenehmigung zu erbringende Nachweis einfacher Sprachkenntnisse ist mit dem Benachteiligungsverbot und dem Schutz der Familie im Grundgesetz vereinbar. Nötigenfalls müsse dem Sprachkurs ein Alphabetisierungskurs vorgeschaltet werden. Im Übrigen sei dem in Deutschland lebenden ausländischen Ehepartner zumutbar, die familiäre Einheit durch Besuche oder nötigenfalls auch zur Gänze im Ausland herzustellen. Die Rechtsprechung klingt mitunter brutal, aber sie hat die Aufgabe, möglichst klar und unmissverständlich zu urteilen. Das ist hier geschehen. Aber der öffentliche und politische Streit wird damit nicht zu Ende sein.
Die ebenso oft vorgetragene Vorstellung indes, daß die Maßnahme eine besondere deutsche Härte sei, ist falsch. Sprachtests im Herkunftsland gehören vielmehr heute zum europäischen Standardarsenal der Migrationspolitik. Die Intervention von 2007 war, bei Licht besehen, die konsequente Kehrseite eines stärker auf qualifizierte Zuwanderer ausgerichteten Migrationsmanagements. Problematisch und streitfördernd war, daß das, was viele wußten oder doch ahnten, amtlich nirgends so begründet wurde.
Die Diskussion wurde vielmehr verzerrt, weil die Restriktionen nicht offen als qualitativ intendierter Steuerungsversuch vorgestellt, sondern statt dessen mit der einseitig vorgeschobenen Förderung präventiver Integration und insbesondere mit der – notwendig als antiislamisch verstanden – Erschwerung von sogenannten Zwangsehen begründet wurden.
„Die Diskussion wurde verzerrt, weil die Restriktionen nicht offen als qualitativ intendierter Steuerungsversuch vorgestellt, sondern statt dessen mit der einseitig vorgeschobenen Förderung präventiver Integration und insbesondere mit der Erschwerung von sogenannten Zwangsehen begründet wurden.“
Hinzu kam, daß nicht alle Drittstaaten unter diese Regelung fielen, was den Diskriminierungsverdacht noch erhöhte. Das war ein gleich dreifacher Denkfehler: Er führte 1. die öffentliche Diskussion in eine falsche Richtung; er unterschätzte 2. den kritischen Informationsstand der Bürgergesellschaft und er laborierte 3. außerdem noch an einem wenig aussichtsreichen Experiment; denn die Visazahlen erreichten schon 2009 wieder annähernd das gleiche Niveau wie vor der Maßnahme (2009: 42.756 erteilte Visa). Anders gewendet: Die Liebe und die Goethe-Sprachkurse haben im Ergebnis die präventiven vor die restriktiven Intentionen treten lassen.
Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) hält in seinem am 13.4. in Berlin vorgestellten neuen Jahresgutachten (‘Migrationsland 2011‘) Angebote zur präventiven Integration im Ausgangsraum sowie zur begleitenden und nachholenden Integration im Aufnahmeland für in jedem Falle hilfreich, um die Eingliederung von nachziehenden Partnern zu erleichtern. In diesem Sinne solle die präventive Integrationsarbeit weiter beobachtet, evaluiert und nötigenfalls nachjustiert werden – aber eben nur als Angebot und nicht als restriktives, dysfunktionales und nur konfliktsteigerndes Steuerungselement.
