Fünfter Integrationsgipfel
Unverbindlich, unverbindlicher, Nationaler Aktionsplan Integration
Auch der 5. Integrationsgipfel bringt nichts Neues. Heiße Eisen packt die Bundesregierung nicht an, blendet Themen aus. Fest steht: Es gibt noch viel zu tun – vor allem aufseiten der Bundesregierung. Die bleibt aber möglichst vage und unverbindlich.
Mittwoch, 01.02.2012, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 07.02.2012, 6:56 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Trotz großer und kleiner Integrationsfortschritte fällt die Bilanz nach dem fünften Integrationsgipfel ernüchternd aus. Das dürfte allen Beteiligten klar sein. Denn Integrationserfolge wurden schon vor dem ersten Integrationsgipfel im Jahr 2006 verzeichnet – vor allem im Bildungsbereich. Was hinzugekommen ist, ist die bessere Messbarkeit in einigen Bereichen.
So beispielsweise der Anteil der Menschen Zuwanderungsgeschichte in der öffentlichen Verwaltung. Laut dem erst Mitte Januar erschienenen Integrationsbericht ist ausgerechnet dort die Quote der Beschäftigten mit Migrationshintergrund gesunken. Das einzige Themengebiet, die im direkten Verantwortungsbereich des Staates liegt.
Das möchte die Bundesregierung nicht auf sich sitzen lassen und stellt diesen Themenkomplex jetzt in den Vordergrund. In dem gestern (31.01.2012) vorgelegten Nationalen Aktionsplan Integration wird dieses Themenfeld erstmals behandelt. „Dadurch wird deutlich, dass sich der Bund seiner Verantwortung zur Erhöhung des Anteils von Mitarbeitenden mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst stellt“, heißt es in dem 22-seitigen Papier. Eine Migrantenquote lehnt die Bundesregierung aber strikt ab, erklärt Serkan Tören, integrationspolitischer Sprecher der FDP. Vielmehr soll das Ziel durch eine Steigerung des Interesses am öffentlichen Dienst bei Migranten und durch eine „diskriminierungsfreie Personalauswahl“ erreicht werden. Das ist auch der einzige Satz in dem Papier, wo auf mögliche Diskriminierungen hingewiesen wird.
Heiße Eisen werden nicht angepackt
Dabei belegen zahlreiche Studien, dass Diskriminierung die Integration in vielen Bereichen maßgeblich verhindert. So geht beispielsweise aus der Studie „Muslimisches Leben in Nordrhein-Westfalen“ hervor, dass Muslime umso höher von staatlichen Transferleistungen abhängig sind, je gebildeter sie sind. Während 17,8 Prozent aller Muslime ohne Schulabschluss auf Sozialleistungen angewiesen sind, liegt diese Quote bei Muslimen mit Abitur in der Tasche bei über 20 Prozent.
Zahlreiche weitere Studien zeigen auf, dass mit Bildung und Sprachkenntnissen allein Integration nicht zu bewältigen ist. Hinzu kommen muss ein breiter gesellschaftlicher Umdenkprozess, das Lehrer, Vermieter oder Arbeitgeber genauso umfasst wie Sicherheitsleute. Wie groß und verbreitet die Vorurteile bei den Letztgenannten sind, die ebenfalls im Verantwortungsbereich des Staates angesiedelt sind, haben die jüngsten Neonazi-Morde vor Augen geführt. Über zehn Jahre wurde die Mordserie seitens der Polizei und Verfassungsschutz als „Döner-Morder“ und „Soko Bosporus“ betitelt, weil irrig davon ausgegangen wurde, es handele sich um innermigrantische Mafiaabrechnungen.
Symbolischer Gipfel
Diese Themen wurden aber nicht bzw. kaum thematisiert. Ihren Weg in den Nationalen Aktionsplan haben sie jedenfalls nicht gefunden. Auf weitere Themen macht der integrationspolitische Sprecher der Grünen, Memet Kılıç, aufmerksam: „Zuerst muss man das politische Teilhabedefizit beseitigen: Das Kommunalwahlrecht muss auf Nicht-EU-Bürgerinnen und Bürger ausgeweitet und die hohen Einbürgerungshürden aufgehoben werden“, so der Grünen-Politiker.
