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Ingrid Tucci

Politischer und medialer Diskurs mitursächlich für Kulturalisierung

Die Ergebnisse der DIW-Studie "Fremdenfeindlichkeit und Einstellungen zur Einbürgerung" zeigen eine Kulturalisierung der Grenzen zwischen Deutschen dem Fremden. Mitursächlich dafür ist der politische und mediale Diskurs. Dr. Ingrid Tucci, die Autorin der Studie, im Gespräch mit dem MiGAZIN.

Freitag, 05.08.2011, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 09.08.2011, 2:41 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Im Jahr 2009 bejahten fast 80 Prozent der Deutschen die Frage, ob die Bundesrepublik ein Einwanderungsland ist. „Daran hat im Übrigen auch die in den Medien hitzig geführte Debatte um Thilo Sarrazins Buch ‚Deutschland schafft sich ab‚ nichts geändert. Auch wenn die ethnische Diversität für Deutsche mittlerweile ganz offenbar zur Realität gehört, haben Forderungen nach ziviler und kultureller Anpassung im letzten Jahrzehnt stark zugenommen; dies ist eine Entwicklung, die in ihren Implikationen schwierig zu beurteilen ist“, so Ingrid Tucci, die Autorin der DIW-Studie „Fremdenfeindlichkeit und Einstellungen zur Einbürgerung. Das MiGAZIN sprach mit ihr:

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Frau Dr. Tucci, Sie haben die Einstellungen der Deutschen zur Einbürgerung und Fremdenfeindlichkeit untersucht. Welche Voraussetzungen muss ein Ausländer heute erfüllen, um die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen zu können?

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Ingrid Tucci: 1999 gab es eine wichtige Reform des Staatsangehörigkeitsrechts in Deutschland, und das hat wichtige Veränderungen mit sich gebracht. Zum einen wurde das sogenannte Geburtsortsprinzip eingeführt. Das heißt, dass in Deutschland geborene Kinder von Migranten auch automatisch deutsch werden. Aber sie müssen sich dann in vielen Fällen bis zum Alter von 23 Jahren entscheiden: entweder für die deutsche Staatsbürgerschaft oder für die Staatsbürgerschaft des Herkunftslandes ihrer Eltern. 1999 wurde die notwendige Aufenthaltsdauer für Migranten von 15 auf acht Jahre reduziert. Und 2007 wurden dann neue Kriterien eingeführt, wie zum Beispiel das Bekenntnis zum Grundgesetz, die ausreichende Beherrschung der deutschen Sprache oder auch das Bestehen eines Einbürgerungstests.

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Traditionell galt in Deutschland die Abstammung als wichtigstes Kriterium. Hat sich das geändert?

Tucci: Ja. Wir stellen in unserer Studie fest, dass zwischen 1996 und 2006 die Forderung nach kultureller Anpassung bei den Befragten an Bedeutung gewonnen hat. Das betrifft Kriterien, wie zum Beispiel die Anpassung an den deutschen Lebensstil oder auch die Beherrschung der deutschen Sprache. Dagegen sind die sogenannten ethnischen Voraussetzungen, wie die Geburt in Deutschland oder auch die deutsche Abstammung weniger wichtig, als sie es früher waren. Man kann sagen, dass es seit Mitte der 90er Jahre eine Kulturalisierung der Grenzen gibt, sozusagen zwischen „wir“ als Deutsche und „den Anderen“, also den als fremd wahrgenommenen Personen. Interessant ist, dass Personen, die dieser Forderung nach kultureller Anpassung stark zustimmen, genauso starke fremdenfeindliche Einstellungen aufweisen, wie Personen, die die ethnische Abstammung als besonders wichtig erachten.

„Die Ergebnisse unserer Studie sprechen aber ganz klar für eine Kulturalisierung der Grenzen zwischen Deutschen und die als „Fremd“ wahrgenommenen Migranten auf der Ebene der Einstellungen. In diesem Prozess spielt auch der politische und mediale Diskurs eine Rolle.“

Was ist gemeint, wenn man vom „deutschen Lebensstil“ redet?

