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Neonazi-Terror

Heute will es, wieder einmal, niemand gewesen sein

Heute will es, wieder einmal, niemand gewesen sein. Niemand konnte angeblich irgendetwas absehen. Alles waren vorwiegend technische Pannen und Missverständnisse - ziemlich tödliche Missverständnisse, leider, mit einer langen blutigen Spur, schreibt Prof. Klaus J. Bade in einem Gastbeitrag im MiGAZIN.

Von Dienstag, 29.11.2011, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 02.12.2011, 9:50 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Das berühmte Menetekel des Kühn-Memorandums von 1979 lautete: „Was wir heute nicht in die Integration […] investieren, das müssen wir später für Resozialisierung und Polizei bezahlen“. Investiert wurde bekanntlich lange nicht viel. Die Integration wurde vielmehr, wie der vormalige Bundespräsident Horst Köhler zu Recht 2006 sagte, lange schlicht „verschlafen“.

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Was Kühn nicht ahnen konnte, war, dass sich sein Menetekel zum Teil gerade am rechten Rand der Mehrheitsbevölkerung erfüllen sollte, der heute in einzelnen Themenspektren bis in die Mitte der Gesellschaft hinein reicht.

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Das gilt z.B. für den teils kulturalistisch, teils völkisch geprägten fundamentalistischen Anti-Islamismus. Wie lautete doch ein grundlegender Startgedanke des nationalsozialistischen Jenaer Mörder-Trios Anfang der 1990er Jahre: „Zuerst müssen die Ausländer weg!“ So die damals erst 17 Jahre alte aggressive Kampfhundfreundin und spätere nationalsozialistische Terroristin Beate Tschöpe, die heute gerne als ‚Kronzeugin‘ straffrei davonkommen möchte.

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Das Feindbild ‚Ausländer‘ wurde zunehmend zum Feindbild ‚Islam‘ bzw. ‚Muslim‘ mit fließenden Grenzen zum Feindbild des ‚Türken‘ als der Inkarnation des vermeintlich auch kulturell bedrohlichen Fremden schlechthin. Dabei ist das jüngst endlich aufgedeckte mörderische nationalsozialistische Jenaer Trio nur die Spitze eines von anderen Eisbergen mit einem ständig weiter aufgedeckten Helferkreis und einem schier unübersehbaren mentalen Anhängerkreis im Internet.

Um diese Eisberge herum plantschten lange auffällig hilflose Verfassungsschützer ohne zureichende Ermittlungsaufträge im milden Oberflächenwasser. Die frostigen Einflüsse dieser Eisberge aber sorgen heute dafür, dass mit Integration und Migration beschäftigte Wissenschaftler wie ich als sog. ‚Volksverräter‘ auf nationalsozialistischen und inhaltlich angrenzenden Feme-Aufrufen und Fahndungslisten stehen und bei öffentlichen Veranstaltungen zunehmend auf Saalschutz, mitunter sogar auf Personenschutz angewiesen sind.

Eine der mir auf einer im Internet hängenden sog. ‚Kriegsverbrecherliste‘ als ‚Verbrechen am deutschen Volke‘ zur Last gelegten Aussagen ist die in der Tat von mir stammende Kernbotschaft des SVR-Jahresgutachtens 2010: „Integration in Deutschland ist besser als ihr Ruf im Land.“ Welch ein Verbrechen!

Wissenschaftler, die oft von Stiftungen – wie z.B. der VolkswagenStiftung und der Freudenberg-Stiftung – gefördert wurden, haben frühzeitig und lange vergeblich gewarnt vor den Folgen der demonstrativen Erkenntnisverweigerung unter dem Motto ‚Die Bundesrepublik ist kein Einwanderungsland‘.

Sie haben, ebenso vergeblich, gewarnt vor der mangelnden Erkenntnis der Gefahren, die in der diffusen publizistischen Integrationsdiskussion ausgingen von der oft denunziativen, in scheinwissenschaftlichem Gewande daher kommenden sogenannten ‚Islamkritik‘. Deren Argumente wurden in aggressiven Internetblogs zu anti-islamischer Volksverhetzung. Sie wurden zu Kampfaufrufen gegen die kulturelle Toleranz in der Einwanderungsgesellschaft.

Hier gibt es eine in der aktuellen Empörungsdiskussion zu wenig gesehene Kontinuitätslinie. Sie reicht von teils diffuser, teils rechtsextremistischer Fremdenfeindlichkeit über die anti-islamische Bündelung solcher Ressentiments in der sog. ‚Islamkritik‘ mit ihren publizistischen Denunziationskampagnen bis zum latent gewaltbereiten völkischen anti-islamischen Fundamentalismus mit seinen zum Teil fließenden Grenzen zum neuen Nationalsozialismus. In islamophoben Internetblogs mit ihren umschwebenden Hassmail-Wolken durften am Ende sogar die sog. Döner-Morde straflos zu heroischen Taten verklärt werden. Ein bloßes NPD-Verbot wäre da ebenso hilfreich wie hilflos zugleich.

