Debatte
Unser Bundespräsident?
Das Dilemma in der momentanen Integrationsdebatte: Wulff und die Muslime. Hat Christian Wulff nur etwas für Muslime in Deutschland getan? Geht es in der Integrationsdebatte nur um Muslime? - von Daniel Sanghoon Lee
Von Daniel Sanghoon Lee Montag, 23.01.2012, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 26.01.2012, 9:00 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Bundespräsident Christian Wulff sorgte 2010 mit seiner Rede zum Tag der Deutschen Einheit für Aufsehen, als er sagte: „Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland“. Damit hat er bei großen Teilen der muslimischen Bevölkerung in Deutschland massiv an Sympathie gewonnen, hat doch zum ersten Mal ein deutsches Staatsoberhaupt und damit der ranghöchste Politiker dieses Landes den Menschen muslimischen Glaubens das Gefühl vermittelt, ein anerkannter und akzeptierter Teil Deutschlands zu sein.
Wie dankbar die Muslime in Deutschland ihm dafür sind, beleuchtet nun ein Artikel auf dem Online-Portal der Zeitung der Freitag mit dem Titel „Wulff und die Muslime in Deutschland“. Allein die Überschrift weckt bei mir den Verdacht einer wiederholt einseitigen Wahrnehmung in Sachen Integration und dokumentiert damit das Dilemma in der momentanen Integrationsdebatte. Wulff und die Muslime? Hat Christian Wulff nur etwas für Muslime in Deutschland getan? Geht es in der Integrationsdebatte nur um Muslime? Ist der mehrheitliche Rest schon so gut integriert, dass er nicht mehr berücksichtigt werden muss? Hat Wulff in seiner Rede eigentlich tatsächlich nur vom Islam und Muslimen gesprochen?
In dem der Freitag-Artikel wird auch Ekrem Şenol, Chefredakteur des MiGAZIN, zitiert „Lasst unseren Bundespräsidenten in Ruhe!“ Was meint er nun mit „unserem“ Bundespräsidenten? Meint er mit „uns“ die Muslime, die Migranten im Allgemeinen, das deutsche Volk oder einfach nur die Menschen in Deutschland?
Wenn ich mit den „Türken“ in meinem Umfeld rede, dann sagen mir gefühlte 99 Prozent: „Wir sind Türken mit deutschem Pass“. Nur einer sagt so etwas wie „Ich bin (auch) Deutscher“. Die meisten Menschen mit einem (türkischen) Migrationshintergrund (in meinem Umfeld) fremdeln mit dem Gedanken, dass sie (auch) Deutsche sind. Sie sagen dann mal so etwas wie „wenn die Deutschen mich schon wie einen Türken behandeln, dann bin ich halt ein Türke“. Genauso wie viele Deutsche ohne Migrationshintergrund (in meinem Umfeld) ebenfalls mit dem Gedanken fremdeln, dass Menschen wie Ekrem Şenol und ich heutzutage ebenfalls ganz selbstverständlich Deutsche sind und zu diesem Land dazugehören.
Dieses Fremdeln äußert sich gerne als banale Frage: „Woher kommst Du?“ Sie wird mir nicht nur von Deutschen ohne Migrationshintergrund gestellt, sondern eben auch von Deutschen mit Migrationshintergrund. Und beide sind erst zufrieden, wenn ich ihnen antworte „Meine Eltern stammen aus Korea“.
Was aber sowohl Deutsche ohne als auch Deutsche mit Migrationshintergrund mit dieser Frage nicht wahrhaben wollen, ist, dass sie mich damit zwangsläufig nicht als Deutschen betrachten. (Hey, ich kann kaum Koreanisch, bin kein Experte für koreanische Politik und kann vielleicht zwei koreanische Feiertage aufzählen.) Die Frage ist in diesem Fall dann aber diskriminierend und hat damit auch rassistische Züge (wobei Rassismus nicht nur eine Frage zwischen Mehrheitsgesellschaft und Minderheiten ist, sondern auch sehr gut zwischen Minderheiten funktioniert. Nur mal so am Rande bemerkt).
Volltext: Die Rede von Wulff vom 3. Oktober 2010 im Wortlaut.
In seiner Rede von 2010 stellte Wulff nicht nur fest, dass der Islam inzwischen zu Deutschland gehört, sondern er fragte auch gleich zu Beginn: „Seit 20 Jahren sind wir wieder ‚Deutschland, einig Vaterland’“. Doch, was meint „einig Vaterland“? Was hält uns zusammen? Sind wir zusammengewachsen, trotz aller Unterschiede?
