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Reportage

Von Bildung und Hunger, dem Menschenrecht und dem Glück

Das Bild vom Glück hat vermutlich viele Gesichter. Das Gesicht des Hungers ist immer gleich. Eine dünne Haut, die am kleinen Körper klebt, zarten Knochen, deutlich hervorgetreten, die matten Augen in den Höhlen versenkt - Reportage über die Arbeit von Franz Josef Kuhn, Vorsitzender der „abc-Gesellschaft“.

Von Donnerstag, 01.09.2011, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 05.09.2011, 2:07 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Wir alle kennen diese Bilder. Zu genüge, leider. Das große Sterben findet auch abseits von Kriegsschauplätzen statt. Eine Milliarde Menschen hungern weltweit. Alle drei Sekunden stirbt ein Mensch – ganz banal an Hunger. Meist Kinder. Häufig Frauen. Die meisten Hungerleidenden leben in Asien und überwiegend in Afrika. Armut, politische Instabilität und Konflikte verschärfen das Hungerleiden. Selbst der Klimawandel, den wir mit unseren Industriestaaten mitzuverantworten haben, forciert Hungerkatastrophen. Dürre und Überschwemmungen vernichten abwechselnd die Ernte, mit entsprechenden Folgen. Konnte Afrika noch in den 60er Jahren mit seinem Nahrungsüberschuss andere Kontinente beliefern, so müssen sie heute ein Drittel ihres Getreidebedarfs importieren.

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Firoze Manji, Direktor der Organisation Fahamu, der sich für soziale Gerechtigkeit in Afrika engagiert, malt ein düsteres Bild. „Es ist absehbar, dass in Afrika die Menschen aufgefordert werden, ihre Gürtel künftig enger zu schnallen. Unglücklicherweise haben viele von ihnen ihre Gürtel gestern bereits gegessen.“

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Durchbrechen der Teufelsspirale
„Ein voller Bauch studiert nicht gern,“ sagen wir. Ein hungriger Bauch erst recht nicht – Fakt. Dennoch nehmen viele hungernde Kinder diesen kräftezehrenden Fußmarsch zur Schule auf sich, genauso wie das tägliche Wasserholen. Einem Hungernden kann man kein Buch in die Hand drücken, aber Almosen werden die Armut nicht beenden, nicht wirklich. Nur Bildung durchbricht diese Teufelsspirale und bewahrt Leben – langfristig.

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Die Studie des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP) konnte nachweisen, dass bei Mädchen, die eine Schule besuchen, das Risiko, später selbst ein unterernährtes Kind zu bekommen, um bis zu 40 Prozent sinkt.

Um das Hungerleiden zu bekämpfen, hat sich das UN-Millenniumprojekt ein ehrgeiziges Ziel gesetzt. Bis zum Jahre 2015 sollen alle Kinder dieser Welt eine Grundschule besuchen können. Dafür braucht man die Kooperation von Nichtregierungsorganisation (NRO), aber viele arbeiten uneffizient und Spendengelder versickern in hausinternem Verwaltungsapparat.

Mehr zur „abc-Gesellschaft zur Förderung des Lesen- und Schreibenlernens in der 3. Welt e.V.“ gibt es unter abc-gesellschaft.de

Nicht jedoch bei der „abc-Gesellschaft“ die zur Förderung des Lesen- und Schreibenlernens in der 3. Welt gegründet wurde. Franz-Josef Kuhn, Vorsitzender dieses gemeinnützigen Vereins, der sich seit über fünfunddreißig Jahren in der Dritten Welt erfolgreich engagiert, achtet penetrant darauf, dass Spendengelder direkt in Schulen und Unterrichtsmaterialien einfließen. Es gibt keine Werbungs- und Verwaltungskosten. Und anfallende Reise- als auch Hotelkosten werden stets persönlich getragen. Bei anderen NRO verschlingen allein diese Kosten immerhin dreißig bis fünfzig Prozent der Spenden. Es ist ein komplettes Bildungspaket, das Franz-Josef Kuhn gemeinsam mit anderen Experten entwickelt und realisiert hat. Kindergärten, Werkstätten, Brunnen, Lehrerhäuser und Bibliotheken werden errichtet. Unterrichtsmaterialien, die speziell auf die Bedürfnisse einzelner Schülergruppen (Kinder- und Erwachsenenbildung) ausgerichtet sind, wurden entwickelt, und natürlich werden Primar- und Sekundarschulen gebaut, weltweit.

Über 32 000 Lehrer fortgebildet
Allein in Malawi haben dadurch 2200 Kinder endlich eine Schule. Vier Schulen sind in dem bitterarmen Malawi fertig und völlig überfüllt. Die fünfte Schule bereits in Bau. Aber auch Lehrer werden beschult. Durch die „Lehrerwander-Akademie“ konnten in Südamerika bereits über 32 000 Lehrer fortgebildet werden. Auch die erste Indianer-Universität mit drei Fakultäten für Pädagogik, Agroökologie und Recht ist in Südamerika gebaut und eingerichtet worden.

Gemeinsam mit der abc-Gesellschaft kämpft Franz-Josef Kuhn für Bildung und Wissen und für geltendes Menschenrecht, entsprechend der UN Konventionen von 1948. „Bildung ist ein Menschenrecht. Bildung ist hier wie dort der Weg zur Integration und zum sozialen Aufstieg. Man weiß, dass Bauern mit Schulbildung bis zu 20 Prozent mehr erwirtschaften! „Durch Bildung lässt sich der Teufelskreis von Unwissenheit, Armut, Hunger, Krankheit – Aids – und Kindersterblichkeit durchbrechen“, betont Franz-Josef Kuhn.

