Scharfesser und Scharfmacher
Eine indische Würze zur Integrationsdebatte
Ein Inder in Deutschland - gebildet, fleißig und friedlich. Höchstwahrscheinlich Akademiker - Arzt, Programmierer oder Ingenier. Hilft Deutschland, den Fachkräftemangel zu beseitigen. Er ist willkommen. Auch Thilo Sarrazin mag ihn. Oder?
Von Tahir Chaudhry Freitag, 16.12.2011, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 22.12.2011, 13:53 Uhr Lesedauer: 8 Minuten |
Ein typischer Dialog mit jemandem, dem ich zum ersten Mal begegne:
Er: „Woher kommst du ursprünglich?“
Ich: „Aus Indien…“
Er: „Oooh… Indien! Das ist ein wundervolles Land!“
Es folgt die geistige Abwesenheit und im Kopf läuft folgender Film:
Ein schmächtiger junger Mann – nennen wir ihn Rajev – kommt fröhlich grinsend und vollkommen entspannt aus einem Hindu-Tempel. Er trägt einen roten Punkt auf der Stirn und ist in wie üblich in starken Farben gekleidet. Nach einem kurzen Frühstück – bestehend aus einem extrascharfen Chicken Tikka Masala und Chai – ruft er mit seinem schwer verständlichen Akzent auf Englisch ein Taxi zu sich. Das Taxi fährt jedoch an ihm vorbei. Rajev lacht und winkt freundlich nach dem Nächsten. Nach zwei Stunden klappt es endlich. Er dankt dem Rind, das neben ihm stehend seine königliche Mahlzeit aus der Hand eines Bettlers genießt. Auf dem Weg in den Bazar programmiert er kurzerhand eine Software für ein großes deutsches Unternehmen. Rajev steigt aus und eine große farbenfrohe, glitzernde und blinkende Menschenmasse steht bereit, um mit ihm zusammen zu tanzen.
Cut.
Nun folgt die übliche Frage…
Er: „Wie ist es eigentlich im Hinduismus? Betet ihr da wirklich jedes Tier an?“
Ich: „Ähhm…! Nee, eigentlich bin ich Muslim, aber zu den Hindus …ääh…“
Er: „Achsooo…!“
Und wieder kommt die geistige Abwesenheit. Ein weiterer Film wird eingelegt:
Ein älterer Mann kommt grimmig und gestresst aus einer Moschee. Er trägt einen dichten langen Bart ein einfarbiges Gewand. Gerade hatte er eine Bombenanleitung zum Frühstück – bestehend aus Zünder und Sprengstoff – für eine perfekt funktionierende Bombenweste mit japanischer Technologie. In arabischer Sprache schreit er eine Kutsche zu sich. Der Kutscher fährt an ihm vorbei. Er gerät in Rage, dankt Allah für die Bombe und drückt den Auslöser. Und wieder steht eine Menschenmasse bereit, um gemeinsam seine Bestattung durchzuführen.
Cut.
Um die Stille zu übertönen…
Ich: „Ja, es gibt auch Muslime in Indien… “
Er: „Die Medien erzählen vieles über euch, aber ich glaube das nicht.“
Wenn Menschen in Deutschland von Indien hören, denken sie häufig in Bezug auf die Religion in erster Linie an den Hinduismus. Diese Religion bestimmt mit ihren Traditionen und Riten in der deutschen Öffentlichkeit überwiegend die Vorstellung über dieses Land. Letzten Endes entsteht ein selbstverständliches Bild Indiens, das durch Bollywood in den Westen exportiert wird.
Genauso selbstverständlich ist, dass wenn Menschen in Deutschland von Muslimen hören, sie häufig in Bezug auf ihre Religion in erster Linie an Terrorismus und Gewalt denken. Ein Bild, das über Jahre durch die Handlungen einiger Wahnsinniger geformt und mit medialer Unterstützung durch einen gezielten Stereotypentransport für die Massen aufbereitet wurde.
