Büchermarkt
Nicht ohne meine Vorurteile
Wie Verlage mit Klischees und Stereotypen arbeiten, um ihre Publikationen von der Konkurrenz abzuheben: Buchcover mit verschleierten Frauen oder mit bedrohlich wirkenden Schlagwörtern sind keine Seltenheit - Katharina Pfannkuchs Odyssee durch den virtuellen Büchermarkt.
Von Katharina Pfannkuch Montag, 19.12.2011, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 25.03.2014, 9:40 Uhr Lesedauer: 7 Minuten |
Das digitale Zeitalter birgt viele Vor- und Nachteile für jeden, der sich der neuen Technologien bedient. Das Angebot der virtuellen Welt ist groß und bunt, und wohl jeder von uns hat wohl schon einmal die Erfahrung gemacht, in einem der virtuellen Online-Shops, die zu hunderten aus dem Boden schießen und die ihren Kunden auf immer neue Arten ungefragt Empfehlungen geben, Neues zu entdecken. „Neues“, das kann positiv, aber auch negativ sein, es kann erschreckend oder erhellend sein – oder beides. Und so kann eine Suche nach Büchern in einem der größten und meistgenutzten Onlineshops für Bücher und DVDs in genau jenen Zustand münden, in dem aus anfänglichem Erschrecken und Kopfschütteln allmählich eine Erkenntnis entsteht.
Meine Suche nach Büchern begann eigentlich harmlos: Unter der Stichworteingabe „islamisches Recht“ werden zunächst die deutschen Standardwerke von Mathias Rohe und Rüdiger Lohlker angezeigt, einige speziellere Werke zur Anwendung des islamischen Rechts in einzelnen Ländern, und dann folgte die erste Überraschung, die, wie sich erst später herausstellen sollte, erst der Anfang dieses Eintauchens in ein ganz spezielles Segment des deutschen Büchermarktes werden sollte. In der Liste der genannten Bücher tauchte plötzlich der in diesem Jahr im mvg-Verlag erschienene Titel „Gefangen in Deutschland – Wie mein türkischer Freund mich in eine islamische Parallelwelt entführte“ auf.
Ich habe dieses Buch nie gelesen, der Titel, Berichte über den Inhalt und Intention des Buches – der Islam oder gar der Koran seien nicht schuld an ihrem Schicksal, beteuerte die Autorin angeblich, was nicht wirklich zum Titel passen will – und vor allem das Cover hielten mich davon ab. Zu sehr erinnerte der betroffene, ernste und wissende Blick, der unter dem locker, aber dadurch nicht weniger effektvoll um Kopf und Gesicht der Autorin geschlungenen Schal (nicht, dass hier etwa Assoziationen mit „dem Islam“ geweckt werden sollen) hervorblickend dem potentiellen Käufer suggerieren soll, hier werde von einem wahren, unvorstellbaren Schicksal berichtet, an das Cover jenes Bestsellers, dem wir die Gattung „Erfahrungsbericht unbedarfter westlicher Frau, die von anfangs liebevollem, später aggressiven und sich plötzlich am Islam orientierendem Mann hinters Licht geführt wird und diese Erfahrung zu einem politisch günstigen Moment in Buchform veröffentlicht“ eigentlich erst verdanken.
„Um sie von der Konkurrenz abzuheben, erhalten einige dieser Bücher Titel, die länger sind als mancher Klappentext eines modernen Prosa-Werks: ‚Der Schleier der Angst – Sie lebte in der Hölle, bis die Angst vor dem Leben größer war als die Angst vor dem Tod‘ wird noch nur übertroffen von ‚Auge um Auge – Ein Verehrer schüttete mir Säure ins Gesicht. Jetzt liegt sein Schicksal in meinen Händen‘.“
Die Rede ist von Betty Mahmoodys „Nicht ohne meine Tochter“, ein Buch, das sich – auch dank der die Literaturvorlage an Dramatik und amerikanischem Patriotismus noch übertreffenden Verfilmung – auch über 20 Jahre nach seinem Erscheinen in der mittlerweile 66. (!) Auflage noch immer gut verkauft. In Erinnerung an dieses Buch und an mein damals fast krankhaft immer wieder auftretendes Kopfschütteln während des Lesens ob der bis ins kleinste Detail sorgsam aufbereiteten Klischees und Stereotype, klickte ich trotzdem „Gefangen in Deutschland“ an (das, so scheint es, ist offensichtlich eines der Erfolgsrezepte des Online-Shoppens – zeige dem Käufer etwas, was er sonst kaum beachten würde, er wird es schon anklicken) – und durch diesen Klick eröffnete sich mir die gesamte Bandbreite einer literarischen Gattung, von deren Existenz ich wusste, deren Ausmaße mir jedoch bis dato nicht bewusst waren.
