Neonazi-Terror
Tragödie im Bundestag
Gebührend eröffnete Bundestagspräsident Norbert Lammert gestern die Bundestagsdebatte zum Neonazi-Terror. Was folgte, war eine Tragödie. Fazit: Viel wird sich nicht ändern – nicht mit diesen Verantwortlichen.
Von Ekrem Şenol Mittwoch, 23.11.2011, 7:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 29.11.2011, 7:27 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
„Im Namen des ganzen Hauses, aller Mitglieder des Deutschen Bundestages will ich unsere Trauer, Betroffenheit und Bestürzung zum Ausdruck bringen über die erschreckende Serie von Morden und Anschlägen einer kriminellen neonazistischen Bande. Wir sind beschämt, dass die Sicherheitsbehörden der Länder wie des Bundes die über Jahre hinweg geplanten und ausgeführten Verbrechen weder rechtzeitig aufdecken noch verhindern konnten. Den Angehörigen gelten unsere Anteilnahme und eine besondere Bitte der Entschuldigung für manche Verdächtigungen von Opfern und Angehörigen, die sie während der Ermittlungen vor Ort erleben mussten.
Wir wissen um unsere Verantwortung. Wir sind fest entschlossen, alles mit den Mitteln des Rechtsstaates Mögliche zu tun, die Ereignisse und ihre Hintergründe aufzuklären und sicherzustellen, dass der Schutz von Leib und Leben und die von unserer Verfassung garantierten Grundrechte in diesem Land Geltung haben – für jeden, der hier lebt, mit welcher Herkunft, mit welchem Glauben und mit welcher Orientierung auch immer.“
Mit diesen Worten eröffnete Bundestagspräsident Norbert Lammert gestern um 10 Uhr die Bundestagsdebatte mit dem offiziellen Titel: „Mordserie der Neonazi-Bande 1 und die Arbeit der Sicherheitsbehörden“ gebührend. Was folgte war zum Lachen, zum Weinen, eine Tragödie.
Friedrich wie gewohnt
„Was uns bleibt, ist das Versprechen, aufzuklären, das Versprechen, diejenigen, die schuldig sind, und ihre Helfershelfer zu bestrafen“, kündigte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) gleich zu Beginn der Debatte an und gab gleich die Begründung mit, wieso das bisher nicht gelungen ist. Die Aufklärung dieser Mordserie sei schwierig gewesen, „weil es zu keiner Zeit ein Bekenntnis zu diesen Taten gab.“ Des Innenministers Geheimnis blieb, ob Straftäter sonst üblicherweise ein Bekenntnis ablegen, wenn sie ein Verbrechen begehen.
Friedrich listete mehreren Maßnahmen auf, die geplant seien; darunter auch die Gründung eines Terrorabwehrzentrums gegen Rechtsextremismus. So eine, wie man sie auch im Bereich des (O-Ton) „terroristischen Islamismus“ etabliert habe. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hingegen hielt von einem Eins-zu-eins-Vergleich beider Gefahren überhaupt nichts. Darüber müsse man noch reden. Da kam der Zwischenruf von Michael Hartmann (SPD) „Werdet euch doch mal einig!“, gerade richtig.
Viele offene Fragen
Gesellschaftspolitische Aspekte ließen Innen- wie Justizministerin außen vor. Beispielsweise die Frage, wie man die zunehmende Verbreitung von ausländer- und fremdenfeindlichem Gedankengut künftig zu verhindern gedenkt. Ob es der Sache dient, wenn man weiterhin vom „terroristischen Islamismus“ spricht und so der rechten Gesinnung geistige Pauschalnahrung gibt, wurde nicht infrage gestellt.
Nur dass man auf Informationen der V-Leute auch künftig angewiesen sei, wollte Friedrich protokolliert wissen. V-Leute, die „über 13 Jahre lang keine einzige Information zu den bisher bekannten Mordfällen“ lieferten, konterte Gregor Gysi (Die Linke). Das sei der Beweis „für die ganze Nutzlosigkeit dieser Strategie“. Wenn es allerdings Informationen gegeben haben sollte, „wäre es noch viel schlimmer“, so Gysi, der viele Fragen stellte. Wichtige Fragen.
Glauben Sie daran, dass die Neonazi-Morde lückenlos aufgeklärt werden?Nein (77%) Ja (15%) Bin mir nicht sicher. (8%)Wird geladen ...