Wer hat denn noch nicht etwas von den Mogulen gehört? Sie herrschten vom 16. bis ins 19. Jahrhundert über den indischen Subkontinent und verbinden mit ihrem Wirken den Islam unweigerlich mit dem Land der bunten Farben und Gewürze. Heute gehören Indien und der gesamte südasiatische Subkontinent zu den Regionen, in denen die meisten Muslime der Welt leben. Von den 1,21 Milliarden Einwohnern Indiens gehören ca. 135,5 Millionen Menschen dem Islam an. Somit ist Indien nach Indonesien und Pakistan das Land mit der drittgrößten islamischen Gemeinschaft.
In Deutschland lebt hingegen eine relativ geringe Anzahl von Muslimen indischer Herkunft. Von den über 4 Millionen Muslimen in Deutschland stammen nur etwa 12.000 Muslime aus Indien. Den größten Anteil der in Deutschland lebenden Muslime machen bekanntlich Menschen mit einem türkischen Migrationshintergrund aus. Demgemäß prägt auch der schwarzhaarig muslimische Türke das gesellschaftliche Bild eines typischen Migranten. Folglich lautete der erste Spruch, den ich als Inder an meinem ersten Tag in der Hauptschule von einem Mitschüler zu hören bekam: „Scheiß Türke!“, als ich mich gezwungenermaßen neben ihm setzen musste, da alle anderen Plätze belegt waren.
So sind Menschen wie gewöhnlich, die nach Trennung in der Gesellschaft suchen und nicht nach einer harmonischen Verbindung. Sie differenzieren nicht nach Herkunft oder womöglich nach Integrationsfortschritt. Sie werden schlicht von der Angst des Andersaussehenden und Andersdenkenden kontrolliert und missachten dabei, welchen Gewinn eine kulturelle Vielfalt für dieses Land bedeuten kann.
Indische Muslime stammen selbst aus einem Land, das eine immense kulturelle Vielfalt beherbergt. Es ist ein Land, mit weit über 1.600 gesprochenen Sprachen und Dialekten, indem Menschen verschiedenster Konfessionsgruppen überwiegend friedlich miteinander leben. Dieses harmonische Miteinander bekam auch ich bei meinen Aufenthalten in Indien zu beobachten, als man früh morgens für das Gebet aufstand und in der mehrheitliche muslimischen Kleinstadt Qadian (Punjab) neben dem Muezzin-Ruf der Muslime, die Rezitation aus den heiligen Büchern der Hindus und der Sikhs ertönte.
Infolge dieses starken gesellschaftlichen Pluralismus sind indische Muslime durch die Stellung einer Minderheit in einem mehrheitlich hinduistischen Land anders sozialisiert als Muslime aus Ländern, in denen sie selbst die Mehrheit stellen. So sind Inder generell offener, kulturinteressierter und dialogbereiter. Durch das ständige Auseinandersetzen mit Andersgläubigen, das Reflektieren und Nachsinnen über die eigene Überzeugung sind sie häufig frommer und gefestigter im Glauben. Denn mehrfach ist festzustellen, dass Minderheiten von Teilen der dominierenden Gruppe als minderwertig angesehen werden und auch dementsprechend behandelt werden. Dadurch kommt es nicht selten zu Identitätskrisen dieser Menschen, die sich im Konflikt mit ihrem eigenen Bewusstsein auf die Suche nach einem Platz in der Gesellschaft machen.
Die deutsche Gesellschaft geht häufig davon aus, dass Muslime in Deutschland generell bildungsfern seien. Diese Annahme besteht aufgrund der mehrheitlichen Zuwanderung einzelner Gruppen aus ländlich geprägten Regionen weniger entwickelter Herkunftsländer, vor allem aus der Türkei und Südosteuropa.
Der wesentliche Unterschied zwischen indischen Zuwanderern und z.B. den türkischstämmigen Zuwanderern liegt darin, dass ein Großteil der Inder nicht als niedrig qualifizierte Arbeitsmigranten angeworben wurden oder als Flüchtlinge nach Deutschland kamen, sondern meist als Akademiker, um den Fachkräftemangel in Deutschland zu beseitigen. Leitartikel Meinung
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Ob Sarrazin-Liebhaber die Inder mögen,das bleibt unklar,die sind ja nicht Deutsch national und cristlich sind die auch nicht. Diese Leute sind wahrscheinlich beschäftigt,sie selbst im Spiegel zu bewundern…..
