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Jüdischer Orientalismus eines muslimischen Prinzen

Integration, Migration, gescheitert oder geglückt, Toleranz und Diskriminierung – diese Schlagwörter hören und lesen wir Menschen mit Migrationsgeschichte täglich in allen uns betreffenden Bereichen, aber fragen wir uns auch mal, ob diese Themen tatsächlich so neu und aktuell ist?

Von Freitag, 13.01.2012, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 17.01.2012, 8:25 Uhr Lesedauer: 8 Minuten  |  

Denn gewandert sind Menschen schon immer und Unterschiede bzw. Gegensätze, die zu Konflikten geführt haben, sind auch nicht gerade neu, ebenso Menschen, die zwischen den Kulturen gewandert sind und verschiedene Elemente in ihrem Herzen geliebt und im Alltag gelebt haben.

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Solch eine Persönlichkeit und schillernde Figur ist Essad Bey, auch bekannt unter den Namen Lev Nussimbaum oder Kurban Said. Seine Liebe zum Islam und seine Wertschätzung der orientalischen Tradition gibt dem europäischen Leser einen ganz anderen Blick auf den Orient. Vielleicht ist es der „jüdische Orient“ seiner Vorstellung. Zu seiner Sicht ist er durch seine vielen Reisen (Zeit seines Lebens war er auf der Flucht) gelangt und später zum Islam konvertiert. Wer ist dieser Mensch, der fast immer zur falschen Zeit am falschen Ort war und ein viel zu kurzes, aber sehr intensives Leben hatte. Mit seinen beiden Romanen „Ali und Nino“ und „Das Mädchen vom Goldenen Horn“ macht er eine literarische Wanderung, die man sich hierzulande (aber auch in anderen Ländern mit kultureller Vielfalt) wünscht. Obwohl der Autor seit fast sechzig Jahren tot ist, sind seine Werke und sein Lebensweg bis heute aktuell und können einen positiven Beitrag zum Thema Migration leisten.

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Den Spuren dieses Lebens ist Tom Reiss in „Der Orientalist“ akribisch gefolgt, er hat sich Zeit genommen, all die Wege nachzureisen, Zeitzeugen zu befragen und hat schließlich eine wunderschöne Biographie, die sehr spannend ist, geliefert. 2008 ist diese erstmals auf Deutsch erschienen, bereits 2000 lag die amerikanische Originalausgabe vor. Auf 429 Seiten schildert er die Abenteuer des „Essad Bey“, wie sich Lev Nussimbaum auch nannte. Er lässt Essad Bey mit seinen Beschreibungen wieder aufleben. Er schafft aber nicht nur ein Werk über diese Persönlichkeit, sondern berichtet seinem Leser auch über die historischen Ereignisse in den jeweiligen Ländern, wo sein Held sich gerade aufhält.

Geboren 1905 in Baku / Aserbaidschan als Sohn eines jüdischen Ölbarons und einer radikalen Revolutionären, die den inneren Konflikt – einerseits ihre „Verbindungen zu Stalin“ und dem politischen Widerspruch zu ihrem Gatten – nicht ertrug und Selbstmord begeht, erzogen von einer deutschen Gouvernante erlebt Lev Nussimbaum alias Essad Bey in den 36 Jahren seines Lebens so viel Weltgeschichte wie andere in 90 Jahren nicht und ist dennoch nirgendwo wirklich zu Hause.

In seiner Einsamkeit beschäftigt er sich mit Lesen und hat eine blühende Phantasie, die ihm den Stoff liefert für seinen klaren Geist, mit dem er sehr früh bereits Romane und Sachbücher schreibt. Bis heute ist umstritten, welche Teile in seinen Werken tatsächlich Erlebnisse waren und wo seine Phantasie beginnt. In den Jahren der Russischen Revolution (mit dem Einmarsch der Roten Armee in Baku) beginnt die Flucht des Tagträumers mit seinen Vater, er ist noch ein Kind. Die Odyssee geht zunächst über Zentralasien, Persien und die Türkei. Die Begegnungen mit vielen Ethnien liefern dem jungen Lev später die Details für seine Bücher. Als er in Konstantinopel ankommt, ist er gerade mal 15 Jahre alt, das Osmanische Reich zerfällt gerade. Er bekommt dies nur am Rande mit, die Paläste, Moscheen und Basare machen großen Eindruck auf ihn, sprechen alle seine Sinne an. Er verfällt dem Orient, in dem der Kosmopolitismus noch auf den Straßen lebt. Später, mit dem Nationalismus der ein wichtiges Element für die Gründung der türkischen Republik ist, wird dieser überschattet. In dieser Zeit spielt Paris eine wichtige Rolle für die Türken, es ist sozusagen das westliche Vorbild.

