Die Union
Die Einbürgerungsstatistik und das Integrations- und Einbürgerungsverständnis
Im vergangenen Jahr fiel die Zahl der Einbürgerungen auf den niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung. Folgt man der Unionschen Integrations- und Einbürgerungslogik, vollenden heute genauso viele Menschen den „Integrationsprozess“ wie zu Zeiten Helmut Kohls.
Von Ekrem Senol Montag, 15.06.2009, 7:53 Uhr|zuletzt aktualisiert: Samstag, 25.06.2011, 21:21 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Im vergangenen Jahr wurden rund 95 500 Menschen eingebürgert. Das waren gut 18 600 Einbürgerungen weniger als im Vorjahr – ein Minus von 16 Prozent. Damit fiel die Zahl der Einbürgerungen auf den niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung. Dies teilte das statistische Bundesamt am vergangenen Freitag mit.
Ein schwarzer Tag für die Integrationspolitik der Union, die Einbürgerung als die „Vollendung des Integrationsprozesses“ versteht. Folgt man diesem Integrations- und Einbürgerungsverständnis, stehen wir heute da, wo wir bereits vor 19 Jahren standen. Heute „vollenden“ genauso viele Menschen den „Integrationsprozess“ wie zu Zeiten Helmut Kohls.
Eine Zeit, wo das Ausländergesetz noch Ausländergesetz hieß und das Wort „Integration“ mehr ein Fachbegriff war als ein Staatsziel und Chefsache. Eine Zeit ohne Integrationsgipfel und „nationalem Integrationsplan“ oder dem „Integrations-Indikatorenbericht. Eine Zeit, in der die Bezeichnung „Einwanderungsland“ Tabu war und man von Gastarbeitern redete, wenn man Ausländer meinte.
In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich viel verändert. Heute spricht die Bundeskanzlerin politisch korrekt von Menschen mit Migrationshintergrund, teilt ihnen mit – wenn auch reaktionär 1, dass sie auch ihre Bundeskanzlerin ist und überreicht höchstpersönlich deren Einbürgerungsurkunden 2. Heute ist „Integration“ fester Bestandteil des Aufenthaltsgesetzes. Selbst die verstaubten Einbürgerungsvorschriften aus dem Jahre 1913 wurden mehrfach „modernisiert“ und vom alten Ausländergesetz losgelöst. Heute spricht man gerne von einem Staatsangehörigkeitsgesetz, dass sich an die Moderne und an die Bedürfnisse der Menschen in einer globalisierten Welt angepasst hat. Selbst das Übereinkommen über die Verringerung der Mehrstaatigkeit ist für Deutschland am 21. Dezember 2002 außer Kraft getreten 3.
Entsprechend fielen im vergangenen Jahr die Einbürgerungsquoten unter Beibehaltung der bisherigen Staatsbürgerschaften aus, was vom Statistischen Bundesamt in ihrer Mitteilung an die Presse nicht ausdrücklich erwähnt wurde und daher in der Berichterstattung unterging: 13 503 von insgesamt 14 029 EU-Bürgern (96,3 %) wurden unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit eingebürgert. Bei Bürgern aus den sog. “EWR-Staaten/Schweiz” 4 betrug die Einbürgerungsquote unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit über 95 %, bei Bürgern aus den übrigen europäischen Ländern 5 51,4 %, bei Afrikanern 62,7 %, bei Amerikanern 74,9 %, bei Asiaten 62,8 % und 87,7 % bei Bürgern aus Australien und Ozeanien. Diese Quoten wären zu Zeiten Helmut Kohls unvorstellbar gewesen.
Was unverändert geblieben ist, ist die Einbürgerungsquote unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit bei einigen Migrantengruppen. Sie lag bei Türkischstämmigen beispielsweise weit unterdurchschnittlich bei 18,2 %.
Dem liegt der Unionsche Gedanke zugrunde, dass „die doppelte Staatsangehörigkeit … nicht zur Verbesserung der Integration von Zuwanderern“ beiträgt. „Wer deutscher Staatsbürger werden will, von dem kann ein eindeutiges ‚Ja‘ zu Deutschland und die Abgabe seiner alten Staatsangehörigkeit erwartet werden. Eine generelle doppelte Staatsangehörigkeit birgt stattdessen die Gefahr von Loyalitätskonflikten und erschwert die Identifikation mit Deutschland als neuer Heimat.“, so Hartmut Koschyk (CSU) noch im Mai 2009 6.
