Ein Fremdwoerterbuch
Ist die Revolution bereits verloren?
"Die Revolution ist fast verloren", sagt Mahmoud. Die drei großen Strömungen - Salafiten, Muslimbrüder und Säkulare - hätten die Revolution an sich gerissen, um Politik für die eigene Sache zu machen.
Von Kübra Gümüşay Donnerstag, 11.08.2011, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 15.08.2011, 2:28 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Es ist Nacht in Kairo. Ich stehe auf dem hell erleuchteten Tahrirplatz. Es ist laut. Überall sind Podeste aufgestellt, auf denen Frauen und Männer Reden halten, wild gestikulieren – das Publikum hört aufmerksam zu, ruft rein oder beklatscht die Redner. Überhaupt stehen überall Menschen herum, die diskutieren, sich fotografieren lassen, ägyptische Fahnen kaufen. Zwischendurch umkreist eine Protestgruppe den Platz und ein Meer von Handykameras wird gezückt.
Dann entdecke ich die Bilder der Opfer des Mubarak-Regimes, sie bilden eine lange Straße auf dem Boden des Tahrirplatzes. Menschentrauben umringen die Bilderstraße und gehen sie der Reihe nach durch.
Inmitten des bunten Getümmels stehen große weiße Zelte, mit denen Aktivisten und Demonstranten, vor allem aber Angehörige von Opfern, seit Wochen den Platz besetzen und Gerechtigkeit für die Opfer fordern. In einem der Zelte treffen wir auf Mahmoud, einen pensionierten Physiker mit weißem Rauschebart und langem traditionellen Gewand. „Ich weiß, ich sehe aus wie ein Salafi“, sagt er auf Englisch und lacht. „Bin ich aber nicht.“ Routiniert fängt Mahmoud gleich an zu erzählen, warum sie den Platz besetzen.
„Die Revolution ist fast verloren“, sagt Mahmoud. Die drei großen Strömungen – Salafiten, Muslimbrüder und Säkulare – hätten die Revolution an sich gerissen, um Politik für die eigene Sache zu machen. Keine aber vertrete tatsächlich das Volk. „Und wem gehörst du an?“, will ich wissen. Er guckt mich erstaunt an: „Ich bin Mahmoud, einfach nur Mahmoud.“ Die Besetzer seien keine Parteivertreter, sondern einzelne Aktivisten und Angehörige der Opfer, erklärt er.
„Wir alle werden diesen Platz nicht verlassen, bevor unsere Forderungen nicht erfüllt werden.“ Mubarak und seine Leute müssten bestraft, Gerichtsverfahren gegen die Polizisten, die folterten und mordeten, eröffnet und das Innenministerium und die Polizei neu besetzt werden, erklärt Mahmoud. Wir reden noch lange weiter, bevor ich mich bedanke und durch die kleine Zeltstadt mit ihren bunt bemalten Zeltwänden und provisorischen Unterkünften wandere.
Einige Tage später wird der Tahrirplatz von der Armee plötzlich gewaltsam geräumt. Nichts steht jetzt noch dort. Ich telefoniere mit meiner Freundin Mai, die wie viele andere Ägypter mit der Revolution zur Aktivistin wurde. Hundert Personen wurden festgenommen, unter anderem eine gemeinsame Freundin von uns, die BBC-Journalistin Shaimaa Khalil, die mittlerweile wieder entlassen wurde. Ich verstehe nicht. Warum schreit die Bevölkerung nicht auf?
„Die Besetzer hatten schon lange den Rückhalt in der Normalbevölkerung verloren“, erklärt Mai mir. Durch öffentliche Spenden an Angehörige der Opfer stellte die Armee die Bevölkerung zufrieden – die Besetzer wurden hingegen immer unbeliebter. „Die Besetzer haben ihre Forderungen nicht gut genug kommuniziert und viele Fehler gemacht“, sagt Mai am Telefon und schließlich verzweifelt: „We’re screwed.“ Und ich kann nichts tun, nur berichten, was ich höre und sehe. Aktuell Meinung
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Vielleicht kommt erst die Guillotine, dann die normale Entwicklung? Es war zuerst eine politische Revolution, nicht eine religiöse Revolution. Einige Menschen versuchen die Gust der Stunde auszunutzen. Die werden wahrscheilich enttäuscht sein., wenn sie den Rückhalt in der Normalbevölkerung verloren.
Das werden die Sieger der Revolution anders sehen:“Die Revolution ist fast gewonnen.“ Sie müssen sich jetzt nur noch durch Wahlen legitimieren lassen. Und danach solte die Säkularen schauen, wie sie sich retten können. Einfach die Geschichte der iranischen „Revolution“ nachlesen:
„Was für einer Interpretation der Ereignisse von 1979 man auch immer anhängen mag, so bleibt doch die Tatsache, dass es den Massen gelang die Monarchie zu stürzen, und sich hinterher ihres
Kampf beraubt wiederzufinden – durch ein theokratisches Regime, welches einen noch bösartigeren Polizeistaat etablierte, der ein noch reaktionäreres kapitalistisches System verteidigt.“
http://www.socialist-forum.com/manabe/SalethTorab/TorabSaleth_30thAnniversaryIranRev79_german.pdf
Eine bemerkenswerte Portion Realismus, die Frau Gümüsay hier an den Tag legt. Da aber Gerechtigkeit Barmherzigkeit und Toleranz zu den grundlegenden Wesensmerkmalen des Islam zählen, kann ich die Besorgnis zwischen den Zeilen über die bevorstehende Machtübernahme der Religiösen nicht so richtig nachvollziehen.
Aber wenn es soweit ist, dann ist genau das Demokratie: Die Mehrheit sagt den Minderheiten wo’s lang geht. Keine Sorge: Es gelten immerhin noch die Kairoer Menschenrechte. Ist doch selbstverständlich in einem Land in dem die überwiegende Mehrheit für eine Rechtsprechung entlang der Scharia eintritt.