Ein wirklich sehr gelungener Text, Daumen hoch und weiter so!
Was heißt denn „Deuschnational“? Arisch?
Ehrlich gesagt erschließt sich mir nicht ganz, was der Autor mit diesem Artikel sagen möchte: Etwa, dass indische Migranten toleranter, offener und gebildeter seien als Türkische?
@Mika
Wenn es aber doch der Wahrheit entspricht. Ich glaube nicht das diese 12000 Menschen so ungebildet sind wie die türkischen Einwanderer. Alleine die Zahl zeigt das schon. Wenn es hunderttausende wären würde ich mir Gedanken machen. Aber alleine die Entfernung hält arme Menschen davon ab in großer Zahl zu kommen. Das war bei den Türken leider nicht so, mit den uns allen bekannten Folgen. Und die Geschichte von Herrn Chaudry zeigt vor allem eines. In einem Land kann man trotz anderem Aussehen gut ankommen wenn man selbst eine Kultur der Offenheit und Toleranz mitbringt.
@Mika
Es scheint fast so… aber ich glaube, der Bruder meint es nicht so. Aus Indien kamen halt mehr Facharbeiter als aus der Türkei, weil der Weg ja auch viel länger ist. Indische Muslime sind aber für Deutschland nicht so wiechtig, wie türkische Muslime. Das ist doch inschallah das wichtigste, oder?
ansonsten guter Artikel, sehr interesst, was da so steht über Migrantion aus Indien und indischer islam. Ich wusste gar nicht, das es so viel Islam auch in indien gibt, alhamdulillah
was sucht der sohn indischer eltern in einer HAUPTSCHULE? was ist denn da schief gelaufen?
Ich sage ja nicht, dass Inder schlecht ausgebildet sind! Ich denke, das Gegenteil ist der Fall! Aber man kann doch die Menschen nicht in „gute“ und „schlechte“ Muslime kategorisieren!!! Das ist doch Schwarz-Weiß-Denken. Abgesehen davon hat die Einwanderung der türkischen Muslime einen ganz anderen Hintergrund als die der Indischen….ich finde nicht, dass man einen direkten Vergleich ziehen kann! Hallo? Wir reden von der ersten Gastarbeitergeneration, die sich hier den Buckel krumm gearbeitet hat!!!
@Aha
„In einem Land kann man trotz anderem Aussehen gut ankommen wenn man selbst eine Kultur der Offenheit und Toleranz mitbringt.“
Hmmm…also deswegen wurde der Autor als „Scheiß Türke“ tituliert!
@ Mika
Sie schrieben: „Abgesehen davon hat die Einwanderung der türkischen Muslime einen ganz anderen Hintergrund als die der Indischen…“
Das stimmt! Die ersten türkischen Gastarbeiter wurden zum Arbeiten nach Deutschland geholt und ab den 70iger Jahren sollten sie wieder zurückkehren, da keine Beschäftigungsmöglichkeit mehrfür die meisten bestand. Sie sind aber hiergeblieben und haben sich auf die heutige Zahl von geschätzten 2 Mio. Menschen vermehrt. Sie haben ausserdem viele Probleme nach Deutschland gebracht, die Deutschland ohne sie so nicht hätte.
Im Gegensatz zu den Indern, die ausgewält wurden nach ihrer beruflichen Qualifikation und so in Deutschland leben, dass ihre Anwesenheit als angenehme empfunden wird. Sie haben keine Ansprüche auf „Extrawürste“ und sie fügen sich in die Deutsche Gesellschaft nahtlos ein. Nichts anderes wird von jedem integrierten Einwanderer erwartet………..
Ich denke, könnte man heute das Rad der Geschichte zurückdrehen, es heute eine andere Bevölkerungsstruktur in Deutschland geben würde.
Pragmatikerin