Wenn man tatsächlich die transferverdächtige Familienzuwanderung von Unqualifizierten zu Unqualifizierten bremsen will, so könnte man hinzufügen, dann sollte man nicht Familienpolitik als Migrationspolitik zu betreiben suchen. Man sollte sich dann statt dessen durch geeignete Reformen in Sozial-, Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik sowie durch gezielten Qualifikationsdruck um die Verkleinerung der Zahl der Transferabhängigen kümmern und nicht zu Maßnahmen greifen, deren Begründung die ansonsten so vielbeschworene Familie ins Feindbild der Migrationspolitik geraten lassen. Aktuell Meinung
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„Hinzu kam, daß nicht alle Drittstaaten unter diese Regelung fielen, was den Diskriminierungsverdacht noch erhöhte. “
Ich glaube auch Herr Bade hat nicht verstanden, dass die Ungleichbehandlungen sich nicht nur nach der Staatsbürgerschaft des nachziehenden Ehegatten bezieht, sondern vor allem auf die Staatsbürgerschaft des in Deutschland lebenden Ehegatten. Das der Nachzug zu einem Deutschen Staatsbürger schwerer ist, als der Nachzug zu einem in Deutschland lebenden Japaner oder Amerikaner, kann weder mit Integrationspolitik noch mit Schutz vor Zwangsverheiratungen begründet werden. Das ist ohne Zweifel Diskriminierung und nicht nur ein Verdacht.
Im übrigen wird mal wieder deutlich, dass der Familiennachzug aus Drittstaaten mit rund 50.000 Personen pro Jahr im Vergleich zu der Einwanderung aus EU Ländern (mehrere hunderttausend) und im Verhältnis zur Einwohnerzahl von 80 Mio mittlerweile eher eine Randerscheinung ist. Von der ebenfalls zu beobachtenden Abwanderung ganz zu schweigen.
Udo hat Recht, die Diskriminierung von Deutschen gegenüber z.B. einem in Deutschland lebenden Japaner ist Fakt. Hoffentlich wird bald vor einem EU-Gericht geklagt.
Ein weitere Punkt bei dem Herr Bade falsche Behauptungen aufstellt „Sprachtests im Herkunftsland gehören vielmehr heute zum europäischen Standardarsenal der Migrationspolitik“. Es ist die Minderheit der EU-Länder, die Sprachtests im Herkunftsland fordern.
Ich bin verstimmt, wer dem „Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration“ vorsitzt.
Wie sieht MiGAZIN den Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration?
Interessant, mir scheint Herr Bade widerspricht dem Jahresgutachten des Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration. Dort wird sehr deutlich auf die Inländerdiskriminierung hingewiesen.
Ich zitiere:
„Im Bereich des Ehegattennachzugs entsteht damit
die paradoxe Situation, dass Deutsche vor allem gegen-
über Unionsbürgern rechtlich schlechtergestellt sind, hier
liegt also eine Inländerdiskriminierung vor.“
und
„Unionsrechtlich ist die Inländerdiskriminierung nach
der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht
zu beanstanden, da der Nachzug zu Deutschen grund-
sätzlich ein rein nationaler Sachverhalt ist, für den das
Unionsrecht nicht angewendet wird. Problematisch könn-
te sie aber im Hinblick auf die völkerrechtliche Verpflich-
tung sein, Ehe und Familie ohne jede Diskriminierung zu
schützen (Art. 8 und 14 EMRK). Art. 8 EMRK schützt das
Familienleben; dies kann im Einzelfall auch bedeuten,
dass daraus ein Recht auf Herstellung der Familieneinheit
folgt.“
und
„Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt,
dass die Begünstigung eigener Staatsangehöriger und
Angehöriger von Staaten, mit denen besonders enge
Beziehungen bestehen, gegenüber anderen Ausländern
grundsätzlich zulässig ist. Umstritten ist aber, wie vor
diesem Hintergrund die Schlechterstellung der eigenen
Staatsangehörigen gegenüber Ausländern und Unions-
bürgern gerechtfertigt werden kann.“
Quelle, Seite 108
http://www.svr-migration.de/wp-content/uploads/2011/04/jg_2011.pdf
Inländerdiskriminierung ist nichts außergewöhnliches. Das Reinheitsgebot für deutsches Bier stellte juristisch auch eine Form von Inländerdiskriminierung dar. Rechtlich kein Problem. Im übrigen kennen Frankreich, die Niederlande, Großbritannien, Dänemark, bald auch Österreich und vermutlich Belgien und damit alle wichtigen Zuzugsländer solche Sprachtests im Herkunfts