Bilkay Öney
„Kinder sollten ihre Muttersprache sprechen dürfen, ohne sich rechtfertigen zu müssen“
Die baden-württembergische Integrationsministerin Bilkay Öney ist dagegen, Sprachen gegeneinander auszuspielen. Am Internationalen Tag der Muttersprache plädiert sie für einen offenen Umgang mit Mehrsprachigkeit.
Dienstag, 21.02.2012, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 22.02.2012, 7:37 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Baden-Württembergs Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) erinnert an den Internationalen Tag der Muttersprache (21. Februar): „Der Tag mahnt uns, sprachliche und kulturelle Vielfalt sowie Mehrsprachigkeit zu fördern.“ Nach Einschätzung der UNESCO sind von den rund 6.000 Sprachen, die heute weltweit gesprochen werden, die Hälfte vom Verschwinden bedroht. Alle zwei Wochen geht demnach eine Sprache verloren.
„Wir sollten Sprachen nicht gegeneinander ausspielen. Kinder aus Migrantenfamilien müssen Deutsch lernen, um bessere Bildungserfolge zu erzielen“, sagt die Sozialdemokratin. „Sie sollten aber auch ihre Muttersprache sprechen dürfen, ohne sich rechtfertigen zu müssen.“ Mehrsprachigkeit sei bei vielen Menschen rund um den Globus mittlerweile die Regel und nicht die Ausnahme. Zudem sei Mehrsprachigkeit in einer globalisierten Welt ein Wettbewerbsvorteil und damit eine wichtige Ressource für Wirtschaft und Gesellschaft.
Forschung für Muttersprache
Ergebnisse aus der Gehirnforschung weisen darauf hin, dass insbesondere das frühe Erlernen mehrerer Sprachen die intellektuelle und sprachliche Entwicklung der Kinder fördert. Mehrsprachig aufgewachsene Mädchen und Jungen sind häufig sprachlich gewandt und tun sich beim Erlernen weiterer Sprachen leichter. Darüber hinaus kann Mehrsprachigkeit dabei helfen, eine differenzierte Sicht auf die Welt zu entwickeln. Sie beugt Vorurteilen vor und erweitert die eigenen Lebens- und Arbeitsperspektiven.
„Leider erkennen wir die Sprachkompetenz von Migranten immer noch nicht ausreichend an“, mahnt Öney. Für die Persönlichkeitsentwicklung und das Selbstwertgefühl von Kindern und Jugendlichen mit ausländischen Wurzeln sei es wichtig, das Sprechen und Schreiben der Muttersprache wertzuschätzen. „Unser Umgang mit Zweisprachigkeit hängt zu stark vom Prestige der Sprache und der Sprechergruppe ab. Das muss sich ändern.“
Doppelte Halbsprachigkeit verhindern
Die grün-rote Landesregierung stellt für den Ausbau der Sprachförderung im Kindesalter 2012 zusätzlich elf Millionen Euro bereit. „Um unvollständige Kenntnisse in der Erst- und Zweitsprache zu verhindern – sogenannte doppelte Halbsprachigkeit – müssen wir Kinder aus Migrantenfamilien möglichst früh unterstützen und auf den Erwerb der mündlichen und schriftlichen Sprache achten“, erklärt Öney abschließend.
Der Internationale Tag der Muttersprache ist seit dem Jahr 2000 ein UNESCO-Gedenktag zur „Förderung sprachlicher und kultureller Vielfalt und Mehrsprachigkeit“. Die UNESCO versteht Sprache nicht nur als Kommunikationsmittel, sondern auch als kulturelles Erbe und Ausdruck kultureller Identität. (sb) Aktuell Politik
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Sehr geehrte Frau Öney,
was für ein Sinneswandel, fast möchte ich Sie beglückwünschen, aber wie gesagt, fast. In dem Bild-Interview vom Mai 2011 hörte man noch ganz andere Töne von Ihnen:“ Die Kinder müssen Deutsch, Deutsch, Deutsch lernen! Und die Eltern müssen es verkraften, wenn ihre Kinder im Türkei-Urlaub nicht perfekt Türkisch sprechen.“ Damit hatten Sie der Muttersprache eine Absage erteilt.
Hoffen wir mal, dass Sie sich nun ernsthaft für Mehrsprachigkeit einsetzen und es nicht nur bei einem bloßen Lippenbekenntnis bleibt, jetzt da unlängst auch konservative Politiker erkannt haben, dass Muttersprachen ein wertvolles Potential sind und beim Zweitsprachenerwerb eben kein Hindergrundsgrund sind, sondern eine wichtige Basis für den Zweit- und Drittsprachenerwerb darstellen. Heute, da die Bedeutung der Muttersprachen in aller Munde ist, ja Mehrsprachigkeit weltweit gefeiert wird, wundert es mich nicht, dass auch Sie nun mutig das Wort ergreifen.