In Anspielung auf Friedrichs geplante Maßnahmen wollte er auch wissen, was denn die seit 1992 existierende „Informationsgruppe zur Beobachtung und Bekämpfung rechtsextremistischer/ -terroristischer, insbesondere fremdenfeindlicher Gewaltakte“ (IGR) bis heute getan habe. Mit den vom Bundesinnenminister geplanten neuen Dateien würden noch lange keine Straftaten und Straftäter ermittelt. „Hierfür sind immer noch Menschen zuständig“, so der Linkspolitiker, die „über das nötige Bewusstsein“ verfügen müssten.
Schröders Gesinnungs-TÜV unter Beschuss
Grünen-Politikerin Renate Künast ergänzte: „Man muss heute den Eindruck haben, dass Institutionen der Sicherheit in Deutschland auf dem rechten Auge blind sind oder zumindest mit dem rechten Auge nicht genau hinsehen.“ Schlimm sei dabei: „Wenn man hätte sehen und hören wollen, hätte man sehen und hören können.“
Künast griff insbesondere Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) scharf an und attestierte ihr „ein Mangel an Herzensbildung“ wenn es ausgerechnet darum geht, Menschen zu unterstützen, die sich gegen Rechtsextremismus einsetzen. Die Extremismusklausel müsse weg, da eine wache Zivilgesellschaft viel besser und effektiver sei als der Verfassungsschutz.
In diese Kerbe hatte zuvor schon SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier geschlagen, als er „Anstand der Zuständigen“ forderte, von der bisher „keine Rede sein“ könne. Er kündigte an, hier „besonders aufmerksam“ auf das Haus von Bundesfamilienministein Kristina Schröder (CDU) schauen zu wollen.
Auch Schröder wie gewohnt
Denn die Extremismusklausel gehört mit zu den ersten Amtshandlungen von Familienministerin Schröder. Danach müssen Organisationen, die sich gegen Rechtsextremismus einsetzen, ein schriftliches Bekenntnis zur „freiheitlichen Ordnung“ ablegen, wenn sie Projekte finanziert bekommen wollen.
Hermann Gröhes (CDU) Versuch, Schröder in Schutz zu nehmen, misslingte. Er konnte den Einwand des Grünen-Politikers Volker Beck, warum die Extremismusklausel „nur ausgerechnet bei den Initiativen gegen Rechtsextremismus“ gelte, nicht entkräften. Notgedrungen verwies er auf den Entschließungsantrag und versprach: „Wir reden darüber.“ Eine deutliche Schlappe für die Familienministerin, die sich nicht einmal bemühte. Sie schwieg und saß die gesamte Debatte über an ihrem Platz und nahm die Kritik mal kopfschüttelnd, mal belustigt zur Kenntnis.
Fazit
Bevor Bundestagspräsident Norbert Lammert um fünf vor zwölf die Debatte schloss, versuchte Alexander Dobrindt für die CDU/CSU-Fraktion noch den im Raum stehenden Vorwurf zu entkräften, dass man auf dem rechten Auge blind sei. Er sagte: „Wir treten gegen jede Art von Extremismus an.“ Das ließ sich Kristina Schröder nicht zweimal sagen und eilte auf eine Fachtagung der Konrad-Adenauer-Stiftung, wo sie um 13 Uhr referierte. Thema: Islamismus.
Was bleibt ist der Eindruck, dass sich nicht viel ändern wird – nicht mit diesen Verantwortlichen. Damit verfliegt auch die Hoffnung auf eine lückenlose Aufklärung. Renate Künast sagte am Ende ihrer Rede: „Eines sollten wir uns heute gegenseitig versprechen: Diesmal darf es nicht so sein wie sonst, nämlich dass wir uns aufregen und dann die Opfer vergessen.“
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Es ist wirklich ein Tragödie.
Es gibt keine Verantwortlichen, keinen Aufschrei der Bevölkerung und eine Entschädigung für ein Menschenleben, welches eine blanke Verhöhnung der Opfer darstellt.
Man könnte fast meinen die Nazitäter hätten irgenwo im fernen Afrika zugeschlagen, so unbetroffen geht die Gesellschaft mit dem Vorgang und den Toten und den Opfern und der eigenen Zukunft Deutschlands um.
Das mag daran liegen, dass sich der Deutsche nicht bedroht fühlt. Getroffen hat es ja nur Ausländer und sowieso überwiegend nur Türken.