Eine ganze Armee von ernsten, wissenden Augenpaaren, die unter Schleiern hervorgucken, starrte mich an, als wollten sie mich hypnotisieren, um mir dann von ihrem jeweiligen Schicksal, ihrer Erfahrung mit dem jeweils einen Mann zu berichten, der auf irgendeine Weise mit diesem abstrakten Topos „Islam“ zu tun hat, mindestens aber tiefe Einblicke in „den Orient“ oder die orientalische Kultur verspricht. Der Blick allein reicht natürlich nicht aus, auch der Titel muss die Dramatik und Brisanz jedes einzelnen Schicksals verdeutlichen und Assoziationen wecken – Edward Said und Ziauddin Sardar hätten ihre wahre Freude gehabt: „Fatwa – Vom eigenen Mann zum Tode verurteilt“ heißt es da, und „Die verbotene Oase – Mein neues Leben im Harem der Frauen“, oder auch gleich „Hinter goldenen Gittern – ich wurde im Harem geboren“, auch in „Die verbotene Frau – Meine Jahre mit Scheich Khalid von Dubai“ und in „Gefangen im geliebten Land – Meine ägyptischen Jahre“ erhellen uns mitteilungsbedürftige Damen mit ihren Erfahrungen.
Um sie von der Konkurrenz abzuheben, erhalten einige dieser Bücher Titel, die länger sind als mancher Klappentext eines modernen Prosa-Werks: „Der Schleier der Angst – Sie lebte in der Hölle, bis die Angst vor dem Leben größer war als die Angst vor dem Tod“ wird noch nur übertroffen von „Auge um Auge – Ein Verehrer schüttete mir Säure ins Gesicht. Jetzt liegt sein Schicksal in meinen Händen“. Ganz spannend wird es dann bei Werken, die zwar ohne den obligatorischen ernsten Blick unter dem Schleier auskommen, dafür aber schon im Titel mit verheißungsvollen Andeutungen punkten: „Lockruf Saudia – Meine Erlebnisse im Hostessen-Camp“ führt die Rangliste dieser an das Abendprogramm von RTL erinnernden Titel an (es fehlt nur noch der Zusatz „Holt mich hier raus!“), dicht gefolgt von „Harem Girls – Mein Leben als Geliebte eines der reichsten Männer der Welt“.
Hier wird munter mit allen Klischees und Stereotypen gespielt und um sich geworfen, derer sich die europäische Literatur nicht erst seit der Romantik des 19.Jahrhunderts mit „dem Orient“ als Spielwiese für Phantasien und Ängste des breiten Publikums immer wieder bei Bedarf ausgiebig und mit einer entwaffnenden Abwesenheit jeglicher Kreativität und Dynamik bedient. Schon Victor Hugo setze in „Les Orientales“ ganz bewusst auf den Zeitgeist und erschuf eine Sammlung von Gedichten „aus dem Morgenland“ vor dem Hintergrund des griechischen Unabhängigkeitskrieges gegen die osmanische Besatzung von 1821-1829, in denen orientalische Schönheiten schön, willig und träge hinter den Mauern des Harems auf die kriegerischen, emotionsgesteuerten und herrschsüchtigen Sultane warteten, die entweder gerade aus der Schlacht zurückkamen oder mit den Ihren Tee und Wasserpfeife geraucht hatten, um dabei zu erörtern, wie sie Europa unter ihre Macht bringen könnten. Noch früher war Antoine Galland mit seiner bis heute weit verbreiteten Adaption von „1001 Nach“ im Jahre 1704 dran.
Ganze Abhandlungen haben die Literatur-und Sozialwissenschaften zur Rezeption des Orients hervorgebracht, doch der triviale Klick auf einen Erfahrungsbericht in einem Online-Shop offenbart, dass sich seit Galland, Hugo sowie deren Mitstreitern und deren scharfe Analyse durch Edward Said nicht viel geändert zu haben scheint – denn angesichts der nicht aufhörenden Flut der Berichte von Frauen, die uns unter ihren Schleiern wissend und auffordern ansehen, scheint nur der Schluss logisch, dass es nach wie vor ein Publikum für derartige Offenbarungen gibt. Und hier drängt sich die Frage auf, aus wem dieses Publikum besteht – Anna, 19, aus Berlin oder eher Hilal, 27, aus Hamburg? Oder doch eher Gertrud, 48, aus Königs-Wusterhausen? Oder sind es gar Männer, die diese Erfahrungsberichte lesen?
Der Blick in die Kundenrezensionen auf den Seiten des Online-Shops, in dem ich meine neuen Erkenntnisse gewonnen habe und dem der Leser diesen Beitrag überhaupt verdankt, lässt auf ein überwiegend weibliches Publikum schließen. Mindestens so interessant und wichtig wie die Frage, wer diese Bücher liest, erscheint jedoch die Wirkung, die alleine die Cover haben – gerade jetzt in der Vorweihnachtszeit erfreuen sich sowohl Online-Shops als auch reale Buchhandlungen eines erhöhten Andrangs. Wie schnell fällt da bei der Suche nach einem passenden Geschenk für den angeheirateten Großonkel Wilfried der Blick auf ein Cover, von dem uns eine dieser ernsten, verschleierten Frauen anblickt und das in großen Buchstaben mit „Fatwa – Vom eigenen Mann zum Tode verurteilt“ und anderen derzeit wieder so inflationär gebrauchten Schlagwörtern und Bildern wie „Schleier der Angst“ um unsere Aufmerksamkeit buhlt? Wie schnell setzt sich allein diese visuelle Umsetzung von Vorurteilen und diffusen Ängsten in den Köpfen derer fest, die nicht im Alltag mit dem vermeintlich allgegenwärtigen Islam konfrontiert sind, die keine Muslime, wie liberal oder konservativ sie nun gelabelt sein mögen, persönlich kennen? Was machen diese Bilder mit den Bildern in unseren Köpfen?
