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Aygül Özkan

„Ein Wir-Gefühl kann man nicht staatlich verordnen“

Was muss man tun, damit Integration gelingt, wo liegen die Hürden und was sollten Migranten nicht tun? Niedersachsens Sozial- und Integrationsministerin, Aygül Özkan (CDU), in der wöchentlichen MiGAZIN Interview-Reihe: “Warum engagieren Sie sich für Integration in Deutschland?”

Von Mittwoch, 10.08.2011, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 03.03.2016, 15:43 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Fatih Köylüoğlu: Warum engagieren Sie sich für die Integration in Deutschland?

Aygül Özkan: Integration ist ein Zukunftsthema, und es ist ein Schlüssel für den Erfolg Deutschlands. Wir müssen die Potenziale der hier lebenden Menschen erkennen und fördern. Wenn wir die Menschen mit Migrationshintergrund nicht mit aller Kraft integrieren und einbinden, werden wir international ganz schnell ins Hintertreffen geraten.

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Köylüoğlu: Was sollen andere (Menschen, Organisationen etc.) tun, damit Integration gelingt?

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Özkan: Die deutsche Sprache ist der Schlüssel zur Integration. Kindergärten und Schulen sind die Orte, an denen unsere Gesellschaft zusammenwächst. Hier wird das Fundament für die Zusammengehörigkeit gelegt, hier werden die Weichen für den sozialen Aufstieg gestellt. Integration gelingt oder scheitert im Kleinen: im privaten Umfeld, im Verein, im Kindergarten, in der Schulklasse, in der Elternversammlung, in der Nachbarschaft. Und da sind wir alle gefordert. Nötig sind zudem mehr Ausbildungsplätze für benachteiligte Jugendliche und jugendliche Migrantinnen und Migranten. Politik und Wirtschaft sollten einen Ausbildungspakt für Jugendliche mit Migrationshintergrund ernsthaft erwägen.

Wir brauchen auch weitere Vorbilder, die gelungene Integration vorleben. Nicht nur an prominenten Plätzen. Auch im Kleinen, im Alltag. Sie veranschaulichen, dass es sich lohnt, sich einzubringen, Elternabende zu besuchen, Kinder in die KiTa zu geben.

Köylüoğlu: Haben Sie Beispiele, was man innerhalb der Partei tun könnte, um Integration und politische Partizipation von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte voranzutreiben?

Özkan: Die Mehrheit in der Union weiß, dass wir ein gutes Zuwanderungsrecht haben, in dem Integrationskurse und andere –maßnahmen festgeschrieben sind. Die Integrationsdebatte ist dann hilfreich und gut, wenn sie viele Aspekte auch auf den Punkt bringt. Ich sehe diese Debatte auch als Chance, meine Erfahrungen einzubringen.

Köylüoğlu: Wo liegen Ihrer Meinung nach noch konkret die Hürden?

Özkan: Es ist uns nicht gelungen, alle Kinder und Enkelkinder der damaligen Gastarbeiter so in die Gesellschaft zu integrieren, dass sie die gleichen Chancen auf die Entwicklung ihrer Fähigkeiten nutzen konnten. Dass diese Menschen weniger begabt seien als andere, ist unwahr. Dass sie zu wenig gefördert und gefordert worden sind, ist sicherlich richtig.

Auch haben wir noch immer eine Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt. Hier müssen wir uns an die eigene Nase fassen. Wenn wir die Bewerbungsunterlagen auf dem Tisch haben, schauen wir auf das Aussehen und den Namen. Wir müssen stärker dafür sorgen, dass ethnische Vielfalt als Bereicherung erlebt wird, nicht als Manko.

Köylüoğlu: Welche Aufgaben sollten Europa, Bund, Länder und Kommunen übernehmen?

