Türkei
Rücktritt der Armeeführung – Sieg für die Demokratie?
Vergangenen Freitag ist die Militärführung der Türkei geschlossen zurückgetreten. Der Kampf zwischen Militär und Regierung scheint damit entschieden.
Von Hakan Demir Dienstag, 02.08.2011, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 05.08.2011, 3:13 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Während in Europa der Grundsatz gilt, dass das Militär sich den zivilen Autoritäten völlig zu unterwerfen hat, etablierte sich in der Türkei aus historischen Gründen eine völlig andere Sichtweise. Diese sah ein starkes Militär vor, das die Aufgabe hat, die territoriale Integrität und die säkulare Staatsstruktur sowohl gegen innere als auch äußere Feinde zu schützen.
Das Militär als Hüter des Staates
Zum Schutz des Staates hat das Militär bereits dreimal gegen die Zivilregierungen geputscht (1960, 1971, 1980) und sich selbst jedes Mal eine gewichtigere Rolle in der Verfassung zugesichert. Doch nun scheint die Macht des Militärs gebrochen zu sein. Der Rücktritt des Generalstabschefs Işık Koşaner und seiner Generäle ist das Symbol für die offenkundige Machtlosigkeit des Militärs. Dieses konnte nicht seinen Einfluss gegen die Verhaftungswellen von Offizieren, die in den vergangenen Tagen überhandgenommen haben, geltend machen.
Zurzeit sind rund 250 Generäle, Admirale und Offiziere in Haft, von denen einige durch den Obersten Militärrat (YAS) der Türkei dieser Tage befördert werden sollten. Die Regierung sah hingegen eine vorzeitige Versetzung in den Ruhestand für angemessener an. Vor diesem Hintergrund hat Koşaner keine Grundlage mehr für eine Zusammenarbeit mit der Regierung gesehen und beklagte sich über die „ungerechtfertigten Inhaftierungen und die ständigen öffentlichen Angriffe auf die Sicherheitskräfte“.
Zivilisierung des Militärs
Dabei begann der Machtverlust des Militärs bereits zwischen 1999 und 2004. Hier wurde der Nationale Sicherheitsrat (MGK), der die Sicherheit im Land definierte und der Regierung gezielte Anweisungen erteilen konnte, stark geschwächt. Er ist nunmehr ein beratendes Organ, in dem nun die Anzahl der Zivilisten höher ist als die der Militärangehörigen.
Ebenfalls konnte die Militärgerichtsbarkeit zurückgedrängt werden. Während zuvor noch Zivilisten vor Militärgerichte gestellt werden konnten, ist dies nun in Friedenszeiten nicht mehr möglich. Darüber hinaus wurde der Einfluss der Gendarmerie erheblich beschnitten, indem ihre Aufgaben in 31 Städten auf die Polizei übertragen wurden. Dieser Zivilisierungsprozess wurde auch maßgeblich von der EU mitgetragen, die die Schwächung des Militärs als Vorbedingung für einen möglichen Beitritt erklärte. Hierbei wird der AKP-Regierung von Erdoğan jedoch nachgesagt, die EU lediglich als „Reformanker“ zu benutzen, um ihre Macht zu stärken.
Bedeutung für die Demokratie
Grundsätzlich ist die Schwächung des Militärs zugunsten der zivilen Autoritäten zu begrüßen und ist auch ganz im Geschmack der EU, die seit zehn Jahren eine Zivilisierung des Militärs in der Türkei fordert. Interessant ist nun jedoch, was Erdoğan mit dieser gewonnenen Macht anstellt. Denn er liebäugelt schon längere Zeit mit dem Präsidentenamt, das jedoch in seiner jetzigen Funktion eher eine kleine Rolle im politischen System der Türkei besitzt. Daher möchte Erdoğan dieses Amt mit größerem Einfluss versehen. Da hierzu jedoch eine Zwei-Drittel-Mehrheit notwendig ist, wird er sich noch gedulden müssen.