Sie bestätigen sie, immer wieder aufs Neue, und genau das nutzen die Verlage aus. Und angesichts des Erfolges dieser Gattung in Zeiten herbeigeredeter Befürchtungen vor einer Islamisierung Europas ist nicht damit zu rechnen, dass die Verlage diese Strategie ändern werden. Es bleibt nur zu hoffen, dass sich zumindest in einigen Köpfen beim Anblick derartiger Cover etwas bewegt: Nicht ohne meine Vorurteile? Ohne mich. Aktuell Meinung
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Ein sehr gelungener Artikel. Ich gratuliere.
Ich denke fast, der Artikel – so gut er ist – greift noch zu kurz.
Es ist eine ganze Industrie entstanden, die mit diesen Vorurteilen Geschäfte macht – die „großen“ Verlage sind da noch die Vorzeigestückchen.
Daneben gibt es einen sehr unschönen Markt – s. hier:
[…]
So wird Rassismus und Fremdenfeindlichkeit geschürt. Wer in seiner Familie oder im Freundeskreis die Reaktionen auf eine binationale Beziehung (außer mit „genehmen“ Ausländern) erlebt hat, kennt die Resultate dieser Gehirnwäsche.
Leute, geht in den Buchladen und blättert erst mal ein wenig in dem, was schließlich auf dem Gabentisch landen soll !
Kein sehr gelungener Artikel. Hat die Autorin mal auf die Wahlergebnisse in Ägypten geschaut? Nicht alles kann man als Vorurteile abtun, das gilt vorallem beim Thema Islam.
wichtige Analyse über den Online-Büchermarkt. So funktioniert Medienpsychologie eben. Vielen Dank für die gelungenen Ausführungen über die gängigen Büchertitel und den geschichtlichen Kontext !
@ Anne
Ich wohne in einem 3-Familienhaus, im 1. Stock. (das haus gehört meinem Schwager, die Wohnung mir, zur Info.)
Mein Schwager vermietet aus Geldgründen nur an ausländische Familien, da kann er wohl mehr Miete einnehmen. Ich bin also jeden Tag mit der „Wirklichkeit“ konfrontiert. Im Erdgeschoss wohnt seit 3 Monaten ein Binationales Paar mit Kind (Türke und Japanierin) und im Dachgeschoss eine russische Familie, die sich zwar als Deutsche sehen (mit Pass) aber nur ihre russsche Kultur „pflegen“.
Wenn meine Beiträge manchmal auch sehr „muslim-feindlich“ klingen sollten, wenn ich die Wahl hätte, wer ausziehen müsste, ich würde die „Russen“ wählen.
sie sehen also, man muss etwas praktisch erleben – nicht lesen – wenn man eine Meinung haben will.
Gruss
Pragmatikerin
Vielen Dank für den sehr gelungenen Artikel, auf den Punkt gebracht!… LG
Von den meisten dieser Bücher scheint Frau Pfannkuch nur den Titel gelesen zu haben – und setzt sie gleichwohl auf den Index. Vorurteile bekämpfen, richtig. Über welche literarischen oder sonstigen Qualitäten, die sich ohne das Buch zu lesen offenbaren, sollen denn islamkritische Erfahrungsberichte verfügen, um in den Augen der Islamwissenschaft Gnade zu finden? Wissenschaftliche Methode, richtig.
Es geht keinesfalls um „die Gnade der Islamwissenschaft“, sondern um die Gnade des gesunden Menschverstandes – wenn etwa in „Fatwa-Vom eigenen Mann zu Tode verurteilt“, eines der Bücher dieser Auslese, die ich gelesen habe, an keiner Stelle erklärt wird, was denn eine Fatwa eigentlich ganz genau ist, dann kann das wohl durchaus dahingehend gedeutet werden, dass es im Titel um Aufmerksamkeitshascherei mit einem mittlerweile negativ belegten Begriff geht. Im Übrigen geht es gerade um die Frage, was alleine die Titel in Kombination mit den Bildern bewirken, ohne diese Werke gelesen zu haben.
Pragmatikerin sagt:
20. Dezember 2011 um 13:01
„@ Anne…
sie sehen also, man muss etwas praktisch erleben – nicht lesen – wenn man eine Meinung haben will.“
Dennoch wäre LESEN hin und wieder sinnvoll, denn
Anne sagt:
19. Dezember 2011 um 17:49
„…Wer in seiner Familie oder im Freundeskreis die Reaktionen auf eine binationale Beziehung (außer mit “genehmen” Ausländern) erlebt hat, kennt die Resultate dieser Gehirnwäsche.“
Also scheint Anne hier auch über praktische Erfahrungen zu verfügen.