Der Verfassungsschutz aber beobachtete, wie mir Vertreter unser Dienste aus gegebenem Anlass schon vor längerer Zeit mitteilten, all dies zwar sehr wohl, aber eben nur vorwiegend passiv und ohne Ermittlungsauftrag. Das aktive Ermittlungsinstrumentarium, das er gegen potentielle Islamisten so oft einsetzte, wurde eher zurückhaltend bedient gegenüber den Aktivitäten rechtsextremistischer und nicht selten neo-nationalsozialistischer Anti-Islamisten.

Vor den erwartbaren Folgen habe ich immer wieder gewarnt. Ich bin dadurch, wie erwähnt, selber ins Zielfernrohr dieser verfassungsfeindlichen Aktivitäten geraten. Durch entsprechende Ermittlungen helfen konnte mir angeblich niemand. Denn unseren Diensten waren hier, wie mir wiederholt mitgeteilt wurde, durch mangelnde Zuständigkeit, geltendes Medienrecht und andere widrige Umstände leider die Hände gebunden. Von wem eigentlich, habe ich mich oft gefragt.

Heute will es, wieder einmal, niemand gewesen sein. Niemand konnte angeblich irgendetwas absehen. Alles waren vorwiegend technische Pannen und Missverständnisse – ziemlich tödliche Missverständnisse, leider, mit einer langen blutigen Spur. Und mit dieser verspäteten, heute nur noch historischen Spurensuche sind wir noch bei weitem nicht am Ende – wenn diese Spurensuche denn überhaupt mit dem gebotenen Nachdruck betrieben wird – nämlich ohne Rücksicht auf Namen, Funktionen und Pensionsbezüge.

Hoffen wir, dass daraus im Land der integrationspolitischen Erkenntnisverspätung endlich für die Zukunft gelernt wird; denn auch das düstere Feld des christlich-völkischen anti-islamischen Fundamentalismus hat fließende Grenzen zum Themenfeld Integration und Migration. Aktuell Meinung

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  1. Prof. Bade gehört zu den vorausschauenden Köpfen in der deutschen und europäischen Integrationsdebatte, der bereits in den 1980er Jahren wichtige Beiträge für eine zukunftsweise Integrationspolitk geliefert hat, die großteils auf taube Ohren gestoßen.

    Allerdings geht mir der letzte Satz und damit auch die Konsequenz aus der gegenwärtigen Streitkultur in der Integrationsdebatte, die Herr Bade aufzeigt, nicht weit genug.

    „denn auch das düstere Feld des christlich-völkischen anti-islamischen Fundamentalismus hat fließende Grenzen zum Themenfeld Integration und Migration.“

    Es sollte nach Niederlanden, nach Dänemark und diversen osteuropäischen Ländern klar geworden sein, dass ein auf Anti-Islamismus aufgebauter Rechts-Populismus auch fließende Grenzen zur Demokratie und zum humanistischen Unterbau europäischer Gesellschaften hat, der diese unmittelbar bedroht.

    Denn dies bedeutet, dass eine integrationsfeindliche Politik stets die Demokratie akut bedroht!

  2. Zerrin Konyalioglu sagt:

    Lieber Prof. Bade,
    vielen Dank für diesen aufrichtigen Beitrag. Manchmal habe ich Zweifel und frage mich- wie viele Einwanderer auch- ob „Integration“ wirklich gewollt wird. Nicht nur, weil Verantwortliche falsche Signale setzen und somit z.T. Extremismus forcieren oder weil längst eine ganze Branche von den „Integrationsunwilligen“ lebt, sondern, weil man sich jetzt nur auf die Verhaftungen von Rechtsradikalen und „lückenloser Aufklärung“ konzentriert. Dabei wird übersehen, dass man jetzt die einmalige Chance hat, sich ein Stück von seiner Vergangenheit zu befreien, wenn man denn nun endlich auch die Verantwortlichen in die Verantwortung zöge.

  3. Klaus J. Bade sagt:

    Lieber Herr Sezer,
    Sie haben völlig Recht: Aber mein Statement ist ein Ausschnitt aus einer Rede über Integration und Migration, die ich zur Eröffnung des Forschungsbereichs des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migraton (SVR-Forschungsbereich) am 28.11.2011 im Mercator Projekt Zentrum (MPZ) in Berlin gehalten habe, was bei dem hier eingestellten Ausschnitt nicht hinreichend erkennbar war.