Abschiebehaft
Trist, zwingerähnlich und ein nicht beschreibbarer Gestank
Einzige Einrichtung für Abschiebehaft in Rheinland-Pfalz ist die Ingelheimer Gewahrsamseinrichtung für Ausreisepflichtige – auch Ingelheimer Abschiebeknast genannt. Bei einem Vorortbesuch erkundigen sich die Mainzer Jusos über die Bedingungen und Umstände.
Donnerstag, 22.09.2011, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 25.09.2011, 23:59 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Der erste Eindruck ist geprägt durch hohe Betonmauern, mehrere Zaunreihen und Stacheldrahtrollen. Die Jusos bekommen das Gefühl, eine Justizvollzugsanstalt oder eine geschlossene psychiatrische Einrichtung zu besuchen. Ihnen wird zunächst der Außenbereich gezeigt. Dieser wirkt trist und ähnelt einem Zwinger. Ein nicht beschreibbarer Gestank liegt in der Luft. Dort nehmen die „Verwahrten“ –so die offizielle Bezeichnung – ihren „Freigang“ in Anspruch. Eine Stunde pro Tag.
Im Anschluss wird von leitenden Kräften und vom Sozialdienst die Arbeit innerhalb der Einrichtung erläutert. Die Haft ist auf maximal 18 Monate beschränkt. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer liegt bei 38 Tagen, erfährt die Mainzer Besuchergruppe.
Ein Puzzleteil im Abschreckungssystem
Einer der leitenden Angestellten weist darauf hin, dass durch die Sicherheitsmaßnahmen suggeriert wird, „man solle es gar nicht erst versuchen zu flüchten“. Das sei seiner Meinung nach auch der Grund, weshalb es seit Bestehen der Einrichtung keine Fluchtversuche gab. Ein Mitarbeiter der Diakonie Mainz-Bingen bestätigt, dass die Einrichtung im Bundesvergleich durch überdurchschnittliche Sicherheitsstandards auffällt und ein Puzzleteil im Abschreckungssystem Europas bildet.
Den Menschen wird bei Einlieferung in die Abschiebehaft das Vermögen entzogen und solange für die Haftkosten verwendet, bis es aufgebraucht ist. Betont wird aber, dass soziale Aspekte den Schwerpunkt für die Arbeit in der Einrichtung darstellen. So haben die „Verwahrten“ die Möglichkeit durch bestimmte Arbeiten – bspw. Wände streichen – Geld zu verdienen – 1,02 € pro Stunde. Damit können sie telefonieren oder im Kiosk einkaufen.
Wie Gefängnis
Gegen die „Verwahrten“ liegen während ihres Aufenthalts weder Strafvollzugsbeschlüsse vor noch laufen Strafverfahren. Sie befinden sich in dieser Einrichtung weil sie nicht im Besitz eines Aufenthaltsstatus sind. Das ist auch der einzige Grund, mit der die knastähnlichen Umstände rechtfertigt werden. Die Räumlichkeiten ähneln Gefängniszellen.
Abgesehen von dem „Freigang“ haben die Ausreisepflichtigen kaum die Möglichkeit, sich mit anderen Insassen auszutauschen. Der Kontakt mit der Außenwelt bleibt ebenfalls verwehrt. Internet steht den „Verwahrten“ nicht zur Verfügung, erfahren die Jusos auf Nachfrage. Bei derartigen Maßnahmen müssten Vor- und Nachteile abgewägt werden, wird ihnen erklärt. Und die „Terrorismusgefahr“ überwiege.
Das Naturell
Merkwürdig ist auch die Bemerkung eines leitenden Mitarbeiters in Bezug auf die Gewaltbereitschaft von Algeriern innerhalb der Einrichtung. „Die Algerier sind vom Naturell ganz eigen gestrickt“, erklärt er den Jusos.
Von der Diakonie erfährt die Gruppe weiter, wie die Zahl der juristischen Fehlentscheidungen in Bezug auf die Unterbringungsanweisung ist. Wird ein Anwalt eingeschaltet, werden 30 bis 40 Prozent der „Verwahrten“ wieder freigelassen.
Einrichtung schließen
Susanne Kasztantowicz, Vorsitzende der Mainzer Jusos, erklärt: „Die Jusos Mainz begrüßen die Einsetzung eines Runden Tisches zur Überprüfung der Situation in der Gewahrsamseinrichtung für Ausreisepflichtige Ingelheim ausdrücklich. Wir fordern, dass hieraus tatsächlich Ergebnisse zur Verbesserung der humanitären Situation der verwahrten Menschen hervorgehen.“ Konkret fordert sie eine Annäherung an die Bedingungen von weitaus weniger restriktiven Bundesländern wie Berlin, in denen sich die Menschen in Gewahrsamseinrichtungen, außer zu einer bestimmten Nachtzeit, frei bewegen können.
Wida Babakarkhel, Mitglied des Arbeitskreises Migration der Jusos Mainz, spricht sich für die freie Nutzung von Internet und Telefon aus. Sonst würden die Menschen de facto isoliert. In Anspielung auf die hohe Zahl der ungerechtfertigten Verwahrungen fordert sich außerdem: „Jedem eingewiesenen Menschen muss unverzüglich und kostenlos ein Anwalt zur Seite gestellt werden.“
Das seien Maßnahmen, die kurzfristig umgesetzt werden müssten. Unterm Strich fordern die Jusos, die Abschiebehaft generell abzuschaffen. Hier sei die Landesregierung gefordert. Sie solle sich für eine Änderung des Aufenthaltsgesetzes einsetzen. Die Vorschrift „Abschiebehaft“ müsse gestrichen werden. „Daran anschließend ist die Gewahrsamseinrichtung für Ausreisepflichtige Ingelheim zu schließen“, sind sich die Jusos einig. (jusos mainz/mig) Aktuell Politik
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