Die Reise von Lev Nussimbaum geht weiter, bis auch er in Paris ankommt. Wie die ganzen Jahre zuvor, ereignen sich Zufälle und auch Paris wird nicht seine neue Heimat, sondern es geht weiter nach Deutschland. Das Deutschland Anfang der1920er Jahre – so die Idee – soll insbesondere für die Schulbildung und Zukunft des jungen Lev gut sein. Dass es für einen Juden die falsche Entscheidung war, wird erst später klar. 1922 schreibt sich Lev sich als Student für Türkisch und Arabisch am Seminar für orientalische Sprachen an der Universität in Berlin ein, er nennt sich inzwischen „Essad Bey Noussimbaoum“ ein. In der osmanischen Botschaft konvertiert er zum Islam. Der Kosmopolit aus jüdischem Hause hat nun eine neue Identität, vielleicht ist es auch die, nach der er sich sehr lange gesehnt hat. Er erklärt, dass „Essad“ auf Azeri dieselbe Bedeutung habe wie „Lev“ auf Russisch, nämlich Löwe. Vielleicht ist dies ein Schritt in Richtung Völkerverständigung, vielleicht nur das Ausleben eines Traumes oder die Flucht in eine andere Welt, die ihn glücklicher macht als die Realität. Der „orientalische Prinz“ (auf manchen Fotos mit Fez zu sehen) fühlt sich jedenfalls wohl als „kosmopolitischer Osmane“.

In diesen Jahren wird aus ihm ein Autor, der so genial ist, dass er nicht mehr aufhören kann zu schreiben, er schreibt und schreibt, unzählige Artikel für Zeitschriften und Bücher. In seinem kurzen Leben hat er 15 Bücher veröffentlicht. Einerseits ist Essad Bey ein erfolgreicher Autor, andererseits gibt es viele Diskussionen und Kritik über seine Herkunft und seine Identität. Wer ist dieser Mann, der den „jüdischen Orientalismus“ lebt? Essad Bey lässt sich nicht beirren und publiziert weiterhin mit Erfolg. Erfolg haben aber in diesen Jahren auch die Nationalsozialisten. Nach dem russischen Terror, dem zerfallenen Osmanischen Reich erlebt Lev nun auch den deutschen Terror. Essad Bey, der „Mohammedaner, Monarchist und Orientale“, wie ihn Tom Reiss ihn in seinem Buch nennt, darf im Dritten Reich nicht mehr schreiben und veröffentlicht nun unter dem Namen einer Freundin Baronin Elfriede Ehrenfels von Bodmershof alias Kurban Said. Lev Nussimbaum alias Essad Bey verlässt schließlich auch Deutschland und geht zunächst nach Wien, wo er seine Zeit als Bohèmien verbringt. Vor den Nationalsozialisten flieht er dann nach Italien. Verarmt und schwer krank stirbt er 1942 in Positano mit nur 36 Jahren. Ein Leben voller Abenteuer, Zufälle und schicksalhafter Ereignisse, die Essad Bey als begnadeter Schreiber in seinen Werken verewigt hat. Trotz der exzellenten Recherche von Tom Reiss und der vielen Details, die er liefert, wird man wahrscheinlich nie erfahren, wer der „Orientalist“ und Star-Autor der 1920er Jahre tief im Herzen wirklich war.