Später beginnt er den Absatz mit dem berühmten Zitat mit den Worten: „Zuallererst brauchen wir eine klare Haltung: ein Verständnis von Deutschland, das Zugehörigkeit nicht auf einen Pass, eine Familiengeschichte oder einen Glauben verengt. Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das ist unsere christlich-jüdische Geschichte. Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.“
Die Medien haben sich leider nur auf diesen einen Satz konzentriert, dass nämlich der Islam nun auch zu Deutschland gehöre. Für mich persönlich als nichtmuslimischer Migrant bringt dieser Satz gar nichts, denn er zielt nur auf einen Teil, den muslimischen Teil der Migranten in Deutschland. Als ob es gerade den Medien immer nur um Deutsche und Muslime gehen würde. Mit diesem Satz allein fühle ich mich daher entsprechend ausgeschlossen.
Die Medien hätten stattdessen die anderen Worte Wulffs aufgreifen und diskutieren müssen, nämlich wie wir Deutschland verstehen sollten, wie ein „einig Vaterland“ vor dem Hintergrund der vielen Herkünfte, Religionen und „Hautfarben“ denn aussehen könnte und müsste, sodass sich alle hier in Deutschland lebenden Menschen als „ein“ Volk mit „ihrem“ Vaterland identifizieren können. Die Antworten hätten dann auch aufgezeigt, wer mit Integration was tatsächlich meint.
Wulff zitiert in seiner Rede Jugendliche, die ihm Folgendes geschrieben haben: „Für uns spielt keine Rolle, woher einer kommt, sondern vielmehr, wohin einer will.“
Das ist vollkommen richtig. Wir, und damit meine ich sowohl Deutsche mit Migrationshintergrund, aber vor allem auch Deutsche OHNE Migrationshintergrund, dürfen nicht darauf beharren, alte Vorstellungen zu konservieren und zu verteidigen, was sonst zu solch einem „Deutsche gegen Muslime“ führt (als ob das heutige Verständnis von Deutschland auch schon vor 100 oder 200 Jahren so existiert hätte). Sondern wir alle müssen gemeinsam nach vorne blicken und unser Deutschland gemeinsam neu definieren.
Ist das eine Utopie? Vielleicht. Aber genau das fällt in meinen Augen in den Aufgabenbereich eines Bundespräsidenten, der uns eine Vision schenkt (Stichwort: Inklusion!) oder zumindest die Marschrichtung vorgibt.
Dass die Medien seine Rede leider in die falsche Richtung gelenkt haben, offenbart deren erbärmlichen Zustand. Dass wir darauf reingefallen sind und uns in die falsche Richtung haben dirigieren lassen, offenbart unsere Dummheit. Das müssen wir korrigieren und nicht auch noch den Zug in die falsche Richtung weiter antreiben!
Dass der Bundespräsident sein Amt nicht genutzt hat, die Diskussion von Anfang an in die richtige Richtung zu lenken (zumindest nicht, dass es mir bewusst wäre), deckt sich mit seinem „ungeschickten“ Verhalten, das er jetzt im Umgang mit dieser „Kreditaffäre“ zeigt.
Die Integrationsdebatte darf keine Win-Lose-Debatte (Deutsche gegen Türken, Christen gegen Muslime), sondern muss eine Win-Win-Debatte sein, eine Debatte, die uns alle bereichert. Damit wir wirklich eines Tages auch von „unserem Bundespräsidenten“ reden können, von „unserem Volk“, unserem „Vaterland“ und von unseren Landsleuten. Aktuell Meinung
Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.
MiGGLIED WERDEN- Fachkräftemangel vs. Abschiebung Pflegeheim wehrt sich gegen Ausweisung seiner Pfleger
- „Diskriminierend und rassistisch“ Thüringer Aktion will Bezahlkarte für Geflüchtete aushebeln
- Verwaltungsgerichtshof Nürnberg muss Allianz gegen rechts verlassen
- Ein Jahr Fachkräftegesetz Bundesregierung sieht Erfolg bei Einwanderung von…
- Brandenburg Flüchtlingsrat: Minister schürt Hass gegen Ausländer
- Chronisch überlastet Flüchtlingsunterkunft: Hamburg weiter auf Zelte angewiesen
Vieles hat Wulff in diesen Sätzen falsch erklärt:
„Zuallererst brauchen wir eine klare Haltung: ein Verständnis von Deutschland, das Zugehörigkeit nicht auf einen Pass, eine Familiengeschichte oder einen Glauben verengt. Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das ist unsere christlich-jüdische Geschichte. Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.“
es gibt keine christlich-jüdische Geschichte. Der abendländische Kulturkreis ist aus der Begegnung von römischem Recht, griechischer Philosophie und dem „Geist von Jerusalem“ (Benedikt XVI.), die Begegnung mit dem liebenden Gott, entstanden.
Die europäischen Völker insbesondere nördlich der Alpen haben noch das germanische Gewohnheitsrecht mit integriert.
Und Wulff hat zu früh abgebrochen:
Er hätte den Hinduismus, Buddhismus (250.000 Personen, davon 125.000 Autochtone) und auch den Konfuzianismus mit dazu rechnen sollen.