Inzwischen ist „Türkisch“ schon als Abiturfach an Gymnasien zugelassen, wie ich gerade mal googlen konnte.
Der Unterricht umfasst auch türkische Dichtung und zeitgenössische Literatur, sowie Geschichte und Kultur der Türkei.
Wer sich bis hierher vorgearbeitet hat, bei dem war die Mehrsprachigkeit wohl von Anfang an „im Angebot“.
Sehr geehrte Frau Ministerin Öney,
der Erhalt der Primärsprache ist ein verbrieftes Recht der UN-Kinderrechtskonvention (vgl. §§ 17, 20, 29, wonach die Bildung des Kindes darauf gerichtet sein muss, die Bewahrung seiner kulturellen Identität zu gewährleisten. Die Kontinuität seiner Erziehung soll die ethnische, religiös, kulturelle und SPRACHLICHE Herkunft des Kindes gebührend berücksichtigen. In all diesen Punkten hat uns das schwedische Erziehungssystem eine Menge voraus (vgl. Skutnabb-Kangas.T. (1986): Who wants to change what and why – conflicting paradigms in minority education research. In: Spolsky ( ed.): Language and education in multilingual settings, Clevedom: Multilingual Matters 7, 153-181).
Darin deklariert die Wissenschaftlerin die Förderung der Primärsprache als sprachliches MENSCHENRECHT.
Viel Erfolg bei der Umsetzung Ihrer Forderungen wünscht
Rita Zellerhoff
In welchem Gesetz wird ausländischen Kindern eigentlich verboten, in ihrer Muttersprache zu kommunizieren?
Aber ja, alles toll.
Hamburg-Harburg, 1. Klasse, 27 Kinder aus 18 Ländern, darunter gerade mal 2 mit Muttersprache Deutsch, da machen sie mal ihre „gezielte Zweisprachenförderung“. Mit wievielen Lehrern doch gleich?
In manchen Schulen wurde ja bereits auf dem Pausenhof Deutsch vorgeschrieben – nicht, weil man andere Sprachen diskriminieren will, sondern weil diese Schulen einen Ausländeranteil von weit über 90 Prozent haben und in der Schule – außer im Unterricht – gar kein Deutsch mehr gesprochen wurde und sich somit jede Sprachgruppe ihr eigenes Sprachghetto geschaffen hat.
Manchmal frage ich mich was für Probleme wir in DE eigtl. haben???
Sehr geehrte Frau Ministerin,
ich habe Ihr Anliegen nicht verstanden. Wem wird das Sprechen der Muttersprache verboten? Und konkret: in diesem Land hier?
Das Aniegen vieler anderer Menschen ist mir hingegen klar: Wenn in einer Schulklasse oder einem Arbeitsteam 13 verschiedene Sprachen gesprochen werden, braucht es EINE, die ALLE sprechen. Auch wäre unsere Kommunikation hier nicht möglich, wenn wir nicht eine gemeinsame Sprache sprechen würden.
Niemand wird die Muttersprache untersagt, aber nicht alle können mit Mutterprache hier teilnehmen. Deshalb: EINE für ALLE!
@mirakel
Auf dem Schulhof das Sprechen der Muttersprache zu verbieten ist grenzwertig, da man den Schülern damit suggeriert ihre Muttersprache wäre weniger Wert und zweitklassig. Stattdessen sollte man in solchen Schulen jeden Tag zusätzlichen Deutschunterricht anbieten.
Interessanter Artikel:
„Bilingualität
Zweisprachige Erziehung verzögert Sprachentwicklung
Kinder, die zweisprachig aufwachsen, haben in jungen Jahren oftmals Defizite bei Wortschatz und Grammatik. Die gute Nachricht: Sie holen diese meist selbst wieder auf.“
http://www.welt.de/wissenschaft/article13885826/Zweisprachige-Erziehung-verzoegert-Sprachentwicklung.html
Nun, die Förderung der Zweisprachigkeit stellt einen sehr guten Denkansatz dar.
Es gibt jedoch unzählige „fremde Muttersprachen“ in Deutschland. Wessen Zweisprachigkeit soll da zuerst gefördert werden ? Und wo soll die geballte Sprachlehrkompetenz dafür herkommen, wenn es schon teilweise sehr schwer zu fallen scheint guten Englischunterricht anzubieten.
Und wenn wir uns die Realität betrachten dann gibt es vor allem ein Motto: „Deutsch, Deutsch, Deutsch!“
Es scheint ja geradezu Konsens darüber zu herrschen, dass „Mehrdimensionalität“ schadet und dass es die Hauptaufgabe sein muss Fremde in die Eindimensionalität hiesiger Verhältnisse zu führen, was dann als gelungene Integration gilt.
Wir sind weit von einer tragfähigen Mehrdimensionalität entfernt … meilenweit.
Josef Özcan (Diplom Psychologe)