Solch erfolgreiche Arbeit bleibt natürlich nicht ungesehen. Mit zahlreichen Ehrungen, dem Bundesverdienstkreuz, ausländischen Orden und Staats-Preisen wurde Franz-Josef Kuhn geehrt und von der Konföderation der Indigenen Völker von Ecuador, zum Botschafter für Europa ernannt. Das alles sei „schön, aber nicht wirklich wichtig“, bemerkt er. „Die wirklich zu Ehrenden sind die, die in der so genannten 3. Welt unter schwierigsten Umständen ihre Familien mit Anstand und Würde durchbringen und unter größten Opfern ihre Kinder voranbringen. Und bei uns z.B. die Menschen, die ihr schwerbehindertes Kind über die Hürden bringen, oder Familien, die ihre bettlägerigen Eltern bis zum Ende liebevoll pflegen, allen Beschwernissen und Widrigkeiten zum Trotz, oder Menschen, die in Hospize gehen oder im Altersheim helfen.“

Bewusstmachungsprozess
Angefangen hat alles mit Farsi und dem Pilotprojekt für Alphabetisierung Erwachsener in Persien zu Schah Rezas Zeiten, erinnert sich Kuhn zurück. Als Khomeini kam war radikal Schluss damit. Kuhn arbeitete daraufhin in Südamerika, lernte Paolo Freire kennen, den Befreiungspädagogen. Von ihm übernahm er den „Bewusstmachungsprozess“ als Vorraussetzung der persönlichen Veränderung – d.h. du sollst dir deiner sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Bedingnungen bewusst werden.

„Damit und dafür entwickelte ich eine Alphabetisierungsmethode und Materialien für die Bilderdiskussion, dazu passende Übungsmaterialien und Übungshefte in Spanisch, Quechua, Guarani und Aymara. Damit wurde Tausenden Indianern in Bolivien, Ecuador und zum Teil in Peru mit gutem Erfolg das Lesen und Schreiben beigebracht. Der Unterschied zu den großen Unesco- und andere Kampagnen war, dass wir nicht lebenskompetente Erwachsene zu Schülern gemacht haben, sondern von ihren Problemen, Nöten und Sorgen ausgingen, kein Licht, kein Wasser, kein Marktzugang, Fehlernährung, keine ärztliche Versorgung etc.“, erklärt Kuhn.

Während der Zeit der „neuen Mathematik“ vulgo Mengenlehre hat er in Deutschland, Belgien, Holland, Frankreich, Schweiz, Österreich mehrere Hundert Seminare und Vorträge mit Grundschullehrern durchgeführt. Der Grund: Er hatte das Grundschulpaket Mathematik entwickelt und wurde so zum Experten ernannt. Aus diesen und ähnlichen Veranstaltungen entwickelte ich die Idee, in Südamerika „Lehrerwander-Akademien“ aufzubauen. Viele einwöchige Seminare für Lehrerfortbildung mit jeweils 40 Lehrern aus 20 Schulen folgten. Vormittags Theorie und angepasstes Curriculum – Entwicklung, nachmittags praktische Übungen und Selbstherstellen von didaktischen Materialien. Die Rohlinge, die in den Seminaren zu fertigen Lehrmitteln ausgeführt wurden, wurden in Werkstätten arbeitsloser Jugendlicher hergestellt.

Geben wir ihnen was zurück!
„Die jeweiligen Minister waren sehr hilfreich, stellten in jedem Land 15 Lehrer frei, damit sie das tun, was ich in allen Regionen machte. Es wurde ein fantastischer Erfolg in Bolivien und Ecuador mit großem Zulauf. Insgesamt haben wir 32 000 Lehrer trainiert. Es waren die einzigen systematischen Lehrerfortbildungsmaßnahmen der Länder“, so Kuhn. Ziel: Ablösung des Frontalunterrichts und des Auswendiglernens hin zum handlungsorientierten und schülerzentrierten Unterricht.

Kurz vor und nach der Wende machte Kuhn viele Aktionen mit dem gleichen Ziel in der DDR, Russland, Slowenien, Polen, Tschechoslowakei. Insgesamt mehr als 800 Veranstaltungen. „Ich könnte Ihnen noch viel berichten, besonders auch über die Entwicklungsruinen der staatlichen Helfer“, erklärt Kuhn mit leuchtenden Augen.

Als das Stichwort „Arabischer Frühling“ fällt, ist er begeistert. „Wir Abendländler vardanken den Arabern viel! Geben wir ihnen was zurück! Der Weg aber ist steinig und lang. Die notwendigen Arbeitsplätze sind nicht am Tag nach dem Umsturz geschaffen.

Das Bild der Armut kennen wir. Das Bild der Zuversicht hat viele Gesichter. Eines davon sind Kinder und Lehrer- mit ihrer Schule. Das Gesicht der Hoffnung“, so Kuhn abschließend. Aktuell Gesellschaft

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  1. Marc Fischer sagt:

    Genial! Und ich dachte immer, Sie könnten nur über Sprache schreiben:) Mit Bildung gegen Hunger, mit einer klappe zwei Fliegen, sehr schön und vielen Dank, lieber Herr Kuhn und liebe Frau Konyalioglu

  2. Sinan Sayman sagt:

    Was für ein Leid und was für eine Hoffnung, die Sie, liebe Zerrin, im selben Atemzug aufzeigen, das liest man doch gerne.

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