Ähnlich dürftig kommt der Nationale Aktionsplan auch bei Sevim Dağdelen (Die Linke) an: „Was Migranten in Deutschland nicht brauchen, sind immer neue Berichte, Pläne und symbolhafte Gipfel. Sie brauchen Arbeit, Bildung, politische Teilhabe und Schutz vor Rassismus, Ausgrenzung und Diskriminierung. Auf all diesen Gebieten jedoch versagt die Bundesregierung seit Jahren oder unterstützt gar mit ihrer Politik Rassismus und Ausgrenzung.“ Der Nationale Integrationsplan habe außer ein paar Schlagzeilen für die Regierung nichts hervorgebracht. Daran werde auch „der als Heilsbotschaft verkündete“ neue Aktionsplan nichts ändern. „Viele Themen kommen darin gar nicht vor und stehen auch nicht auf der Agenda des Integrationsgipfels“, so die Linkspolitikerin weiter.
Breite Kritik
Neu hinzugekommen sind dafür die Themenbereiche „Gesundheit und Pflege“ und die „Medien“. Besonders beim Letzteren gibt es Aufholbedarf, wie Sheila Mysorekar, Vorsitzende der Neuen Deutschen Medienmacher, in ihrer Rede beim Integrationsgipfel feststellte: „Jeder fünfte Mensch in diesem Land hat Migrationshintergrund, aber nur jeder 50. Journalist.“
Kritik erntet die Bundesregierung aber nicht nur von den Oppositionsparteien. Neben zahlreichen Nichtregierungsorganisationen, die bereits im Vorfeld des Integrationsgipfels Forderungen stellten, schaltete sich auch der Bundesverband ausländischer Studierender (BAS) ein. „Das Ziel der Integration ausländischer Studierender und Wissenschaftler, die im Zusammenhang mit den Schlagwörtern ‚Fachkräftemangel‘ und ‚demografischer Wandel‘ umworben werden, wird mit dem vorliegenden Aktionsplan nicht erreicht“, so der Bundesverband in einem veröffentlichten Positionspapier. Im Nationalen Aktionsplan würde lediglich eine Auflistung bereits bestehender Maßnahmen vorgenommen, die z.T. sogar auslaufen, also nicht zukunftsgerichtet sind. Andere seien so vage formuliert oder erforderten keine zusätzlichen Anstrengungen, „dass alleine die Absichtserklärung das Papier nicht wert zu sein scheint, auf dem es gedruckt wird“.
Unangenehmes außen vor
Davon unbeeindruckt zeigte sich die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU). „Der Nationale Aktionsplan Integration vergrößert die Chancen jedes einzelnen Migranten auf gleiche Teilhabe“, erklärte Böhmer gestern auf dem Integrationsgipfel. Damit langfristig mehr Migranten der Aufstieg gelinge, sei dabei die Sprachförderung von Anfang an besonders wichtig. „Der Bund setzt bei der Sprachförderung ein wichtiges Zeichen: Für 4 Jahre werden 400 Millionen Euro in rund 4.000 Schwerpunkt-Kitas zur Sprachförderung investiert“, so die Integrationsbeauftragte. Unerwähnt ließ Böhmer, dass diese Summe (25.000 €/Jahr/Kita) gerade einmal für eine dürftig honorierte Ganztagsstelle reicht.
Die Erkenntnisse des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung in einem erst kürzlich veröffentlichten Diskussionspapier zu diesem Thema, ließ Böhmer ebenfalls außen vor. Das Institut hatte herausgearbeitet, dass der Staat viel Geld für die Sprachförderung der Kinder ausgibt. Allerdings ohne nennenswerte Wirkung. (bk)
Leitartikel Politik
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