Özkan: Ich befürworte den Vorstoß der Bundesregierung, Zuwanderer mit individuellen Integrationsvereinbarungen stärker in die Pflicht zu nehmen. Klar ist, in unserer älter werdenden Gesellschaft können wir in Zukunft sehr wahrscheinlich den Arbeitskräftebedarf nicht mit den auf dem heimischen Markt zur Verfügung stehenden Kräften decken. Deshalb ist eine gezielte Zuwanderung an Arbeitskräften für bestimmte Branchen sinnvoll. Wir müssen klare Kriterien aufstellen, wer hierherkommen darf: etwa Fachkräfte mit festem Jobangebot und einem bestimmten Mindesteinkommen im Jahr, das zu Beginn auch nicht exorbitant hoch sein darf. Darüber hinaus müssen wir schon früh mit der individuellen Förderung der Kinder beginnen. Sprachaneignung und Sprachentwicklung gelingen am besten, je früher mit der Förderung begonnen wird. Hier sind vor allem die Länder gefordert. In Niedersachsen kontrollieren wir bei allen Kindern im Alter von viereinhalb Jahren, wer der deutschen Sprache mächtig ist. Alle Kinder, deren Deutschkenntnisse nicht altersgerecht sind, bekommen sprachliche Förderung, damit sie bei Schuleintritt gleiche Chancen haben.

Köylüoğlu: Was sollten sie nicht tun?

Özkan: Ich bin zum Beispiel absolut gegen türkische Schulen in Deutschland. Integration wird damit nicht gefördert, sondern behindert, denn die deutsche Sprache ist und bleibt der Schlüssel zur Integration. Darüber hinaus teile ich nicht die Auffassung, dass wir bei der Zuwanderung nach Nationalitäten, Herkunftsländern oder Religionszugehörigkeit trennen können.

Köylüoğlu: Können Sie sich vorstellen, wie Menschen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte in 10 Jahren zusammenleben? Zukunft Integration.

Özkan: Ein Wir-Gefühl kann man nicht staatlich verordnen. Es entsteht in der gemeinsamen Bewältigung des Alltags. Toleranz und Respekt gehören ebenso dazu, wie Offenheit und klare Worte.

Kindergärten und Schulen sind die Orte, an denen unsere Gesellschaft zusammenwächst. Hier wird das Fundament für die Zusammengehörigkeit gelegt, hier werden die Weichen für den sozialen Aufstieg gestellt. Ich glaube, dass viele Konflikte, zum Beispiel beim Bau von Moscheen, gar nicht erst entstehen würden, wenn im Vorfeld eine bessere Kommunikation und Abstimmung erfolgt und ein wirklich gutes nachbarschaftliches Zusammenleben stattfindet. Wir müssen einfach anfangen, von beiden Seiten aufeinander zuzugehen, offener zu sein und mehr voneinander zu lernen. Das wünsche ich mir für die Zukunft. Versöhnende Vielfalt ist immer besser als Einfalt.

Die Entwicklung der letzten Jahre zeigt: Die Integration schreitet voran, deutsche Sprachkenntnisse bessern sich, immer mehr Migrantinnen und Migranten übernehmen Verantwortung in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Diesen Weg müssen wir weitergehen. Die Gesellschaft muss sich noch stärker als bisher in allen Bereichen auf die Menschen mit Migrationshintergrund einstellen und interkulturell öffnen. Die Bevölkerungsstruktur verändert sich nicht nur altersmäßig, sondern auch hinsichtlich des Anteils der Menschen mit Migrationshintergrund. Ich betone gern, dass es nicht wichtig ist, woher man kommt, sondern wohin man will. In diesem Sinne sind in Deutschland geborene und zugewanderte Menschen nicht Rivalen, sondern Partner im Deutschland der Zukunft.

Köylüoğlu: Welche Erlebnisse und Erfahrungen haben Sie mit dem Thema „Integration“?

Özkan: Für mich hat immer das Positive überwogen. Ich habe mich in meinem unmittelbaren Umfeld der Familie, im Freundeskreis und in der Schule immer geborgen und sicher gefühlt. Aktuell Interview

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