Angesichts der oben ausgeführten Einbürgerungsquoten unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit wiederspricht diese Argumentation sich selbst. Entweder bürgert Deutschland jährlich mehrere zehntausend Menschen ein, die möglicherweise ein „Loyalitätskonflikt“ haben und sich mit Deutschland schwerlich „identifizieren“ können, weil sie ihre bisherige Staatsbürgerschaft nicht abgeben oder diese Argumentation ist schlicht aus der Luft gegriffen und dient nur als Vorwand, was wiederum integrationspolitisch fatale Folgen hat: Die Ungleichbehandlung bestimmter Migrantengruppen erschwert bei den Betroffenen die geforderte „Identifikation mit Deutschland“ und erstickt sowohl die geforderte „Loyalität“ als auch das Entstehen von „Heimatgefühlen“ im Keim, weil die Ungleichbehandlung rational nicht mehr erklärbar ist und das Gefühl des „nicht-gewollt-seins“ nährt.
Ein näherer Blick in die Statistiken zeigt dabei, dass gerade diejenigen benachteiligt werden, die sich – nach der Unionschen Logik – scheinbar besser mit Deutschland „identifiziert“ haben, weniger „Loyalitätskonflikte“ aufweisen und ein „Heimatgefühl“ entwickelt haben. Es fällt auf, dass Menschen aus Staaten, denen die doppelte Staatsbürgerschaft verwehrt wird, im Schnitt eine höhere Einbürgerungsquote aufweisen als Menschen, die ihre bisherige Staatsbürgerschaft beibehalten dürfen 7. Die Einbürgerungsquote der türkischstämmigen beispielsweise liegt bei 1,4 % und ist doppelt so hoch als bei Bürgern aus den EU-Staaten (0,7 %).
Angesichts der Widersprüche, in die sich die Union selbst verwickelt, wird es Zeit, dass sie ihr Integrations- und Staatsangehörigkeitsverständnis überdenkt und sich von der vorliegenden Einbürgerungsstatistik leiten lässt als von der Vorstellung, doppelte Staatsbürgerschaften würden Loyalitäts- und Identitätskonflikte schaffen oder das Entstehen von „Heimatgefühlen“ erschweren. Wenn dem so wäre, müsste es für alle gleichermaßen gelten; wenn nicht, dann ebenso.
- Als Reaktion auf Erdogans Rede in der ausverkauften KölnArena im Februar 2008
- Einbürgerungsfeier im Bundeskanzleramt
- Auch wenn sich das nicht in allen Regierungsebenen herumgesprochen hat. Der Parlamentarische Staatssekretär Peter Altmaier hatte am 21. Januar 2009 im Deutschen Bundestag noch irrtümlich das Gegenteil behauptet, Plenarprotokoll 16/199, S. 21485
- Island, Lichtenstein, Norwegen, Schweiz
- Albanien, Andorra, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Moldau, Monaco, Montenegro, Russische Föderation, San Marino, Serbien (mit und ohne Kosovo), Serbien und Montenegro, Ukraine, Vatikanstadt, Weißrussland
- CSU-Landesgruppe
- Destatis: Einbürgerungen – Fachserie 1 Reihe 2.1 – 2008, ab Seite 18
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Das ist alles schön geschrieben und mit den eigenen Daten der CDU geführten REgierung untermauert, denn reden und schreiben Sie gegen den Wind!
Denn geneu das hatte ich schon seit 2005 auch vorgetragen. Was hat sich hier für uns geändert?! Eigentlich überhaupt nichts!
Immer noch müssen geade wir uns mit einem Stillstand abgeben, schließlich sind wird dort angelangt, wo wir zum 01.01.2000 standen,m und das war das eigentliche Ziel: Türken, auch durch Biegung deutscher Gesetze davon auszunehmen, von der doppelten Staatsangehörigkeit! Nur verstanden hatten dies nur wenige, auch nicht die SPD, die Grünen und FDP.!
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Also, ich muss gestehen, besser hätte ich diesen Artikel auch nicht schreiben können!
Mal eine Frage: Könnte dieser Rückgang der Einbürgerungszahlen auch was damit zu tun haben,
dass der türkische Pass besser aussieht, als der deutsche?(zum Vgl. s.o.) ;))))
Viele Grüße
Erkan