Geschickt haben es die Nazis dabei vermieden Synagogen oder jüdische Mitbürger anzugreifen und mit der Auswahlt ihrer Ziele den in der Gesellschaft unterschwellig vorhandenen fremdfeindlichen Weg beschritten und diesen auch nicht verlassen.
Dass die braune Krake ihre Tentakel bereits tief im Fleisch der BRD verankert hat will niemand eingestehen. Statt dessen will man neue Ämter und Kompetenzen schaffen. Daran bestand aber ohnehin kein Mangel.
Es besteht keine Gefahr für den „Rechtsstaat“ (aus welchem die Nazi`s letzlich einen „RechtSStaat“ machen wollen. )
Dieser im Verhalten der Politik erkennbare Grundkonsens ist schlicht falsch.
Wenn die Bevölkerung und die Politik nicht unverzüglich und entschieden reagieren bleibt in Anlehnung an die Worte von Frau Käsmann nur die Feststellung
„Nichts wird gut Deutschland“
LI
Es ist doch kein Wunder, dass es die Türken getroffen hat. Verstärkt seit 9/11 wird doch seitens der Politik insbesondere gegen diese Volksgruppe gehetzt, diffamiert, verleumdet, was das Zeug hält. Die Medien haben dies 1:1 übernommen und damit auch ihren“ Beitrag“ geleistet. Aber wen wundert´s? Wen juckt´s?
Aber wenn die Türken sich mit den Juden vergleichen, denn wir sind auf dem besten Wege dorthin, so heißt es doch sogleich, dass man übertreibt.
Wir trauern mit. Das hat nicht nur Türken getroffen—> ein Grieche und eine deutsche Polizistin,früher Juden und Behinderte betroffen. Es handelt sich um Wiederholungstäter.
Mika, wäre es nicht passender, die Türken würden sich mit den Armeniern vergleichen? Die Juden in Deutschland waren Deutsche. Sie haben maßgeblich zu Kultur, Wissenschaft und Fortschritt begetragen, sie konnten perfekt deutsch und waren alles andere als Fremde. Sie waren Deutsche. Was man von den Türken (als Masse) nicht behaupten kann, Sie sind Gastabeiter, die freiwillig -gelockt durch Geld- hier her kamen. Fremde, Angehörige einer völlig anderen, tief asiatischen Kultur. Schon alleine deshalb ist ein Vergleich mit den Juden in Deutschland Unsinn, dumm und hetzend. Sie treiben den Keil zwischen Deutschen und Türken nur noch tiefer hinein, indem Sie sich als neue Juden bezeichnen.
Warum waren Sie eigentlich alle vorher so ruhig, als noch nicht klar war, dass die Täter einem Nazi-Netzwerk entspringen? Wäre herausgekommen, dass es die türkische Mafia oder die grauen Wölfe (türkische Nazis) waren: kein Wörtchen wäre über Ihre Lippen gekommen. DAS finde ich beschämend!
Die Rechradikalen Neo-Nazis (nicht alle Deutschen,man sieht es) wollen Morde rechtfertigen, dabei entpuppen sich,die Herrschaften. Sie alle schaden aber Deutschland.
@LI:
Meiner Ansicht nach gibt es für das Ausbleiben eines „Aufschreis der Bevölkerung“ zwei Gründe:
– Zum einen hat sich schon des öfteren hinterher herausgestellt, dass der Fall ganz anders lag als zuerst angenommen. Angesichts der derzeit absolut unübersichtlichen Lage im Fall der NSU kann ich verstehen, dass man erst mal abwarten will, was da noch alles so raus kommt.
– Es drängt sich der Eindruck auf, dass es in Deutschland solche und solche Opfer gibt. Als z. B. die Schweigeminute im Bundestag war, habe ich mich die ganze Zeit gefragt, wie sich jetzt wohl die Angehörigen des getöteten „Mirko“ fühlen oder die Angehörigen des „Maskenmörders“. Deren Schmerz ist doch kein bisschen geringer, nur weil die Täter nicht rechts waren.
Ich muss auch oft an einen Fall denken von einem Mann, der Zivilcourage geübt hat und heute ein halber Pflegefall ist und auf Hartz IV lebt und der von diesem Staat schlicht vergessen worden ist. Der würde sich über etwas Wertschätzung und 10 000 Euro sicher auch sehr freuen.