Tucci: In einer standardisierten Befragung ist es unklar, was die Befragten darunter verstehen werden: ob sie das Erlernen der deutschen Sprache oder die Anerkennung von im Grundgesetz verankerten Werten wie der Gleichberechtigung von Mann und Frau verstehen oder aber auch eine kulturelle Assimilation.

Könnte man das Verlangen nach dem „deutschen Lebensstil“ nicht als ausländerfeindlich einstufen, weil darin gleichzeitig auch die Ablehnung des „anderen, fremden Lebensstils“ verbunden ist?

Tucci: Die Forderung nach einer Anpassung an dem „deutschen Lebensstil“ ist hoch korreliert mit der Forderung nach der Beherrschung der deutschen Sprache aber auch mit der Forderung nach einer ökonomischen Unabhängigkeit. All dies bezieht sich auf das zivil-kulturelle Verhalten der potenziellen „neuen“ Deutschen.

Das Interessante ist: Befragte, für die das Verhalten für eine Einbürgerung sehr wichtig ist, genauso häufig stark
fremdenfeindliche Einstellungen aufweisen, wie Personen, für die die traditionellen „ethnischen“ Kriterien wie z.B. die deutsche Abstammung, wichtiger sind.

Aus der Studie geht hervor, dass Gesetzesänderungen der vergangenen Jahre Einfluss auf die Einstellung der Deutschen zur Staatsangehörigkeit gehabt haben könnten. Welchen Anteil hat der Gesetzgeber Ihrer Meinung nach daran, dass heute vermehrt ein „deutscher Lebensstil“ gefordert wird?

Tucci: Wir können auf Basis der Daten, die wir ausgewertet haben, leider keinen direkten Zusammenhang zwischen den institutionellen Veränderungen und den Einstellungen der Deutschen herstellen. Die Ergebnisse unserer Studie sprechen aber ganz klar für eine Kulturalisierung der Grenzen zwischen Deutschen und die als „Fremd“ wahrgenommenen Migranten auf der Ebene der Einstellungen. In diesem Prozess spielt auch der politische und mediale Diskurs eine Rolle.

Wie stehen denn die Deutschen zur Zuwanderung?

Tucci: Im Jahr 2009 gibt es weniger Personen, die sich starke Sorgen über die Zuwanderung machen, als Personen, die diesbezüglich sorgenfrei sind.

Die Deutschen haben also im Allgemeinen weniger Angst vor Zuwanderung?

Tucci: Genau! Wir haben uns auch den Zeitverlauf von 1999 bis 2009 angeguckt und da sehen wir, dass der Anteil an Menschen, die sich starke Sorgen über die Zuwanderung machen, gesunken ist. Was wir allerdings auch sehen ist, dass die Sorgen über die Zuwanderung und die Einstellung gegenüber der Zuwanderung starke Schwankungen aufweisen.

Wie sieht es bei der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland aus? Hat sie zu- oder abgenommen?

Tucci: Wir stellen fest, dass sich die Zahl der Personen, die stark fremdenfeindlich sind, zwischen 1996 und 2006 verringert hat. Der Anteil dieser Personen war früher in Ostdeutschland höher als in Westdeutschland. Im Jahr 2006 aber unterscheiden sich diese Zahlen weniger. Wir beobachten also, dass sich der Anteil der Menschen in Ost und West, der stark fremdenfeindlich ist, angeglichen hat. Insgesamt hat sich das Niveau der Fremdenfeindlichkeit tendenziell leicht verringert.

Das klassische Stammtischargument war lange: „Die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg!“ Gilt dieses Denken auch heute noch?

Tucci: Ja, für manche Menschen mag das noch zutreffen. Aber wir sehen in den Daten, dass zwischen 1996 und 2006 immer weniger Befragte dieser Aussage stark zustimmen. Das heißt, für viele Menschen ist das kein Argument mehr. Immerhin sind 80 Prozent der Befragten der Meinung, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. (DIW/MiG) Aktuell Interview

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