Dabei besitzt Erdoğan bereits jetzt erheblichen Einfluss: Seine Partei kontrolliert das Parlament, das Militär ist geschwächt und die Justiz ist zumindest gespalten. Die Macht liegt also größtenteils in der Hand eines einzigen Mannes und das könnte für die künftige Demokratisierung des Landes eher ein Hindernis sein denn ein Gewinn. Aktuell Ausland
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Na, da kann ja aus dem „kleinen“ Adolf („Führer der Welt“ lässt er sich von seinen Anhängern nennen) endlich ein großer Adolf werden. Unter dem Deckmantel der Demokratisierung hatte er bereits Polizei, Justiz und Medien weitgehend gleichgeschaltet. Insgesamt 68 unliebsame Reporter, wie Ahmed Sik, sitzen in Haft, nur weil sie ihre Arbeit gemacht haben. Frauen wurden aus öffentlichen Ämtern gedrängt. (z.B. ist, laut der ehemaligen Obersten Richterin von Ankara, Emine Ülker Tarhan, der Anteil weiblicher Richter an Verwaltungsgerichtshöfen innerhalb eines Jahres von 36 % auf unter 2 % gesunken).
Von den wegen Ergonekon inhaftierten Militärangehörigen sitzen viele ohne offizielle Anklage im Gefängnis obwohl erwiesen ist, dass durch Polizei und Staatsanwaltschaft Beweise manipuliert wurden.
und, und, und………
Erdogan wird den Zug „Demokratie“ nun bald verlassen. Die Weichen sind gestellt. 1933 lässt grüßen.
@Joachim: Na-ja..!
Sie übermalen die politische Führung des Erdogan mit der Geschichte des Nationalsozialismus, was dem Kommentar nicht gerade einen glaubwürdigen Rahmen anbietet.
Ich finde die Analyse von Hakan Demir sehr gelungen, insbesondere der Absatz:
„Dabei besitzt Erdoğan bereits jetzt erheblichen Einfluss: Seine Partei kontrolliert das Parlament, das Militär ist geschwächt und die Justiz ist zumindest gespalten. Die Macht liegt also größtenteils in der Hand eines einzigen Mannes und das könnte für die künftige Demokratisierung des Landes eher ein Hindernis sein denn ein Gewinn.“
Denn dieser Gedanke, nämlich die Konzentration von Macht und staatlicher Gewalt und deren künftige Umgang damit, wird offenbaren, ob die Demokratie in der Türkei gefördert oder eben ausgeschaltet wird.
Erdogan und die elitäre Spitze der Türkei müssen verstehen und müssten eigentlich schon verstanden haben, dass das Aufkommen der Türkei als militärische, politische und ökonomische Macht in der Region dem Liberalismus geschuldet ist. Bis 1980 war die Türkei eine Planwirtschaft. Die erste zivile Regierung unter Özal nach dem Militärputsch hat Wirtschaftsbereiche wie die Telekommunikation und Medien privatisiert und liberalisiert, wodurch sie zu wichtigen, systemrelevanten Treibern in der türkischen Ökonomie wurden. Auf ähnliche Weise kann man dies auch in China beobachten.
Wenn Erdogan und die elitäre Spitze in der Türkei eine führende Macht in der Region sein möchten, müssen sie eine „offene“ Gesellschaft anstreben. Und eine offene Gesellschaft hat kein fokales Machtzentrum.
Nichtsdestotrotz beobachte nicht nur ich mit Sorge den Umgang mit den Journalisten und der Pressefreiheit in der Türkei.
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Es ist fraglich, dass die AKP die Machtkonzentration dazu nutzen wird, eine offene Gesellschaft zu formen. Ihre bisherigen Aktivititäten – insbesondere im Medienbereich – sprechen eine deutliche Sprache: Unliebsame Journalisten und Zeitungen werden mit Geldstrafen (in Form von Steuernachzahlungen oder Rufmordklagen) überzogen. Jetzt sind in den privaten Nachrichtensendern nur noch speichelleckende Hofjournalisten übriggeblieben. Kritische Beiträge werden immer seltener, die AKP gewinnt die Überhand in der öffentlichen Meinung.
Die Machtkonzenztration à la turka weist eine erschreckende Richtung auf: Die Gesetze und Debatten ähneln immer mehr denen in Russland – willkommen im autoritären Putinland.