Öl und Blut im Orient
In seiner Autobiografie „Öl und Blut im Orient“ (1930 erschienen) schildert er seine Kindheit in Baku, seine Flucht quer durch den Kaukasus und seine Ankunft in Konstantinopel. Dieses Buch mit vielen Schilderungen aus dem Leben der Ölmagnaten wurde ein viel diskutierter Bestseller. Auch dieses Buch lässt sehr viele Fragen zu seiner inneren Welt offen.

Essad Bey’s Bücher sind auch heute noch lesenswert und erschreckend aktuell, insbesondere die beiden Romane „Ali und Nino“ (erschienen 1937) und „Das Mädchen vom Goldenen Horn“ (erschienen 1939). Beide Romane sind unter dem Pseudonym Kurban Said erschienen.

Ali und Nino
„Ali und Nino“ ist die Liebesgeschichte zwischen einem muslimischen Prinzen und einer christlichen Russin, die adlig ist. Örtlich angesiedelt in Baku, zeitlich umgeben vom Ersten Weltkrieg und der Russischen Revolution schildert der Roman die Gegensätze zwischen Orient und Europa, schildert Tradition und Moderne und beschäftigt sich mit Christentum und Islam. Ali ist ein Kind der Wüste, Nino hingegen eine moderne Europäerin, die sich nicht unterordnen lässt. Ist diese Liebe zum Scheitern verurteilt? Eine Frau, die auch in Persien keinen Schleier tragen möchte. „Es ist einer Frau unwürdig, ihr Gesicht zu verdecken…“ ist ihre Meinung. Der Leser erlebt, wie die beiden Liebenden sowohl europäisch, als auch orientalisch leben und nie den Respekt füreinander verlieren. Diese hinreißende Liebesgeschichte ist nicht nur international ein Bestseller gewesen, sie ist ein „aserbaidschanischer“ Nationalepos.

Das Mädchen vom Goldenen Horn
Im Mittelpunkt von „Das Mädchen vom Goldenen Horn“ stehen Vater und Tochter aus der Istanbuler Oberschicht, mit dem Untergang des Osmanischen Reiches verlieren sie Geld, Macht und Ansehen und müssen fliehen. Sie gehen ins Exil nach Deutschland, ein Land, dessen Sprache sie nicht sprechen. Der Autor schildert nicht nur die Probleme, die Migranten in der Fremde erleiden. Beim Lesen wundert man sich, dass sich Wesen und Inhalte der Schwierigkeiten von denen der „Gastarbeiter“ nicht unterscheiden, obwohl es sich hier um eine Istanbuler Prinzessin handelt, die weit weg von ihrer Heimat unglücklich ist. „ Diese Menschen in Europa waren ahnungslos in allen Sachen des Gefühls…Dieses hier ist ein wildes Land. Die Menschen sind roh und unmusikalisch“ ist die Erkenntnis der Tochter eines Paschas. Essad Bey findet ungewöhnliche Lösungen und fasziniert den Leser mit seinem scharfen Blick fürs Detail. „Das Mädchen vom Goldenen Horn“ ist aber auch eine west-östliche Liebesgeschichte im Berlin der 1920er Jahre.

Mit diesen beiden Romanen von Lev Nussimbaum alias Essad Bey alias Kurban Said wird einem bewusst, dass Unterschiedlichkeit nicht nur Integration im Sinne von Anpassung und Unterordnung bedeutet. Man wird aufmerksam auf Begriffe wie Interkulturalität und Kosmopolitismus, die Wertschätzung des Anderen, das Zulassen von Andersartigkeit, auch wenn es dem Eigenen widerspricht. Gemeint ist nicht das Unterordnen des Schwächeren sondern die Toleranz beider Perspektiven. Es mag sein, dass die Darstellungen von Essad Bey nur Träume sind. Gibt es nicht ein Sprichwort, was besagt, dass Träume Realität werden können, wenn viele Menschen denselben Traum haben? Aktuell Feuilleton

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  1. Zeynep sagt:

    Ich habe das Buch „das Mädchen vom goldenen Horn“ gelesen. Danke für den tollen Tipp!

  2. Rusudan sagt:

    Den Artikel finde ich gut…er enthält jedoch einen Fehler: Nino (Hauptfigur in „Ali und Nino“) ist keine Russin sondern eine Georgierin!