Hallo Bert
Ich teile Ihre Gefühle und habe die gleichen Eindrücke.
Um nicht in den Verdacht der „Aufrechnung“ zu kommen nur soviel: wenn ein Mensch umgebracht oder an seiner Gesundheit geschädigt wird durch einen Anderen, leiden auch immer die Angehörigen. Beim Fanal am 11. September 2001 litten gleich über 3.000 Angehörige (ohne die Bevölkerung und das Hilfspersonal). Was hätten da stehende Beileidsbekundungen für einen Sinn gehabt? Oder wie mögen die Angehörigen von Kain und Abel sich gefühlt haben, weil ein Sohn den anderen erschlug? Mord ist Mord und sollte als solcher geahndet werden, hart in der Strafe und unbarmherzig. Aber erst m u s s der Schuldige feststehen, Vorverurteilungen sind unproduktiv.
Auch die gegenseitigen Schuldvorwürfe hier im Forum finde ich einfach lächerlich und eines Kommentares unwürdig.
Pragmatikerin
@delphin muss mich mal kurz einklinken
„Mika, wäre es nicht passender, die Türken würden sich mit den Armeniern vergleichen?“
Nein, wir hier haben momentan keinen Krieg und wir haben uns auch nicht mit Frankreich verbündet um auf deutschem Territorium ein eigenes Land zu errichten.
„Sie waren Deutsche.“ Richtig, und trotzdem wurden sie deportiert und ermordet.
„Was man von den Türken (als Masse) nicht behaupten kann, Sie sind Gastabeiter, die freiwillig -gelockt durch Geld- hier her kamen.“
Deshalb sind s ja auch Türken und keine Deutschen, und wenn der türkische Ministerpräsident zu seinem Volk hier spricht, darf sich dann auch keiner Aufregen. Ist dass ein Freibrief für Mord?
„Schon alleine deshalb ist ein Vergleich mit den Juden in Deutschland Unsinn, dumm und hetzend. Sie treiben den Keil zwischen Deutschen und Türken nur noch tiefer hinein, indem Sie sich als neue Juden bezeichnen.“ Falsch, es wurden in beiden Fällen Menschen aus niederen Beweggründen ermordet, dass ist die Gemeinsamkeit, es handelt sich um Menschen, dass ist die Gemeinsamkeit. In beiden Fällen wurde/wird gegen diese Bevölkerung gehetzt und dafür applaudiert, dass ist die Gemeinsamkeit.
„Fremde, Angehörige einer völlig anderen, tief asiatischen Kultur. “ Trotzdem, ist und bleibt ein Mord aus rassischen Gründen ein Mord, dass ist die Gemeinsamkeit.
Ich dachte wir beide wären schon weiter gekommen, sorry, hab mich geirrt.
„Fremde, Angehörige einer völlig anderen, tief asiatischen Kultur. “
Genau, dieser Satz treibt einen Keil in die Gesellschaft.
Wann gehört denn der Fremde zu Ihrer Gesellschaft?
„Was man von den Türken (als Masse) nicht behaupten kann,“
Ich dachte wir waren uns darüber einig, dass wir von Individuen nicht auf die Masse schliessen wollten?
Auch, dieser Satz treibt einen Keil in die Gesellschaft.
Neo-nazistisches Gedanken(un)gut ist weiter aktiv. Türkenhass besteht weiterhin z.T. Die NPD gehört verboten. Die Rechtfertigungen werden immer bunter. Die kommen mit der Etnie,Religion usw— Als wären sie nicht für die Morde nicht verantwortlich….
@Fikret
Fakt ist, der braune Sumpf, sieht den Handlungsbedarf aus der Untätigkeit der Politik begründet. Kein Wunder, seit Koch, Seehofer, Sarazin und bei Amtsantritt von Friedrich wird aktiv gegen Migranten mit einem bestimmten Hintergrund gehetzt. Also denkt der braune Sumpf, die Politiker labern, tun aber nichts, also handeln wir. Wir haben ja verbalen Rückenwind.
Sie raffen aber nicht, dass die Politiker einfach nur am braunen Rand nach Wählern fischen.
Und nun streiten Wullf und Lammert offen miteinander über die Art und Weise der Gedenkfeier, die Politiker werden wohl nie einig sein, und diese Lücke nutzt der braune Sumpf. Man öffnet ihnen immer wieder Tür und Tor. Gegen Linke und Migranten wäre man wohl sehr schnell einig.